Nekrolog auf unser Mitglied Prof. Dr. Stephan Tanneberger

Die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V. trauert um ihr Mitglied,
den Mediziner

Prof. Dr. Stephan Tanneberger,

der am 05. März 2018 im Alter von 82 Jahren verstorben ist.

Stephan Tanneberger (2010)

Nach dem Abitur begann Stephan Tanneberger ein Studium der Chemie und der Humanmedizin an der Universität Leipzig, zweier Fächer, die von den späteren beruflichen Möglichkeiten gar nicht so weit auseinander lagen. Er schloß es 1961 mit der Promotion über ein naturwissenschaftliches Thema ab. 1964 folgte die Promotion im Fach Medizin. 1970 habilitierte er sich, ebenfalls in Leipzig. Er arbeitete zunächst als Oberarzt (1971), dann als Chefarzt (1972). Von 1973 war sein ärztliches Wirken und Forschen eng mit der AdW der DDR verknüpft, wo er als stellvertretender ärztlicher Direktor, später Direktor des Zentralinstituts für Krebsforschung in Berlin-Buch tätig war. Ab 1989 übte er zudem Funktionen als Vorsitzender des Zentrums für Medizinische Wissenschaft an der Akademie, als Onkologe im Auftrag der WHO in verschiedenen Entwicklungsländern und in leitender Position beim Erfahrungsaustausch sowie bei der Aus- und Weiterbildung im Bereich der Krebsbekämpfung in zahlreichen Ländern aus, immer vom ärztlichen Ethos geleitet und getreu der hohen Leibniz’schen Maxime „Theoria cum praxi et commune bonum“.

Stephan Tanneberger zeichnete sich in seinen Forschungen durch Beharrlichkeit, innovatives Denken, Interdisziplinarität und außerordentlichen persönlichen Einsatz aus. Er war kein Freund ärztlicher Routine, die durchaus nötig sein konnte, und ein Feind jeglicher medizinischer Schlamperei. In Kooperation mit gleichgesinnten Kollegen verschiedener Länder trug er auf dem sich rasch entwickelnden Gebiet der Onkologie zu den beachtlichen Erfolgen der Ursachenforschung, der Früherkennung, der Prävention und Diagnostik maligner Erkrankungen bei, und er erwarb sich große Verdienste als Wegbereiter der experimentellen und klinischen Tumorchemotherapie. Er gehörte zu jenen Medizinern, die sich als erste bemühten, die Krebstherapie zu individualisieren. Verständlich, dass er zu den führenden europäischen Onkologen gezählt wurde.

Theoretisches Forschen und ärztliche Praxis verstand Stephan Tanneberger stets als Einheit. Das belegen in beeindruckender Weise seine bis ins letzte Lebensjahrzehnt reichenden, ungezählten wissenschaftlichen und autobiographisch bzw. wissenschaftshistorisch durchsetzten Veröffentlichungen. Ungeachtet seines Engagements als Onkologe hat Stephan Tanneberger neben seinen wissenschaftlichen Wortmeldungen, ob nun als Aufsatz oder Referat, eine erstaunliche Anzahl von Büchern hinterlassen, wobei die Frage aufkam, wie er überhaupt noch Zeit zum Bücherschreiben gefunden hat. Zu nennen sind unter anderem reine medizinische Schriften wie „Spezielle Tumorchemotherapie. Experimentelle und klinische Tumorchemotherapie“ (1980, 1984), „Allgemeine Tumorchemotherapie“ (1980) oder Bücher wie „Jemand in meiner Familie hat Krebs – was kann ich tun?“ (1998), „Lebensblätter. Erlebnisse im Kampf gegen Krebs und Krieg“ (2003), „Alt werden – (k)ein Kunststück?: Gedanken über das Altwerden“ (2013), „Barfuß übers Stoppelfeld“ (2015) oder „Wahrheitssuche: Über eine Mauer in Berlin und die Welt von morgen“ (2017). Einige der Buchtitel demonstrieren eindringlich, dass sich Stephan Tanneberger weit über die medizinische Fachproblematik hinaus Gedanken über den Zustand der Welt, insbesondere Europas machte. Dazu gehörte seine facettenreiche Friedensarbeit, die sich auch in der 2005 erfolgten Gründung des „Zentrums für Friedensarbeit – Otto Lilienthal – Hansestadt Anklam“ niederschlug. Sein Friedenskampf schloß als Lebensaufgabe immer den Kampf gegen Krieg und Krebs ein. Seine Beschäftigung mit gesellschaftlichen Problemen der Zeit – „als Kommunist und Klinikchef“, wie es einmal hieß – zeigte ein hohes Maß seiner Verantwortung für humanes Handlen und gesellschaftliche Gerechtigkeit, denen gegenüber er nicht gleichgültig bleiben konnte. Das Nachdenken über das Schicksal der DDR gehörte ebenso dazu.

Stephan Tannebergers außerordentliche Leistungen sowohl im Bereich der Onkologie und der Krebstherapie wurden mehrfach gewürdigt. Hervorzuheben sind die Verleihung des Ehrentitels „Hervorragender Wissenschaftler des Volkes“ und die im März 2012 erfolgte Auszeichnung mit dem Silbersiegel der Universität Bologna, der höchsten Auszeichnung der ältesten Universität der Welt, an der Stephan Tanneberger seit 1993 eine Professur innehatte.

Er war seit 1998 Mitglied er Leibniz-Sozietät.

Dem erfolgreichen und hoch geachteten Wissenschaftler und Wissensvermittler, dem engagierten Humanisten und politisch aktiven Zeitgenossen werden wir als Sozietät stets mit Hochachtung gedenken.

Armin Jähne