Neologismen scheinen die Eigenschaft einer größeren Nähe zwischen Worthülle und Begriff zu haben als die übrigen Elemente des Wortschatzes einer Sprache, denn sie entstehen in einem konkreten Kontext und aus einem konkreten Bedarf heraus, ihre „ursprüngliche“ Bedeutung ist mehr oder weniger evident. Erst mit zunehmender Frequenz ergibt sich eine wachsende Diversifizierung der mental repräsentierten Inhalte des Begriffs, bedingt u.a. durch individuellen, vielfachen Einflüssen unterliegenden Sprachgebrauch, durch Gruppenbildung, sowie durch die zunehmende Entfernung des Begriffs von seinem etymologischen Ursprung auf der Zeitachse. Vitale größere Sprachgemeinschaften wirken wie ein „Filter“, welcher der wachsenden Bedeutungsdiversifizierung entgegenwirkt.
In diesem Kontext stehen bedrohte Sprache im Revitalisierungsprozess vor besonderen Herausforderungen, weil sie, historisch bedingt, einen außerordentlich hohen Bedarf an Neologismen haben. Diese werden häufig durch Institutionen, welche den Revitalisierungsprozess begleiten, auch ohne konkreten Anlass oder Bedarf, künstlich geschaffen. Der Einfluss dieser Institutionen auf die Wahl von Worten und Wortschatzelementen bei der Schaffung von Neologismen ist beträchtlich. Damit besteht auch die Gefahr einer bewussten oder unbewussten mentalen Manipulation im Prozess der Begriffsbildung. Selbst bedenkliche Fehlleistungen sind zu beobachten. Im Vortrag soll dieses Problem anhand zahlreicher Fallbeispiele, darunter auch historischer, näher beleuchtet werden. Neologismen aus dem Bereich des wissenschaftlich-technischen Fachwortschatzes, für die einige Besonderheiten gelten, werden dabei bewusst ausgeklammert.
CV
Wilfried Baumgarten, geb. 1950, Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin seit 2016, erwarb 1975 das Sprachmittler-Diplom für Englisch und Arabisch an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Während seiner 15jährigen Praxis als Sprachmittler studierte er Ökonomie und spezialisierte sich auf die Agrargeschichte Israels. 1986 wurde er zum Dr. oec. promoviert und unterrichtete danach u.a. die Fächer Politische Ökonomie und Wirtschaft der Länder des Nahen Ostens in arabischer Sprache. Seit 2006 lehrte er Arabisch und Hebräisch in München. 2008 begann er, sich intensiv mit polynesischen und weiteren Sprachen zu befassen. Aloha kākou! (Gilching 2013), Arabisch im Geschäftskontakt (Hamburg 2015), Faʻaitoito! (Grafenau 2016, mit Hereiti Arapari), Wörterbuch Hawaiianisch-Deutsch (3., überarbeitete und erweiterte Auflage Grafenau 2022), Elativformen semantisch betrachtet (Leibniz Online 2018) sind einige seiner Publikationen. Gegenwärtig konzentriert er sich auf hawaiianische Lexikographie und auf semantische Implikationen grammatischer Formen und Strukturen. Einen jüngeren Zweig seiner Studien bilden die nordischen Sprachen mit den Schwerpunkten Norwegisch und Alt-Isländisch. Er ist Mitglied im Arbeitskreis Mentale Repräsentationen der Leibniz-Sozietät, im Redaktionskollegium der Leibniz-Sozietät, sowie in der Viking Society for Northern Research.
Nächste Sitzung des Arbeitskreises „Mentale Repräsentationen“
am 15. Juni 2023, um 10-12 Uhr (Zoom-Sitzung)
Referent: Wilfried Baumgarten (MLS)
Thema: Neologismen und Bewusstseinsprägung
Beitrittslink:
https://us02web.zoom.us/j/85217707877?pwd=S3NwQVRiMVBLSFgxaXJNbEFCczQ1QT09
Zusammenfassung
Neologismen scheinen die Eigenschaft einer größeren Nähe zwischen Worthülle und Begriff zu haben als die übrigen Elemente des Wortschatzes einer Sprache, denn sie entstehen in einem konkreten Kontext und aus einem konkreten Bedarf heraus, ihre „ursprüngliche“ Bedeutung ist mehr oder weniger evident. Erst mit zunehmender Frequenz ergibt sich eine wachsende Diversifizierung der mental repräsentierten Inhalte des Begriffs, bedingt u.a. durch individuellen, vielfachen Einflüssen unterliegenden Sprachgebrauch, durch Gruppenbildung, sowie durch die zunehmende Entfernung des Begriffs von seinem etymologischen Ursprung auf der Zeitachse. Vitale größere Sprachgemeinschaften wirken wie ein „Filter“, welcher der wachsenden Bedeutungsdiversifizierung entgegenwirkt.
In diesem Kontext stehen bedrohte Sprache im Revitalisierungsprozess vor besonderen Herausforderungen, weil sie, historisch bedingt, einen außerordentlich hohen Bedarf an Neologismen haben. Diese werden häufig durch Institutionen, welche den Revitalisierungsprozess begleiten, auch ohne konkreten Anlass oder Bedarf, künstlich geschaffen. Der Einfluss dieser Institutionen auf die Wahl von Worten und Wortschatzelementen bei der Schaffung von Neologismen ist beträchtlich. Damit besteht auch die Gefahr einer bewussten oder unbewussten mentalen Manipulation im Prozess der Begriffsbildung. Selbst bedenkliche Fehlleistungen sind zu beobachten. Im Vortrag soll dieses Problem anhand zahlreicher Fallbeispiele, darunter auch historischer, näher beleuchtet werden. Neologismen aus dem Bereich des wissenschaftlich-technischen Fachwortschatzes, für die einige Besonderheiten gelten, werden dabei bewusst ausgeklammert.
CV
Wilfried Baumgarten, geb. 1950, Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin seit 2016, erwarb 1975 das Sprachmittler-Diplom für Englisch und Arabisch an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Während seiner 15jährigen Praxis als Sprachmittler studierte er Ökonomie und spezialisierte sich auf die Agrargeschichte Israels. 1986 wurde er zum Dr. oec. promoviert und unterrichtete danach u.a. die Fächer Politische Ökonomie und Wirtschaft der Länder des Nahen Ostens in arabischer Sprache. Seit 2006 lehrte er Arabisch und Hebräisch in München. 2008 begann er, sich intensiv mit polynesischen und weiteren Sprachen zu befassen. Aloha kākou! (Gilching 2013), Arabisch im Geschäftskontakt (Hamburg 2015), Faʻaitoito! (Grafenau 2016, mit Hereiti Arapari), Wörterbuch Hawaiianisch-Deutsch (3., überarbeitete und erweiterte Auflage Grafenau 2022), Elativformen semantisch betrachtet (Leibniz Online 2018) sind einige seiner Publikationen. Gegenwärtig konzentriert er sich auf hawaiianische Lexikographie und auf semantische Implikationen grammatischer Formen und Strukturen. Einen jüngeren Zweig seiner Studien bilden die nordischen Sprachen mit den Schwerpunkten Norwegisch und Alt-Isländisch. Er ist Mitglied im Arbeitskreis Mentale Repräsentationen der Leibniz-Sozietät, im Redaktionskollegium der Leibniz-Sozietät, sowie in der Viking Society for Northern Research.
Details