Die Leibniz Sozietät trauert um ihren ehemaligen Vizepräsidenten Lothar Kolditz

Die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V. trauert um ihr Mitglied,
den Chemiker Prof. Dr. habil. Dr. h. c. Lothar Kolditz, der am 7. Mai 2025 in Steinförde verstorben ist
Mit Betroffenheit und großer Trauer hat die Leibniz-Sozietät die Nachricht vernommen, dass Lothar Kolditz am 7. Mai 2025 verstorben ist. Dieses sehr schmerzliche Ereignis ist Anlass, unseres langjährigen Freundes und Kollegen voller Hochachtung zu gedenken.
Lothar Kolditz wurde am 30. September 1929 in Albernau in der heutigen Gemeinde Zschorlau im Erzgebirge geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Aue und dem Abitur studierte er von 1948 bis 1952 Chemie an der Humboldt-Universität zu Berlin (HUB) mit dem Abschluss als Diplomchemiker. Hier wurde er 1954 auch zum Dr. rer. nat. promoviert. Seine Dissertation fertigte er unter Anleitung von Erich Thilo (1898-1977) zum Thema „Über Polyarsenatophosphate“ an. Anschließend habilitierte er sich 1957 mit der Arbeit „Über Verbindungen von fünfwertigem Phosphor, Arsen und Antimon mit Fluor und Chlor“. Nach seiner Habilitation nahm er eine Berufung zum Professor mit Lehrauftrag für anorganische und Radiochemie an der Technischen Hochschule Leuna-Merseburg an. Schon zwei Jahre später wurde er an die Friedrich-Schiller-Universität Jena berufen. Dort war er bis 1962 Professor für anorganische Chemie und leitete als Direktor das Anorganisch-Chemische Institut. 1962 kehrte Lothar Kolditz an die Humboldt-Universität zu Berlin zurück, zunächst als Professor mit Lehrstuhl und Direktor des ersten Chemischen Instituts. Nach der im Jahr 1968 erfolgten 3. Hochschulreform der DDR übernahm er von 1971 bis 1979 die Funktion des Direktors der Sektion Chemie der HUB. Von 1980 bis 1990 war er an der Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW) als Direktor des Zentralinstituts für Anorganische Chemie (ZIAC) tätig. Das ZIAC war 1971 durch Vereinigung des 1952 gegründeten Instituts für anorganische Chemie und des 1951 gegründeten Instituts für angewandte Silicatforschung entstanden.
Mit der Auflösung der AdW – und damit auch des ZIAC – zum 31. Dezember 1991 ging Lothar Kolditz in den Vorruhestand.
Lothar Kolditz gehörte 1993 zu den etwa 100 Mitgliedern der ehemaligen, nunmehr „abgewickelten“ AdW, die der im April gegründeten Leibniz-Sozietät e. V. (LS) beitraten. Zum Korrespondierenden Mitglied der AdW war er 1969 gewählt worden, zum Ordentlichen Mitglied 1972. Stattlich war die Liste seiner sonstigen Auszeichnungen und Ehrungen bis zum Zeitpunkt der Gründung der LS:
- 1971 Ehrenmitglied der Tschechoslowakischen Chemischen Gesellschaft
- 1972 Nationalpreis III. Klasse der DDR
- 1976 Clemens-Winkler-Medaille der Chemischen Gesellschaft der DDR
- 1983 Dr. h. c. an der Bergakademie Freiberg
- 1984 Vaterländischer Verdienstorden der DDR in Gold
- 1988 Auswärtiges Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR
- (1992 dann Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften)
- 1989 Hervorragender Wissenschaftler des Volkes der DDR
- 1989 Ehrenmitglied der Chemischen Gesellschaft der DDR.
Die Chronik zu „30 Jahren Leibniz-Sozietät“ (vgl. Abhandlungen der Leibniz-Sozietät, Band 75) weist die beständig aktive Teilnahme von Lothar Kolditz am wissenschaftlichen Leben der Sozietät aus. Das belegen auch seine zahlreichen Publikationen in den Sitzungsberichten der Leibniz-Sozietät (SB). Einige Beiträge seiner interdisziplinären Betrachtungen wurden besonders breit diskutiert, z. B. die Themen:
- „Evolution – Intelligenz – Toleranz“, SB 56 (2002) S. 97-105
- „Chemie und Zeit“, SB 80 (2005) S. 115-123
- „Evolution der chemischen Verbindungen“, SB 85 (2006) S. 57-79
- „Festkörperchemie und eine Betrachtung über Dogmen, Theorien, Hypothesen“,
SB 93 (2007) S. 71-89
- „Kollektivität und Emergenz – die Weltformel“, SB 105 (2010) S. 91-106.
In der Leibniz-Sozietät war Lothar Kolditz seit 1996 stellvertretender Sekretar der Klasse Naturwissenschaften, von Mitte 2000 bis Anfang 2009 war er Vizepräsident. Für sein Wirken wurde er mit der Ehrenurkunde der Leibniz-Sozietät ausgezeichnet. Auch für die Vorbereitung einiger Leibniz-Tage und für die Moderation der Toleranz-Konferenzen in Oranienburg übernahm er die Verantwortung.
Sein Wirken als Buchautor bzw. Herausgeber von Fachbüchern setzte schon in den 1950er Jahren ein, als DDR-Lehrbücher noch rar und die in der Bundesrepublik erscheinenden Standardwerke nur schwer zugänglich waren. Die von Lothar Kolditz herausgegebenen, aus dem Russischen (N. I. Blok „Qualitative Analyse“, Berlin 1958) bzw. dem Polnischen (W. Trzebiatowski, „Lehrbuch der Anorganischen Chemie“, Berlin 1963; 7. Aufl. 1976) übersetzten und bearbeiteten Werke haben Studierende der Chemie, Chemikerinnen und Chemiker über viele Jahre begleitet. Spätere umfangreiche Publikationen, die von ihm und seinen Mitarbeitern im Kollektiv erarbeitet wurden, sind die Lehrbücher „Anorganikum“ mit 13 Auflagen (1967-1993) sowie „Anorganische Chemie“ (3 Auflagen ab 1978). Hinzu kommen Hunderte wissenschaftliche Veröffentlichungen in nationalen und internationalen Fachzeitschriften.
Langjährig tätig war Lothar Kolditz in den Redaktionskollegien der Zeitschriften „Urania“ (1960-1962), „Wissenschaft und Fortschritt“ (1964-1990), „Journal of Fluorine Chemistry“ (1971-1991) und „Chemie der Erde“ (1981-1991). Er wirkte als einer der drei Herausgeber der „Zeitschrift für Chemie“ von Beginn 1960 bis zu deren Erlöschen 1990. Von 1988 bis 1990 war er Chefredakteur der „Zeitschrift für anorganische und allgemeine Chemie“, für die er schon fünf Jahre zuvor als ständiger Mitarbeiter des damaligen Chefredakteurs, Prof. Dr. Günther Rienäcker (1904-1989), fungiert hatte. Seine großen Verdienste um den Erhalt dieses traditionsreichen, 1892 begründeten Periodikums als gesamtdeutsche Fachzeitschrift, um die Bereitstellung der immer knappen Papier- und Druck-Kontingente für diese und „seine“ anderen Zeitschriften, sind unbestritten.
Umfangreich war die Tätigkeit von Lothar Kolditz als Wissenschaftskoordinator und Berater, so im Ministerium für Wissenschaft und Technik der DDR, in Einrichtungen des Ministeriums für Chemische Industrie sowie als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates des Ministeriums für das Hoch- und Fachschulwesen der DDR. Er war außerdem Mitglied des Wissenschaftlichen Rates des Forschungsprogramms Chemie der DDR. Als Vorsitzendem des „Wissenschaftlichen Rates der Hauptforschungsrichtung Anorganische Chemie“ oblag es ihm, die Gesamtheit der hier angesiedelten Forschungen an Akademie-Instituten und Hochschul-Einrichtungen zu koordinieren. Diese Aufgabe wurde zum Hauptanliegen der jährlichen, insgesamt elfmal im winterlichen Steinförde nahe Fürstenberg/Havel durchgeführten „Anorganiker-Symposien“. Bei der Diskussion von Forschungsvorhaben und -ergebnissen in den zugeordneten sechs Forschungsrichtungen der anorganischen Chemie waren auch kompetente Vertreter aus Kombinaten und Ministerien zugegen. Unvergessen für alle Teilnehmende bleiben die Abschlussabende am Lagerfeuer mit Waldhorn-Soli des Gastgebers, mit Glühwein und gemeinsamem Gesang aller Sangesfreudigen und Textkundigen. Der Heimweg durch den Schnee führte zum nächsten Höhepunkt. In die gut geheizte Gaststube wurde der gebratene, vielleicht vom Gastgeber selbst erlegte Keiler am Spieß hereingetragen.
Lothar Kolditz übernahm im Laufe seines Lebens mehrere hohe gesellschaftliche Funktionen. Nachdem er 1980 stellvertretender Vorsitzender des Bezirksausschusses Berlin der Nationalen Front geworden war, wurde er 1981 als Nachfolger von Erich Correns (1896-1981) zum Präsidenten des Nationalrates der Nationalen Front des demokratischen Deutschlands gewählt. Erst spät, bei Versammlungen im bewegten Herbst 1989, verstanden seine Mitarbeiter am ZIACdass der Inhaber solch einer hohen Funktion in der DDR-Hierarchie dennoch nur relativ begrenzte Einflussmöglichkeiten hatte, da jede öffentliche Äußerung von ihm zuvor der Abstimmung mit allen in der Volkskammer vertretenen Parteien und Massenorganisationen bedurfte. Trotzdem war ein ausgleichendes Wirken zur Förderung der Wissenschaft und die Unterstützung von Vorhaben zum Nutzen der Wirtschaft und somit der Bevölkerung möglich. Seit 1982 war Lothar Kolditz Mitglied des Staatsrates der DDR, seit 1983 Mitglied des Präsidiums des Zentralvorstands der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft und seit 1986 Abgeordneter der Volkskammer der DDR für die Fraktion des Kulturbundes.
Die Leibniz-Sozietät verliert mit Lothar Kolditz einen hoch angesehenen und verdienstvollen Kollegen. Die Mitglieder unserer Gelehrtengesellschaft werden ihm ein bleibendes Andenken bewahren. Den Hinterbliebenen bekunden wir unser tief empfundenes Beileid.
Dietmar Linke, Gerhard Pfaff, Wolfgang Schiller
Foto: Dietmar Linke