Jubiläumskolloquium 200 Jahre Klimabeobachtung in Jena; Information

Meteorologie gestern, heute und morgen – zwei bemerkenswerte Veranstaltungen in Thüringen

1.) „Goethes weiteres Erbe – 200 Jahre Klimastation Jena“ mit zusätzlichem Bezug auf lange Zeitreihen, schnelle Prozesse und die wiederentdeckte Rolle der Langzeitbeobachtungen in Geowissenschaften, Klimatologie und Hydrologie war am 26. und 27. September 2013 Gegenstand eines Jubiläumskolloquiums in der Aula der Friedrich-Schiller-Universität Jena, das gemeinsam von der genannten Universität, der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft, dem Deutschen Wetterdienst und der Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie veranstaltet wurde.

Eingeleitet mit Grußworten des Staatssekretärs im zuständigen Landesministerium, Herrn Roland Richwien, des Oberbürgermeisters der Stadt Jena, Dr. Albrecht Schröter, und des Universitätsrektors, Prof. Dr. Klaus Dicke, wurden vor den ca. 100 Teilnehmern des Kolloquiums insgesamt 23 Vorträge gehalten und 10 Poster präsentiert, die hier im einzelnen nicht wiedergegeben werden können, worauf umso mehr verzichtet werden kann, als die Materialien in komprimierter Form 172 Seiten des Bandes 46 der vom Deutschen Wetterdienst herausgegebenen „Annalen der Meteorologie“ füllen, der dankenswerterweise bereits zu Tagungsbeginn vorlag. Gegliedert waren die Beiträge in die drei Themenkomplexe: Geschichte der Klimabeobachtungen – Messungen und Beobachtungen im Klimasystem mit seinen Komponenten – Aktuelle Forschungsaktivitäten in den Klimasystemelementen und ihre Resonanz im öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs.

Mit den nahezu auf den Tag genau vor 200 Jahren an der Jenaer Sternwarte unter Goethes Oberaufsicht begonnenen und am gleichen Standort bis heute fortgeführten meteorologischen Beobachtungen steht eine der längsten Messreihen in Deutschland zur Verfügung, die, in jüngerer Zeit schon mehrfach bearbeitet, in mehreren Beiträgen besonders in Bezug auf den aktuellen Klimawandel und auf regionale Anpassungsstrategien auf dem Kolloquium diskutiert wurde. Beachtung verdienen darüber hinaus weitere Beobachtungsdaten aus dem mitteldeutschen Raum im 18. und 19. Jahrhundert, deren Nutzung noch die Fortsetzung von Archivstudien voraussetzt. Andere Vorträge waren der Anwendung moderner statistischer Verfahren der Zeitreihenanalyse, so zur Bestimmung der Eintrittswahrscheinlichkeit extremer Ereignisse und zur Erfassung von Klimaänderungen an Hand des Verhaltens objektiv klassifizierter Zirkulations- und Klimatypen, gewidmet.

Neben der Analyse lokaler und regionaler Witterungs- und Klimaphänomene in ihrer raumzeitlichen Ausprägung wurden Stand und Anwendung des Atmosphärenmonitorings mittels Radar- und Satellitentechnik, ebenso aber auch das Verhalten von hydro-, kryo-, bio- und lithosphärischen Parametern des Klimasystems in unterschiedlichen Scale-Bereichen stichpunktartig behandelt. Der Leibnizschen „Theoria cum Praxi“-Forderung wurde mit der Beschreibung von Auswirkungen des beobachteten wie des in unterschiedlichen Projektionen abgebildeten künftigen Klimawandels auf die Lebensumwelt bis hin zu Anwendungen zum Beispiel im Rahmen von regionalen Klimafolgestudien oder der bemerkenswerten Jenaer Klimaanpassungsstrategie (JenKAS) entsprochen.

In diesem Sinne kann man die eingangs genannten Veranstalter zu dem gelungenen Jubiläumskolloquium uneingeschränkt beglückwünschen, das über den historischen Aspekt hinaus angesichts des nahezu zeitgleich veröffentlichten sechsten Sachstandsberichtes der IPCC Working Group I – Climate Change 2013: The Physical Science Basis – von hoher Aktualität ist.

2.) Zu einer Veranstaltung betont wissenschaftshistorischen Charakters hatte die Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt für den 18./19. Oktober 2013 in das stilvolle Ambiente der Kleinen Synagoge Erfurt eingeladen.

Die Tagung zum Thema „Von Kometen, Windhosen, Hagelschlag und Wetterballons – Beiträge zur Geschichte der Meteorologie“ wurde mit einem Grußwort des Präsidenten der drittältesten deutschen Wissenschaftsakademie, Klaus Manger, und der Begrüßung durch Ingrid Kästner, Leiterin der seit 2008 tätigen Projektgruppe „Europäische Wissenschaftsbeziehungen“, eingeleitet.

Elf Vorträge spannten den Bogen von den Vorstellungen Otto von Guerickes (1602-1686) über Unwetter und Kometen, die Fritz Krafft (Marburg) an Hand originaler Texte erläuterte und dabei auf etliche Ungenauigkeiten und Fehlinterpretationen in vorliegender Literatur verwies, bis zu den Ausführungen von Ingrid Kästner (Leipzig) zu Wetter, Klima und Medizin mit Schwerpunktsetzung im 20. Jahrhundert und mit Hinweisen auf weiteren Forschungsbedarf in der Gegenwart. In der Erfurter Akademie selbst kulminierte nach den verlesenen Ausführungen von Jürgen Kiefer, Generalsekretär der Akademie, die von Anfang an betriebene Beschäftigung mit meteorologischen Problemen zunächst in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts auch mit internationaler Wirksamkeit, darunter der Teilnahme am Beobachtungsnetz der Societas Meteorologica Palatina, deren Tätigkeit –insbesondere das von 1781-1792 bestehende „weitsichtige meteorologische Netzwerk“ Cornelia Lüdecke (München) beschrieb (vgl. auch Leibniz Intern 32, 2006, S. 13-14).

Dem zeitlichen Schwerpunkt des 19. Jahrhunderts zuzuordnen waren der Vortrag von Norman Pohl (Freiberg) über Wilhelm August Lampadius (1772-1842) der ein Lehrbuch der „Atmosphärologie“ verfasste, ein gemeinsamer Beitrag von Mathias Deutsch (Göttingen) und Michael Börngen (Leipzig) über Wolkenforschung im 19. Jahrhundert (dazu auch Leibniz Intern 19, 2003, S. 18) sowie der Vortrag von Petra Werner (Berlin) zu Meteorologie und Pflanzengeographie in A. v. Humboldts Werk. Karl-Heinz Bernhardt (Berlin) stellte Goethes Wolkenstudien in den weiteren Zusammenhang mit der Erforschung der freien Atmosphäre, insbesondere durch die wissenschaftlichen Freiballonfahrten im 19. Jahrhundert.

Einen weiten Zeithorizont von der Antike bis zur Gegenwart umspannte der brillante Vortrag unseres Mitgliedes Detlev Möller (Cottbus/Berlin) zur Geschichte der Erforschung von Hydrometeoren speziell aus der – in der Meteorologiegeschichte leider häufig stiefmütterlich behandelten – stofflich-chemischen Sicht.

Besondere Beachtung im Sinne (gesamt)europäischer Wissenschaftsbeziehungen verdienen schließlich die Vorträge von Dietrich M. Mathias (Bergisch Gladbach) über meteorologische Forschungen des in Russland noch heute verehrten deutschen Arztes Joseph Haass (1780-1853), darunter im Kaukasus (1809/10), sowie von Bożena Płonkza-Syroka (Wrocław) über Untersuchungen des Zusammenhangs zwischen Witterungs- und Krankheitsgeschehen an der Universität Wilna in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Ein präzis eingehaltener Zeitplan ermöglichte fruchtbare Diskussionen unter den etwa zwei dutzend Teilnehmern. Eine Führung zu stadt- und wissenschaftshistorisch bemerkenswerten Orten in der Erfurter Altstadt durch Matthias Deutsch rundete das Tagungsgeschehen vortrefflich ab.

Die vorgetragenen Beiträge sollen als Band 8 der Reihe „Europäische Wissenschaftsbeziehungen“ erscheinen – eine Folge gediegener Tagungsberichte, von denen beispielsweise Band 4, „Beschreibung, Vermessung und Visualisierung der Welt“, 2012, 459 S., die Beiträge einer Tagung vom 6. bis 8. Mai 2011 an der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt enthält. Im Jahr 2013 sind bereits die Bände 5 und 6 mit Beiträgen von Tagungen zur Geschichte von Heilkunde und Heilmitteln bzw. zu Leibniz und die gelehrte Welt um 1700 erschienen. Die im Shaker Verlag Aachen verlegten Bände können zu ca. einem Viertel des Kaufpreises auch als PDF heruntergeladen werden – ein bemerkenswerter Lösungsansatz im Streit um herkömmliche Print- versus ausschließlicher Open Access Version wissenschaftlicher Publikationen.

Karl-Heinz Bernhardt