C.V.: Prof. Jähne ist Spezialist für Alte und Osteuropäische Geschichte sowie Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2001, der er z.Z. als Vizepräsident vorsteht. Nach Promotion (1970 in Moskau) und Habilitation (1980 in Berlin) wurde er 1988 zum Professor an der Humboldt-Universität Berlin berufen, wo er bis 1996 wirkte. Danach leistete er Projektarbeit; heute ist er Pensionär. Seine Forschungsgebiete sind die Geschichte Griechenlands und des Hellenismus, die Geschichte Ost- und Südosteuropas sowie die Wissenschaftsgeschichte. Abstract: Klemens Lothar Wenzel Fürst von Metternich (1773 – 1859) äußerte einst gedankenschwer, dass Politiker, wenn sie über andere Länder urteilen, oft genug zwei Faktoren vergessen: ihre Geographie und Geschichte. Sie zu beachten, ist geradezu unumgängliche Pflicht, wenn man heute nach einer Antwort auf die Frage sucht, wer die Krim beanspruchen darf bzw. wem sie gehört.
Russland hatte sich am Beginn des 18. Jh., was seine Beziehungen zu Europa betraf, auf drei außenpolitisch strategische Hauptrichtungen festgelegt, die bis heute nachwirken und nur zum Teil etwas von ihrer Bedeutung eingebüßt haben: nach dem Nordwesten mit Skandinavien und namentlich Schweden, nach dem Westen, nach Zentraleuropa mit insbesondere Polen und nach dem Südwesten mit dem Balkan. Eine vierte Richtung, die hier nicht von Belang ist, zielte nach Mittelasien. Diese geopolitisch bedingten Strategielinien trugen ideologischen Vorstellungen Rechnung und waren damit eindeutig machtpolitisch fixiert.
Mit dem Frieden von Nystad 1721, der den „Nordischen Krieg“ gegen Schweden (seit 1700) beendete, hatte Peter I. (1672 – 1725, Zar seit 1682) Russland den Zugang zur Ostsee und damit den Weg über See nach dem Westen geöffnet. Was im Norden geglückt war, sollte auch im Süden gelingen. Zwar hatte Peter I. 1696 die türkische Festung Azow an der Mündung des Don eingenommen, aber die wirkliche Wende trat erst 1783 ein, als die Krim endgültig an Russland fiel und die Stadt Sewastopol auf- und ausgebaut und dort ein Kriegshafen eingerichtet wurde.
Die Krim ragt wie ein Keil in das Schwarze Meer hinein, das wie ein Fächer vor der entstehenden russischen Flotte lag und aufgehört hatte, ein türkisches Mare nostrum zu sein. Sie war von nun an Ausgangspunkt und Rückhalt für die russische Seemacht geworden, die nicht allein auf das Schwarze Meer beschränkt bleiben wollte und deshalb dessen Ausgang ins Visier nahm: die Meerengen Bosporus und Dardanellen. Mit der Angliederung der Krim an Russland war ein Knäuel ineinandergreifender politischer Sachverhalte und widerstreitender Machtinteressen entstanden, das zwei Jahrhunderte die europäische Politik beschäftigte, sich allmählich entwirrte und punktuell an Brisanz verlor, aber noch heute für politisches Kopfzerbrechen sorgen.
Russlands machtpolitisches Ausgreifen im Süden rief die Seemächte England und Frankreich und das habsburgische Österreich als europäische Kontinentalmacht auf den Plan. Die Vereinnahmung der Krim durch Russland schloß zwingend drei international bedeutsame Probleme ein: die „Orientalische Frage“, d.h. Aufteilung des territorialen Erbes des „kranken Mannes am Bosporus“ (Türkei bzw. Naher Osten), die Meerengenfrage (Bosporus und Dardanellen) und das Schicksal der christlich-orthodoxen Bevölkerung auf dem Balkan, für die Russland als Schutzmacht auftrat. Diese Probleme bildeten die Südwestkomponente der russisch-sowjetisch-russischen Außenpolitik im 18. – 20. Jh., eigentlich bis in unsere Tage hinein.
1954 hatte Nikita S. Chruschtschow (1894 – 1971) in einem willkürlichen administrativen Akt, offenbar ökonomisch bedingt, die Krim aus der Russischen Föderation aus- und in die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik eingegliedert. Das war kein weltbewegender und international kaum beachteter Vorgang, denn die Krim blieb im Bestand der UdSSR. Die Situation änderte sich grundlegend, als das Sowjetimperium 1991 zerfiel und die Ukraine ihre staatliche Unabhängigkeit erlangte. Noch im Dezember 1991 stimmten 54% der Krimbevölkerung für die Unabhängigkeit der Ukraine und damit für die Beibehaltung des status quo. Zwei Verträge, unterzeichnet von Frankreich, der BRD und Russland, bestätigten die Integrität der ukrainischen Grenzen.
Wurde anfangs noch geglaubt, dass sich am Verhältnis der Ukraine und Russlands wenig ändern würde, so sollte sich das bald als ein Trugschluß erweisen. Die Ukraine schwenkte auf einen prowestlichen und zugleich russlandphoben Kurs ein und suchte die Nähe zu den USA (1992). Die russisch-ukrainischen Beziehungen erlebten dann im Zuge der Vorgänge 2014 auf dem Kiewer Maidan ihren Tiefpunkt. Russland reagierte rigoros und holte die Krim zurück in die Russische Föderation. Flankiert wurde die mit militärischen Mitteln abgesicherte Rückführungsaktion durch eine Volksabstimmung, in der sich die Mehrheit der Bevölkerung klar für den neuerlichen Anschluß der Krim an Russland, d. h. die Wiederherstellung der ursprünglichen, historisch bedingten Zugehörigkeit der Halbinsel zu Russland entschied.
Seither wird international auf das Heftigste über den Status der Krim gestritten.
Blanker Zynismus und pure Heuchelei sind es, wenn von westlicher Seite immer wieder die Krim als Grund für antirussische Sanktionen genannt und ihre Rückgabe an die Ukraine verlangt wird. Die politische Ratio gebietet eigentlich, die Krimfrage von der „ukrainischen Krise“ zu trennen und sich verstärkt um die Lösung der letzteren zu bemühen.
Die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin lädt ein zu ihrer öffentlichen wissenschaftlichen März-Plenarsitzung zum Thema
Wem gehört die “annektierte” Krim? Eine historische Betrachtung
Vortragender: Armin Jähne (MLS)
Ort: 1055 Berlin, Rathaus Tiergarten, Mathilde-Jacob-Platz 1; BVV-Saal
Zeit: 13:30 Uhr bis 15:30
C.V.:
Prof. Jähne ist Spezialist für Alte und Osteuropäische Geschichte sowie Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2001, der er z.Z. als Vizepräsident vorsteht. Nach Promotion (1970 in Moskau) und Habilitation (1980 in Berlin) wurde er 1988 zum Professor an der Humboldt-Universität Berlin berufen, wo er bis 1996 wirkte. Danach leistete er Projektarbeit; heute ist er Pensionär. Seine Forschungsgebiete sind die Geschichte Griechenlands und des Hellenismus, die Geschichte Ost- und Südosteuropas sowie die Wissenschaftsgeschichte.
Abstract:
Klemens Lothar Wenzel Fürst von Metternich (1773 – 1859) äußerte einst gedankenschwer, dass Politiker, wenn sie über andere Länder urteilen, oft genug zwei Faktoren vergessen: ihre Geographie und Geschichte. Sie zu beachten, ist geradezu unumgängliche Pflicht, wenn man heute nach einer Antwort auf die Frage sucht, wer die Krim beanspruchen darf bzw. wem sie gehört.
Russland hatte sich am Beginn des 18. Jh., was seine Beziehungen zu Europa betraf, auf drei außenpolitisch strategische Hauptrichtungen festgelegt, die bis heute nachwirken und nur zum Teil etwas von ihrer Bedeutung eingebüßt haben: nach dem Nordwesten mit Skandinavien und namentlich Schweden, nach dem Westen, nach Zentraleuropa mit insbesondere Polen und nach dem Südwesten mit dem Balkan. Eine vierte Richtung, die hier nicht von Belang ist, zielte nach Mittelasien. Diese geopolitisch bedingten Strategielinien trugen ideologischen Vorstellungen Rechnung und waren damit eindeutig machtpolitisch fixiert.
Mit dem Frieden von Nystad 1721, der den „Nordischen Krieg“ gegen Schweden (seit 1700) beendete, hatte Peter I. (1672 – 1725, Zar seit 1682) Russland den Zugang zur Ostsee und damit den Weg über See nach dem Westen geöffnet. Was im Norden geglückt war, sollte auch im Süden gelingen. Zwar hatte Peter I. 1696 die türkische Festung Azow an der Mündung des Don eingenommen, aber die wirkliche Wende trat erst 1783 ein, als die Krim endgültig an Russland fiel und die Stadt Sewastopol auf- und ausgebaut und dort ein Kriegshafen eingerichtet wurde.
Die Krim ragt wie ein Keil in das Schwarze Meer hinein, das wie ein Fächer vor der entstehenden russischen Flotte lag und aufgehört hatte, ein türkisches Mare nostrum zu sein. Sie war von nun an Ausgangspunkt und Rückhalt für die russische Seemacht geworden, die nicht allein auf das Schwarze Meer beschränkt bleiben wollte und deshalb dessen Ausgang ins Visier nahm: die Meerengen Bosporus und Dardanellen. Mit der Angliederung der Krim an Russland war ein Knäuel ineinandergreifender politischer Sachverhalte und widerstreitender Machtinteressen entstanden, das zwei Jahrhunderte die europäische Politik beschäftigte, sich allmählich entwirrte und punktuell an Brisanz verlor, aber noch heute für politisches Kopfzerbrechen sorgen.
Russlands machtpolitisches Ausgreifen im Süden rief die Seemächte England und Frankreich und das habsburgische Österreich als europäische Kontinentalmacht auf den Plan. Die Vereinnahmung der Krim durch Russland schloß zwingend drei international bedeutsame Probleme ein: die „Orientalische Frage“, d.h. Aufteilung des territorialen Erbes des „kranken Mannes am Bosporus“ (Türkei bzw. Naher Osten), die Meerengenfrage (Bosporus und Dardanellen) und das Schicksal der christlich-orthodoxen Bevölkerung auf dem Balkan, für die Russland als Schutzmacht auftrat. Diese Probleme bildeten die Südwestkomponente der russisch-sowjetisch-russischen Außenpolitik im 18. – 20. Jh., eigentlich bis in unsere Tage hinein.
1954 hatte Nikita S. Chruschtschow (1894 – 1971) in einem willkürlichen administrativen Akt, offenbar ökonomisch bedingt, die Krim aus der Russischen Föderation aus- und in die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik eingegliedert. Das war kein weltbewegender und international kaum beachteter Vorgang, denn die Krim blieb im Bestand der UdSSR. Die Situation änderte sich grundlegend, als das Sowjetimperium 1991 zerfiel und die Ukraine ihre staatliche Unabhängigkeit erlangte. Noch im Dezember 1991 stimmten 54% der Krimbevölkerung für die Unabhängigkeit der Ukraine und damit für die Beibehaltung des status quo. Zwei Verträge, unterzeichnet von Frankreich, der BRD und Russland, bestätigten die Integrität der ukrainischen Grenzen.
Wurde anfangs noch geglaubt, dass sich am Verhältnis der Ukraine und Russlands wenig ändern würde, so sollte sich das bald als ein Trugschluß erweisen. Die Ukraine schwenkte auf einen prowestlichen und zugleich russlandphoben Kurs ein und suchte die Nähe zu den USA (1992). Die russisch-ukrainischen Beziehungen erlebten dann im Zuge der Vorgänge 2014 auf dem Kiewer Maidan ihren Tiefpunkt. Russland reagierte rigoros und holte die Krim zurück in die Russische Föderation. Flankiert wurde die mit militärischen Mitteln abgesicherte Rückführungsaktion durch eine Volksabstimmung, in der sich die Mehrheit der Bevölkerung klar für den neuerlichen Anschluß der Krim an Russland, d. h. die Wiederherstellung der ursprünglichen, historisch bedingten Zugehörigkeit der Halbinsel zu Russland entschied.
Seither wird international auf das Heftigste über den Status der Krim gestritten.
Blanker Zynismus und pure Heuchelei sind es, wenn von westlicher Seite immer wieder die Krim als Grund für antirussische Sanktionen genannt und ihre Rückgabe an die Ukraine verlangt wird. Die politische Ratio gebietet eigentlich, die Krimfrage von der „ukrainischen Krise“ zu trennen und sich verstärkt um die Lösung der letzteren zu bemühen.
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Berlin, 10551 Google Karte anzeigen