Bericht über die Plenartagung „Molekulare Netzwerke in Biologie und Medizin“

Am 6. April 2017 fand eine gemeinsame Klassensitung beider Klassen der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e. V. zum Thema „Molekulare Netzwerke in Biologie und Medizin“ statt. Für diese Tagung gelang es, hervorragende Vertreter der Systemmedizin aus führenden medizinischen und pharmazeutischen Institutionen Deutschlands und Österreichs zu gewinnen.

In der Einführung charakterisierte Prof. Lutz-Günther Fleischer (MLS), Sekretär der Klasse Naturwissenschaften und Technikwissenschaften, Berlin, allgemeine Eigenschaften von Netzwerken.
Netzwerke und ihre Modelle sind typische reale sowie seins/sachbeschreibende und wissensorganisierende dynamische Raumstrukturen hoch komplexer, insbesondere Leben tragender Systeme. Charakteristisch verkettete und verflochtene emergente Netzwerke unterschiedlichster Organisationsniveaus tragen und sichern im Organismus lebenswichtige steuernde und regelnde Funktionalitäten.

Molekulare Netzwerke determinieren in Organisationsebenen von Genen, Proteinen und Metaboliten sowie bei mikroskopischen/molekularen Betrachtungsweisen die funktionell-strukturellen Konstellationen und die Wirkungsvielfalt; sie präformieren zudem den Charakter makroskopischer Zustände und Prozesse. Der Beitrag erscheint  in Kürze in der Zeitschrift  Leibniz-Online Nr.28 (2017)

Prof. Hermann-Georg Holzhütter, Leiter der Forschungsgruppe Systembiochemie im Institut für Biochemie der Charité, Berlin, stellte die Systembiologie als ein neues Forschungsgebiet vor, welches sich im Ergebnis der Entschlüsselung des Humangenoms etabliert hat. Ziel der Systembiologie ist die Aufklärung molekularer Netzwerke, die auf Zell-, Gewebe- und Organebene in ihrer gegenseitigen Verflechtung die phänotypische Ausprägung genetisch angelegter Merkmale und Eigenschaften eines Individuums kontrollieren (Genotyp-Phänotyp-Beziehung im Kontext der Umgebungsfaktoren). An verschiedenen medizinisch-relevanten Netzwerken und biologischen Prozessen, zeigte er, wie die Computer Simulation von biochemischen, pathobiochemischen und molekularen Reaktionsnetzwerken die Entwicklung von mathematischen Modellen und damit ein tieferes Verständnis wesentlicher Eigenschaften erlaubt. Beispiele sind „Hepatosys“ (Systemtheorie von Leberzellen), „Virtual Liver“ (Multiskalen-Modellierung der  Leber) und “LiSym” (Systembiologie der Leber mit klinischen Anwendungen).

Charakteristisch für die Systembiologie ist die Einführung und  Verwendung von sogenannten Hochdurchsatz (“high-throughput”)-Methoden, mit deren Hilfe Nukleinsäure, Protein- und Metabolitdaten genomweit erhoben werden können. Die Herausforderung an Biostatistik und mathematische Modellbildung besteht darin, auf Basis dieser stetig anwachsenden Datenmenge schrittweise prädiktive Computermodelle molekularer Netzwerke zu entwickeln.

Der Beitrag von Prof. Holzhütter kann als Powerpoint Präsentation mit Kommentaren eingesehen werden.

Prof. Ulrich Stelzl vom Institut für Pharmazeutische Wissenschaften an der Universität Graz betonte, dass molekulare Netzwerke das Zusammenwirken der Moleküle innerhalb einer Zelle umfassend beschreiben können. Dabei zeigen Zellen untereinander und zu unterschiedlichen Zeitpunkten oder bei krankhaften Veränderungen tausende physiologisch relevante molekulare Unterschiede. Diese können genetische Variationen, Veränderungen der Proteinmengen oder Veränderungen der Proteine durch Modifizierungen sein. Netzwerke sind somit eine Basis, um besser ursächliche von nebensächlichen Veränderungen unterscheiden zu können. Dadurch sind sie als Grundlage zur Genom- und Proteom-Analyse essentiell und mittelbar auch in der Medizin von großer Bedeutung. Mehr Informationen über die Arbeiten von Prof. Stelzl sind auf der Webseite des Institutes zu erhalten.

Prof. Marius Ueffing vom Forschungsinstitut für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Tübingen behandelte Proteinnetzwerke bei Erkrankungen der Netzhaut des Auges. Verfahren der Massenspektrometrie ermöglichen die Identifizierung und Quantifizierung einer Vielzahl von Proteinen (Proteom) in einem Gewebe, einer Körperflüssigkeit oder einem Organismus bis hin zur Spurenanalyse. Er zeigte, dass in Verbindung mit bioinformatischen Analysen es zunehmend besser gelingt, molekulare Zusammenhänge von Lebensfunktionen und deren krankheitsbedingte Störungen aufzuklären. Basierend auf dem daraus resultierenden Verständnis ergeben sich neue Zugänge zur Diagnose und Behandlung von Netzhauterkrankungen. Mittels affinitäts-basierter Analysemethoden in Verbindung mit quantitativer Massenspektrometrie ist es möglich, qualitative und quantitative Veränderungen in Proteinnetzwerken und Signalketten zu identifizieren, die mit einem molekularen Krankheitsprozess korrelieren. Schwerpunkt des Vortrages war die Aufklärung der Pathomechanismen von Ciliopathien, einer großen Gruppe erblicher seltener Erkrankungen, die zur Erblindung und Hörverlust, aber auch zu schweren syndromalen Erkrankungen führen können. Hierbei handelt es sich um Defekte von Cilien in den Photorezeptoren.
Mehr Informationen hier.

Dr. Annette Deichmann, wissenschaftliche Koordinatorin in der Abteilung Translationale Onkologie des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg sowie Gesellschafterin und Geschäftsführerin der 2014 gegründeten Start-up Firma GeneWerk GmbH, sprach über die Möglichkeiten zu einer sicheren Gen-Therapie.

Gentherapien stellen einen vielversprechenden Therapieansatz bei Erkrankungen mit genetischem Hintergrund dar. Das Grundprinzip dieser Therapieform ist, defekte Gene durch das Einbringen gesunder Gene zu ersetzen, um Schäden im menschlichen Erbgut zu kompensieren. Virale Vektoren haben sich hierbei als verlässliche genetische Transportvehikel etabliert. Wie klinische Studien gezeigt haben, ist das Risiko einer Insertionsmutagenese durchaus gegeben und darf nicht wie ursprünglich gedacht als eher hypothetisch betrachtet werden. Die Einführung von Next-Generation Sequencing (NGS)-Technologien und speziell entwickelter bioinformatischer Analyseprogramme hat die Tiefe der Analysen und das Monitoring individueller genetisch veränderter Zellen substantiell verbessert. Die Sicherheit gentherapeutischer Verfahren kann durch Genom-weite Insertionsanalysen viraler und nicht-viraler Vektorsysteme überprüft und verbessert werden. Der Beitrag erscheint  in Kürze in der Zeitschrift  Leibniz-Online Nr.28 (2017)

Prof. em. Johann Gross zeigte am Beispiel von Erkrankungen infolge Sauerstoffmangel, dass die Nutzung von biostatistischen Datenbanken wie STRING, BIOGRID, Gen-Ontologie (GO) und GenMANIA wichtige Hilfsmittel darstellen, um Erkrankungen besser zu verstehen und neue Forschungsprojekte zu erarbeiten. Es wurden die zahlreichen Assoziationen und Mechanismen zur Anpassung von Zellen an eine Hypoxie über den Transkriptionsfaktors „hypoxia-inducible factor HIF1a“ vorgestellt. Es wurden Anpassungsmechanismen und Folgen von Sauerstoffmangel bei zwei Erkrankungen behandelt, der Höhenkrankheit und des Aufmerksamkeit Defizit Hyperaktivität Syndrom`s (ADHS). Die besondere Bedeutung der perinatalen Hypoxie besteht darin, dass Hypoxie einerseits für die normale embryonale und fetale Entwicklung notwendig ist und andererseits, Hypoxie nicht nur kurzfristige, einmalige Wirkungen entfaltet, sondern Einfluss auf das gesamte spätere Leben des Individuums hat. Ein grundlegender Mechanismus der fetalen Programmierung von Erkrankungen im Erwachsenenalter besteht in der epigenetischen Modifizierung der Genexpression. Der Beitrag erscheint in Kürze in der Zeitschrift  Leibniz-Online Nr.28 (2017)

Johann Gross, MLS