Jüdischer Widerstand gegen den Holocaust – Herausforderungen der Historiographie
Abstract:
Angesichts von etwa sechs Millionen Menschen, die in Europa zwischen 1939 und 1945 im Holocaust starben, die von Deutschen und ihren Helfern erschossen, vergast oder auf andere Weise umgebracht wurden, entstehen nur allzu leicht Vorstellungen einer überwältigenden, unausweichlichen Totalität des Genozids. Der Blick auf die Täter und ihre Gewaltpraktiken verstärkt zusätzlich den Eindruck paralysierter Opfer, die lediglich Objekte in den Händen der Mörder darstellten. Es ist der Mythos angeblicher jüdischer Passivität, der bis in biblische Zeiten zurückreicht: Sie waren wie Lämmer auf dem Weg zur Schlachtbank.
Dabei belegen unzählige Berichte die Aktivitäten der Verfolgten, und nicht zuletzt bezeugen die Überlebenden den unbedingten Willen und die Fähigkeit, die eigene Existenz selbst unter den desaströsen Bedingungen der deutschen Vernichtungsmaschinerie zu behaupten. Die entscheidende Frage ist, wie diese Geschichte zu schreiben ist: Nach 1945 war es die Orientierung am augenfälligen – männlichen – Heldentum, die zum Leitmotiv der Geschichtsschreibung über und zur Erinnerung an jüdischen Widerstand wurde. Dazu kamen nationale bzw. geographisch beschränkte Perspektiven und die Verengung auf bewaffneten Kampf als „eigentlichem“ Widerstand.
Der Vortrag untersucht die Möglichkeiten und Herausforderungen, eine europäische und integrierende Perspektive des jüdischen Widerstands zu schreiben.
CV
Stephan Lehnstaedt, Dr. phil. habil., (2008 LMU München, 2016 TU Chemnitz) ist seit 2016 Professor für Holocaust-Studien an der Touro University, Campus Berlin. Zuvor er hat an der LMU München, der HU Berlin und der London School of Economics gelehrt und war 2010 bis 2016 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut Warschau. 2024 wurde er in die Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin gewählt. Er ist außerdem Mitglied in den wissenschaftlichen Beiräten u.a. der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung (Vorsitzender), der Zeitschrift Przegłąd Zachodni sowie der Jury des Wissenschaftlichen Förderpreises des Botschafters der Republik Polen in Berlin.
Lehnstaedt beschäftigt sich mit Imperialismus, der Geschichte der zwei Weltkriege, dem Holocaust und dessen Wiedergutmachung. Aktuell erarbeitet er gemeinsam mit Paweł Machcewicz von der Polnischen Akademie der Wissenschaften ein „Handbuch Polen unter Besatzung“ und leitet ein Projekt, das in fünf Ländern die Erfahrungsgeschichte der „Wiedergutmachung“ untersucht.
Zu mehr als hundert Aufsätzen und 15 Sammelbänden kommen bislang sieben Monographien, zuletzt „Der Warschauer Aufstand 1944“ (Ditzingen: Philipp Reclam jun. 2024) sowie „Bełżec, Sobibór, Treblinka und die Aktion Reinhardt“ (München: C.H. Beck, 2017 / 3. Auflage 2023 – Polnisch 2018, Französisch und Niederländisch 2020). Anfang 2025 erscheint im Beck-Verlag seine neue Studie „Der vergessene Widerstand. Jüdinnen und Juden im Kampf gegen den Holocaust“.
An der Touro University unterrichtet Lehnstaedt im Masterstudiengang „Holocaust Studies / Jewish Studies“ und kuratiert mit seinen Studierenden regelmäßig Ausstellungen. Die mit der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz und der Wiener Library London erarbeitete Ausstellung „Verfolgen und Aufklären. Die erste Generation der Holocaustforschung“ wurde u.a. von den Vereinten Nationen in New York gezeigt.
Lehnstaedt war 2008 bis 2010 Gutachter in Sozialgerichtsprozessen zu den sogenannten Ghettorenten und wurde 2012 im Bundestag dazu gehört. Er engagiert sich öffentlich zu aktuellen Themen der deutschen Gedenkkultur sowie zur polnischen Geschichte, u.a. bei zwei weiteren Anhörungen im Bundestag 2017 und 2022. In Polen wurde mehrfach für seinen Beitrag zur deutsch-polnischen Aussöhnung ausgezeichnet, u.a. mit der Anielewicz-Medaille vom Verband der Holocaust-Überlebenden oder dem Orden „Za Wybitne Zasługi“ des Verbands der Kombattanten und früheren politischen Gefangenen.
Stephan Lehnstaedt (MLS)
Jüdischer Widerstand gegen den Holocaust – Herausforderungen der Historiographie
Abstract:
Angesichts von etwa sechs Millionen Menschen, die in Europa zwischen 1939 und 1945 im Holocaust starben, die von Deutschen und ihren Helfern erschossen, vergast oder auf andere Weise umgebracht wurden, entstehen nur allzu leicht Vorstellungen einer überwältigenden, unausweichlichen Totalität des Genozids. Der Blick auf die Täter und ihre Gewaltpraktiken verstärkt zusätzlich den Eindruck paralysierter Opfer, die lediglich Objekte in den Händen der Mörder darstellten. Es ist der Mythos angeblicher jüdischer Passivität, der bis in biblische Zeiten zurückreicht: Sie waren wie Lämmer auf dem Weg zur Schlachtbank.
Dabei belegen unzählige Berichte die Aktivitäten der Verfolgten, und nicht zuletzt bezeugen die Überlebenden den unbedingten Willen und die Fähigkeit, die eigene Existenz selbst unter den desaströsen Bedingungen der deutschen Vernichtungsmaschinerie zu behaupten. Die entscheidende Frage ist, wie diese Geschichte zu schreiben ist: Nach 1945 war es die Orientierung am augenfälligen – männlichen – Heldentum, die zum Leitmotiv der Geschichtsschreibung über und zur Erinnerung an jüdischen Widerstand wurde. Dazu kamen nationale bzw. geographisch beschränkte Perspektiven und die Verengung auf bewaffneten Kampf als „eigentlichem“ Widerstand.
Der Vortrag untersucht die Möglichkeiten und Herausforderungen, eine europäische und integrierende Perspektive des jüdischen Widerstands zu schreiben.
CV
Stephan Lehnstaedt, Dr. phil. habil., (2008 LMU München, 2016 TU Chemnitz) ist seit 2016 Professor für Holocaust-Studien an der Touro University, Campus Berlin. Zuvor er hat an der LMU München, der HU Berlin und der London School of Economics gelehrt und war 2010 bis 2016 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut Warschau. 2024 wurde er in die Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin gewählt. Er ist außerdem Mitglied in den wissenschaftlichen Beiräten u.a. der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung (Vorsitzender), der Zeitschrift Przegłąd Zachodni sowie der Jury des Wissenschaftlichen Förderpreises des Botschafters der Republik Polen in Berlin.
Lehnstaedt beschäftigt sich mit Imperialismus, der Geschichte der zwei Weltkriege, dem Holocaust und dessen Wiedergutmachung. Aktuell erarbeitet er gemeinsam mit Paweł Machcewicz von der Polnischen Akademie der Wissenschaften ein „Handbuch Polen unter Besatzung“ und leitet ein Projekt, das in fünf Ländern die Erfahrungsgeschichte der „Wiedergutmachung“ untersucht.
Zu mehr als hundert Aufsätzen und 15 Sammelbänden kommen bislang sieben Monographien, zuletzt „Der Warschauer Aufstand 1944“ (Ditzingen: Philipp Reclam jun. 2024) sowie „Bełżec, Sobibór, Treblinka und die Aktion Reinhardt“ (München: C.H. Beck, 2017 / 3. Auflage 2023 – Polnisch 2018, Französisch und Niederländisch 2020). Anfang 2025 erscheint im Beck-Verlag seine neue Studie „Der vergessene Widerstand. Jüdinnen und Juden im Kampf gegen den Holocaust“.
An der Touro University unterrichtet Lehnstaedt im Masterstudiengang „Holocaust Studies / Jewish Studies“ und kuratiert mit seinen Studierenden regelmäßig Ausstellungen. Die mit der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz und der Wiener Library London erarbeitete Ausstellung „Verfolgen und Aufklären. Die erste Generation der Holocaustforschung“ wurde u.a. von den Vereinten Nationen in New York gezeigt.
Lehnstaedt war 2008 bis 2010 Gutachter in Sozialgerichtsprozessen zu den sogenannten Ghettorenten und wurde 2012 im Bundestag dazu gehört. Er engagiert sich öffentlich zu aktuellen Themen der deutschen Gedenkkultur sowie zur polnischen Geschichte, u.a. bei zwei weiteren Anhörungen im Bundestag 2017 und 2022. In Polen wurde mehrfach für seinen Beitrag zur deutsch-polnischen Aussöhnung ausgezeichnet, u.a. mit der Anielewicz-Medaille vom Verband der Holocaust-Überlebenden oder dem Orden „Za Wybitne Zasługi“ des Verbands der Kombattanten und früheren politischen Gefangenen.
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