Der ostdeutsche Lyriker Johannes Bobrowski (1917–1965) und sein „Zuchtmeister“ Klopstock
Abstract
Im Herbst 1964 war Johannes Bobrowskis Roman Levins Mühle gleichzeitig im Union-Verlag (DDR) und im Fischer-Verlag (BRD) erschienen. In mehreren Interviews wurde der über Nacht berühmt gewordene Autor nach den Anfängen seines Schreibens gefragt, so auch von Irma Reblitz im März 1965:
„Ich wollte, und das ist der Anfang meiner Schreiberei, damals – das ist 1943/44 gewesen – die russische Landschaft festlegen. Es gibt da Schilderungen nicht nur bei Paustowski, sondern schon bei Tolstoi, diese Winterschilderungen, wo versucht wird, diese Landschaft wirklich in den Griff zu bekommen, außerhalb der einfachen Beschreibung. Diese Landschaft, die mir vertraut war, weil ich da oben aufgewachsen bin, die mir aber damals – vor allem unter den Umständen, in denen ich damals wieder reingeführt wurde in den russischen Osten – doch neu und bestürzend vorkam, die wollte ich darstellen. Ich habe es mit Zeichnen und dann mit Prosa probiert. Schließlich fand ich ein Hilfsmittel: die griechische Ode in der von Klopstock bis Hölderlin versuchten Eindeutschung. In dieser Form also, in der alkäischen, sapphischen Strophe entstanden meine ersten Versuche. Dann habe ich das Schreiben wieder bleiben lassen eine ganze Zeit. Erst nach der Gefangenschaft, also erst 1952, als ich schon eine Weile wieder in Deutschland war, habe ich es noch einmal aufgenommen, nun eigentlich sofort in einer äußerlich freien Form – die allerdings für Leute, die von Metrik etwas verstehen, ziemlich deutlich die griechischen Odenstrophen und Versschemata verrät.“ (Interview Irma Reblitz, März 1965; GW IV: 480)
Schon 1961 hatte Bobrowski Klopstock als seinen „Zuchtmeister“ bezeichnet. Im Vortrag soll untersucht werden, was darunter ganz konkret – also auch verstechnisch – zu verstehen sein dürfte. Das wird u. a. an Bobrowskis 1942/43 und erneut Mitte der 1950er Jahre geschriebenen „Russland-Gedichten“ auf das nach dem Überfall auf die Sowjetunion zerstörte Nowgorod gezeigt. Zugleich möchte der Vortrag an die Bedeutung des vor 300 Jahren in Quedlinburg geborenen Dichters Klopstock für die grundlegende Erneuerung der deutschen Literatursprache erinnern.
Vita:
Univ.-Prof. (i.R.) Dr. Dr. h.c. mult. Andreas F. Kelletat, geboren 1954 in Hamburg, machte 1975 in Opladen/Rheinland das Abitur. Im Anschluss arbeitete er als Kriegsdienstverweigerer 1 ½ Jahre als Pfleger in einer psychiatrischen Klinik. Von 1977 bis 1983 studierte er in Köln Germanistik, Skandinavistik (einschl. Fennistik) und Osteuropäische Geschichte. Das Studium beendete er mit einer Doktorarbeit über Herder und die Weltliteratur. Zur Geschichte des Übersetzens im 18. Jahrhundert.
Ab 1984 arbeitete Kelletat zunächst als Deutsch-Lektor, dann als Professor an der Universität Vaasa (Finnland). 1993 kehrte er nach Deutschland zurück. Als Leiter des Arbeitsbereichs Interkulturelle Germanistik war er bis 2020 am Germersheimer Fachbereich der Johannes Gutenberg-Universität Mainz für die Ausbildung von Studierenden zu Übersetzern und Dolmetschern verantwortlich. Ca. 1000 Studierende aus aller Welt, die das Deutsche als Fremdsprache erlernt hatten, haben bei ihm ihre sprach-, literatur-, kultur- bzw. übersetzungswissenschaftlichen Diplom- bzw. MA-Arbeiten geschrieben. In gut 20 Promotionsvorhaben war er als Betreuer der Dissertationen eingebunden.
Von den Universitäten Riga (2000), Vilnius (2010) und Wolgograd (2018) wurde ihm die Ehrendoktorwürde verliehen.
Seine Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Geschichte des Übersetzens, Deutsche Literatur und Kultur im internationalen Kontext, Exilliteratur, Deutsch-nordosteuropäische Kulturbeziehungen, Analyse und Interpretation hermetischer Lyrik. Kelletat ist Initiator und Mitherausgeber des digitalen Germersheimer Übersetzerlexikons (uelex.de).
Neben wissenschaftlichen hat er auch literarische Texte veröffentlicht, zuletzt den Roman Von Christus zu Hitler. Eine Jugend in Ostpreußen (2022).
Weitere Informationen finden sich unter www.andreas-f-kelletat.de.
Hinweis:Nach dem Ende der Klassensitzung erfolgt durch den Klassensekretar die Vorstellung der für die Zuwahl 2025 eingereichten Zuwahlvorschläge aus der Klasse. Nur die anwesenden Mitglieder der Klasse nehmen an dieser Information teil. In geheimer Abstimmung wird über die Aufnahme der vorgeschlagenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in die Kandidatenliste für die Zuwahl in die Leibniz-Sozietät entschieden.
Sitzung der Klasse für Sozial- und Geisteswissenschaften
Ort: Raum 001 in der Universitätsstraße 3b.
Die Sitzung findet als Hybrid-Veranstaltung (Präsenz und Zoom) statt.
https://us06web.zoom.us/j/81573796976?pwd=QBTkt8a6aFbSCH0jTYtHdrniGZn2nQ.1
Vortrag
Andreas F. Kelletat (MLS)
Der ostdeutsche Lyriker Johannes Bobrowski (1917–1965) und sein „Zuchtmeister“ Klopstock
Abstract
Im Herbst 1964 war Johannes Bobrowskis Roman Levins Mühle gleichzeitig im Union-Verlag (DDR) und im Fischer-Verlag (BRD) erschienen. In mehreren Interviews wurde der über Nacht berühmt gewordene Autor nach den Anfängen seines Schreibens gefragt, so auch von Irma Reblitz im März 1965:
„Ich wollte, und das ist der Anfang meiner Schreiberei, damals – das ist 1943/44 gewesen – die russische Landschaft festlegen. Es gibt da Schilderungen nicht nur bei Paustowski, sondern schon bei Tolstoi, diese Winterschilderungen, wo versucht wird, diese Landschaft wirklich in den Griff zu bekommen, außerhalb der einfachen Beschreibung. Diese Landschaft, die mir vertraut war, weil ich da oben aufgewachsen bin, die mir aber damals – vor allem unter den Umständen, in denen ich damals wieder reingeführt wurde in den russischen Osten – doch neu und bestürzend vorkam, die wollte ich darstellen. Ich habe es mit Zeichnen und dann mit Prosa probiert. Schließlich fand ich ein Hilfsmittel: die griechische Ode in der von Klopstock bis Hölderlin versuchten Eindeutschung. In dieser Form also, in der alkäischen, sapphischen Strophe entstanden meine ersten Versuche. Dann habe ich das Schreiben wieder bleiben lassen eine ganze Zeit. Erst nach der Gefangenschaft, also erst 1952, als ich schon eine Weile wieder in Deutschland war, habe ich es noch einmal aufgenommen, nun eigentlich sofort in einer äußerlich freien Form – die allerdings für Leute, die von Metrik etwas verstehen, ziemlich deutlich die griechischen Odenstrophen und Versschemata verrät.“ (Interview Irma Reblitz, März 1965; GW IV: 480)
Schon 1961 hatte Bobrowski Klopstock als seinen „Zuchtmeister“ bezeichnet. Im Vortrag soll untersucht werden, was darunter ganz konkret – also auch verstechnisch – zu verstehen sein dürfte. Das wird u. a. an Bobrowskis 1942/43 und erneut Mitte der 1950er Jahre geschriebenen „Russland-Gedichten“ auf das nach dem Überfall auf die Sowjetunion zerstörte Nowgorod gezeigt. Zugleich möchte der Vortrag an die Bedeutung des vor 300 Jahren in Quedlinburg geborenen Dichters Klopstock für die grundlegende Erneuerung der deutschen Literatursprache erinnern.
Vita:
Univ.-Prof. (i.R.) Dr. Dr. h.c. mult. Andreas F. Kelletat, geboren 1954 in Hamburg, machte 1975 in Opladen/Rheinland das Abitur. Im Anschluss arbeitete er als Kriegsdienstverweigerer 1 ½ Jahre als Pfleger in einer psychiatrischen Klinik. Von 1977 bis 1983 studierte er in Köln Germanistik, Skandinavistik (einschl. Fennistik) und Osteuropäische Geschichte. Das Studium beendete er mit einer Doktorarbeit über Herder und die Weltliteratur. Zur Geschichte des Übersetzens im 18. Jahrhundert.
Ab 1984 arbeitete Kelletat zunächst als Deutsch-Lektor, dann als Professor an der Universität Vaasa (Finnland). 1993 kehrte er nach Deutschland zurück. Als Leiter des Arbeitsbereichs Interkulturelle Germanistik war er bis 2020 am Germersheimer Fachbereich der Johannes Gutenberg-Universität Mainz für die Ausbildung von Studierenden zu Übersetzern und Dolmetschern verantwortlich. Ca. 1000 Studierende aus aller Welt, die das Deutsche als Fremdsprache erlernt hatten, haben bei ihm ihre sprach-, literatur-, kultur- bzw. übersetzungswissenschaftlichen Diplom- bzw. MA-Arbeiten geschrieben. In gut 20 Promotionsvorhaben war er als Betreuer der Dissertationen eingebunden.
Von den Universitäten Riga (2000), Vilnius (2010) und Wolgograd (2018) wurde ihm die Ehrendoktorwürde verliehen.
Seine Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Geschichte des Übersetzens, Deutsche Literatur und Kultur im internationalen Kontext, Exilliteratur, Deutsch-nordosteuropäische Kulturbeziehungen, Analyse und Interpretation hermetischer Lyrik. Kelletat ist Initiator und Mitherausgeber des digitalen Germersheimer Übersetzerlexikons (uelex.de).
Neben wissenschaftlichen hat er auch literarische Texte veröffentlicht, zuletzt den Roman Von Christus zu Hitler. Eine Jugend in Ostpreußen (2022).
Weitere Informationen finden sich unter www.andreas-f-kelletat.de.
Hinweis: Nach dem Ende der Klassensitzung erfolgt durch den Klassensekretar die Vorstellung der für die Zuwahl 2025 eingereichten Zuwahlvorschläge aus der Klasse. Nur die anwesenden Mitglieder der Klasse nehmen an dieser Information teil. In geheimer Abstimmung wird über die Aufnahme der vorgeschlagenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in die Kandidatenliste für die Zuwahl in die Leibniz-Sozietät entschieden.
Details
Veranstaltungsort
Berlin, 10117 Google Karte anzeigen
Veranstalter