März-Sitzung der Klasse Naturwissenschaften und Technikwissenschaften der Leibniz-Sozietät
14. März 2019 - 10:00 - 12:00
Die Klasse Naturwissenschaften und Technikwissenschaften veranstaltet ihre März-Klassensitzung als öffentliche wissenschaftliche Vortragsveranstaltung mit Diskussion zum Thema
„Consortien“ (1872) und „Symbiosen“ (1878) – Über die Entdeckung eines neuen „biologischen Problems“ und seine Verallgemeinerung
CV.: Prof. Höxtermann wurde nach dem Biologie-Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin 1985 promoviert und wandte sich unter dem Einfluss von Frau Prof. Ilse Jahn der Biologiegeschichte zu. Von 1990 bis 1993 am Institut für Biochemie der Universität Köln tätig, habilitierte er sich 1994 in Jena für das Fach Geschichte der Naturwissenschaften und lehrte anschließend Geschichte der Biologie, der Biochemie und der Pharmazie in Jena, Berlin und Göttingen, ab 2003 als außerplanmäßiger Professor der Freien Universität Berlin. Seit 2008 betreut er das biologiehistorische Verlagsprogramm der Basilisken-Presse in Rangsdorf.
Höxtermann plädiert für eine untrennbare Einheit von Geschichte und Gegenwart der Biologie und betrachtet es als eine vordringliche Aufgabe, die Theorien und Methoden der modernen Biologie aus der Geschichte begreiflich machen. Ausgehend von seinen biologischen Arbeitsgebieten erschloss er den historischen Kontext bis dahin vernachlässigter Disziplinen und Konzepte der Physiologie, Biochemie und Symbiogenetik der Pflanzen. Als Gründungs- und zeitweiliges Vorstandsmitglied der „Deutschen Gesellschaft für Geschichte und Theorie der Biologie“ sowie Autor, Herausgeber und Verleger biologiehistorischer Monographien und Reihen trug er maßgeblich zur Entwicklung und öffentlichen Wahrnehmung der Biologiehistoriographie in Deutschland bei.
Abstract: Als populäres Sinnbild der Evolution von Lebewesen galt lange Zeit der Stammbaum, der sich gabelt und in immer feinere Zweige verästelt. Höherentwicklung wurde gleichsam als Auseinanderstreben fortlaufender, sich stetig wandelnder Abstammungslinien verstanden, wie sie sich im Kampf ums Dasein durchsetzten. Motor des Fortschritts war demnach die Konkurrenz.
Doch unsere heutigen Bilder von der Stammesgeschichte der Organismen entsprechen allenfalls einem Stammbusch mit auffallenden Anastomosen. Die Querverbindungen bezeigen, dass es neben der Konkurrenz der Arten noch einen zweiten Modus der Höherentwicklung gibt, die Kooperation der Arten. Auch sie ist ein Konzept des 19. Jahrhunderts, und ich möchte in meinem Vortrag aufzeigen, wie man diesem „biologischen Problem“ auf die Schliche kam. Der Kieler Botaniker Johannes Reinke meinte 1904, eingedenk der vielen, sich über Jahrzehnte erstreckenden Arbeiten, die notwendig waren, um das enge, ja essentielle Zusammenleben mancher Arten zu entdecken: „Bevor ein Problem nicht erkannt ist, kann es auch nicht bearbeitet werden.”
Eine Schlüsselrolle bei der Entdeckung dieses neuen „biologischen Problems“, das zuerst ein ökologisches war und dann zu einem evolutionsbiologischen wurde, spielten die Flechten. Seit dem 17. Jahrhundert im Blick der Forscher, wurden sie als ganze, untrennbare Individuen betrachtet und in einer eigenen taxonomischen Gruppe zusammengefasst. Ihre Ähnlichkeiten mit Pilzen und Algen ließen sie allenfalls als Bindeglied zwischen beiden in der „Stufenleiter der Natur“ erscheinen. Es erregte von daher Unglauben und Widerspruch, als der in München und Basel lehrende Botaniker und herausragende Mikroskopiker Simon Schwendener im Ergebnis entwicklungsgeschichtlicher „Untersuchungen über den Flechtenthallus“ (1867) erstmals in aller Deutlichkeit behauptete, dass Flechten nichts anderes als Zwitterwesen aus Algen und Pilzen seien, bei denen sich parasitische Pilze von Algen ernährten und diese, wie er 1869 meinte, zu einem unfreien „Helotenthum“ (Sklavendienst) zwangen.
Die Gegner dieser Ansicht verstummten, als Reinke 1872 auch in den Wurzeln höherer Pflanzen einen Lebensverbund mit „Blaualgen“ entdeckte und „diese Form des organischen Lebens“ als „Consortium“ bezeichnete. Es blieb unklar, welchen Vor- oder Nachteil die Partner aus ihrer wechselseitigen Beziehung zogen. Auf der Suche nach einem weiten, wertungsfreien Begriff für das „Auf- oder Ineinanderwohnen zweier verschiedener Species […], welcher die Rolle, die beide Wesen dabei spielen, noch nicht berücksichtigt, also auf das blosse Zusammenleben begründet ist,“ empfahl der Leipziger Botaniker Albert Bernhard Frank 1877 den Ausdruck „Symbiotismus“.
Unter Einbeziehung der Tiere führte schließlich der Straßburger Botaniker Anton de Bary 1878 eine allgemeine „Collectivbezeichnung“ für die zahlreichen, in den zurückliegenden Jahren gefundenen „Associationen ungleichnamiger Organismen-Species zu gemeinsamer Existenz“ ein und nannte solche „Genossenschaftsbeziehungen“, ganz gleich wie es um die Nützlichkeitsbalance stand, „Symbiosen“. Der Symbiosebegriff fand regen Zuspruch und rasche Verbreitung. Dazu trug bei, dass de Bary die Symbiosen als einen besonderen Fall der Anpassung an bestimmte Lebensverhältnisse betrachtete, wie sie Charles Darwin in seiner Evolutionstheorie vertrat. Das Symbioseprinzip erhielt eine weitere Bestätigung, als Albert Bernhard Frank, seit 1881 in Berlin, 1885 die Natur der „Pilzwurzeln” verschiedener Waldbäume entdeckte und „Mycorrhiza” [sic!] nannte.
Schwendeners „Algenpilze“, Reinkes „Algenwurzeln“ und Franks „Pilzwurzeln“ hatten mithin zur Aufdeckung und Anerkennung einer neuen, allgemeinen Lebenserscheinung geführt. „Nachdem das Ei des Columbus einmal aufrecht dastand“, so de Bary 1878, war es eine Frage der Zeit, dass das Konzept der Lebensgemeinschaften von den Vielzellern und Einzellern dann sogar auf Organellen übertragen wurde. Die entscheidende Frage war die nach dem kleinsten „Elementarorganismus“. Es bestand Konsens, dass es sich dabei um die Zellen als nicht weiter zerlegbare Individuen des Lebens handelt. Hauptmerkmal ihrer Elementarität war die Vermehrung durch Teilung. Doch mit den Fortschritten der Mikroskopie wurden die Zellforscher auf noch kleinere, permanent vorhandene, subzelluläre Gebilde aufmerksam, die sich durch Teilung vermehrten: die Zellkerne und die Chloroplasten. Sie schienen die wahren „Elementarorganismen“ zu sein.
Der Bonner Botaniker Andreas Franz Wilhelm Schimper äußerte 1883 zuerst den Gedanken, dass die Beziehungen der Plastiden „zu dem sie enthaltenden Organismus einigermassen an eine Symbiose erinnern. Möglicherweise verdanken die grünen Pflanzen wirklich einer Vereinigung eines farblosen Organismus mit einem von Chlorophyll gleichmässig tingirten ihren Ursprung.“ Vermehrung durch Teilung war, wie gesagt, auch ein Merkmal der Zellkerne, und so sprach der japanische Zoologe Shosaburo Watasé 1893 auch hier von einer Symbiose der Kerne mit dem Plasma der Zellen. Auch andere Zytologen gebrauchten das Bild einer innerzellulären Symbiose, meist aber nur einmalig oder beiläufig. Wenn ihre Äußerungen auch einen phylogenetischen Aspekt enthielten, so machten sie die Symbiogenese doch nicht zum Gegenstand einer Evolutionstheorie.
Das verdanken wir dem St. Petersburger Botaniker Andrej Sergeevič Famincyn, der 1890 die Entstehung der Pflanzenzellen wie überhaupt höherentwickelter Lebewesen auf „die Vereinigung einfacher Organismen zu Kolonien“ zurückführte. Die Idee wurde dann vor allem durch den Kazaner Biologen Konstantin Sergeevič Merežkovskij zu einer in sich geschlossenen Evolutionstheorie ausgebaut, so spekulativ sie zunächst auch war. Er vertrat 1905 die Ansicht, dass die kernhaltigen Zellen symbiogenetische Chimären sind und letztlich zwei Plasmaarten vereinigten, die in unterschiedlichen Erdzeitaltern entstanden seien. Famincyn und Merežkovskij sahen in der Symbiogenese das fehlende Glied einer schlüssigen Evolutionstheorie; eine natürliche Auslese bestangepasster Varietäten als Hauptmodus der Evolution im Sinne Darwins lehnten sie ab.
Es war das Ziel eines dritten russischen Biologen, Symbiogenese- und Selektionstheorie zu integrieren. Boris Michajlovič Kozo-Poljanskij, der in Voronež Botanik und Evolutionsbiologie lehrte, entwickelte ab 1924 die Symbiogenesetheorie zu einer darwinistischen Evolutionstheorie weiter, in der die Symbiose einen Faktor, die Selektion aber den Mechanismus der Evolution darstellte. Aber er sollte mit seinen Überlegungen ein Außenseiter bleiben. Das Allgemeingültigkeit beanspruchende Symbiosekonzept wurde in den 1920er und 1930er Jahren wieder ein Gegenstand von Spezialisten und aus der Evolutionsbiologie in die Ökologie zurückverwiesen. Die Gründe sind vielfältig. Nur so viel: Zwei Hauptstützen, das Verständnis der Flechten als eine für beide Seiten vorteilhafte Lebenseinheit und die relative Autonomie der Plastiden, waren ins Wanken geraten. Erst in den 1960er Jahren kam es zu einer „Wiederentdeckung” der Endosymbiontennatur der Chloroplasten und zu einer Neuformulierung der Symbiogenesetheorie, die das moderne Bild von der Entstehung der kernhaltigen Zellen aus symbiotischen Bakteriengesellschaften bestimmt und heute als experimentell abgesichert gilt.
Die Klasse Naturwissenschaften und Technikwissenschaften veranstaltet ihre März-Klassensitzung als öffentliche wissenschaftliche Vortragsveranstaltung mit Diskussion zum Thema
„Consortien“ (1872) und „Symbiosen“ (1878) – Über die Entdeckung eines neuen „biologischen Problems“ und seine Verallgemeinerung
Vortragender: Ekkehard Höxtermann, MLS
Zeit: 14. März 2019, 10:00 Uhr bis 12:00 Uhr
Ort: 10551 Berlin, Rathaus Tiergarten, Mathilde-Jacob-Platz 1; BVV-Saal
CV.:
Prof. Höxtermann wurde nach dem Biologie-Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin 1985 promoviert und wandte sich unter dem Einfluss von Frau Prof. Ilse Jahn der Biologiegeschichte zu. Von 1990 bis 1993 am Institut für Biochemie der Universität Köln tätig, habilitierte er sich 1994 in Jena für das Fach Geschichte der Naturwissenschaften und lehrte anschließend Geschichte der Biologie, der Biochemie und der Pharmazie in Jena, Berlin und Göttingen, ab 2003 als außerplanmäßiger Professor der Freien Universität Berlin. Seit 2008 betreut er das biologiehistorische Verlagsprogramm der Basilisken-Presse in Rangsdorf.
Höxtermann plädiert für eine untrennbare Einheit von Geschichte und Gegenwart der Biologie und betrachtet es als eine vordringliche Aufgabe, die Theorien und Methoden der modernen Biologie aus der Geschichte begreiflich machen. Ausgehend von seinen biologischen Arbeitsgebieten erschloss er den historischen Kontext bis dahin vernachlässigter Disziplinen und Konzepte der Physiologie, Biochemie und Symbiogenetik der Pflanzen. Als Gründungs- und zeitweiliges Vorstandsmitglied der „Deutschen Gesellschaft für Geschichte und Theorie der Biologie“ sowie Autor, Herausgeber und Verleger biologiehistorischer Monographien und Reihen trug er maßgeblich zur Entwicklung und öffentlichen Wahrnehmung der Biologiehistoriographie in Deutschland bei.
Abstract:
Als populäres Sinnbild der Evolution von Lebewesen galt lange Zeit der Stammbaum, der sich gabelt und in immer feinere Zweige verästelt. Höherentwicklung wurde gleichsam als Auseinanderstreben fortlaufender, sich stetig wandelnder Abstammungslinien verstanden, wie sie sich im Kampf ums Dasein durchsetzten. Motor des Fortschritts war demnach die Konkurrenz.
Doch unsere heutigen Bilder von der Stammesgeschichte der Organismen entsprechen allenfalls einem Stammbusch mit auffallenden Anastomosen. Die Querverbindungen bezeigen, dass es neben der Konkurrenz der Arten noch einen zweiten Modus der Höherentwicklung gibt, die Kooperation der Arten. Auch sie ist ein Konzept des 19. Jahrhunderts, und ich möchte in meinem Vortrag aufzeigen, wie man diesem „biologischen Problem“ auf die Schliche kam. Der Kieler Botaniker Johannes Reinke meinte 1904, eingedenk der vielen, sich über Jahrzehnte erstreckenden Arbeiten, die notwendig waren, um das enge, ja essentielle Zusammenleben mancher Arten zu entdecken: „Bevor ein Problem nicht erkannt ist, kann es auch nicht bearbeitet werden.”
Eine Schlüsselrolle bei der Entdeckung dieses neuen „biologischen Problems“, das zuerst ein ökologisches war und dann zu einem evolutionsbiologischen wurde, spielten die Flechten. Seit dem 17. Jahrhundert im Blick der Forscher, wurden sie als ganze, untrennbare Individuen betrachtet und in einer eigenen taxonomischen Gruppe zusammengefasst. Ihre Ähnlichkeiten mit Pilzen und Algen ließen sie allenfalls als Bindeglied zwischen beiden in der „Stufenleiter der Natur“ erscheinen. Es erregte von daher Unglauben und Widerspruch, als der in München und Basel lehrende Botaniker und herausragende Mikroskopiker Simon Schwendener im Ergebnis entwicklungsgeschichtlicher „Untersuchungen über den Flechtenthallus“ (1867) erstmals in aller Deutlichkeit behauptete, dass Flechten nichts anderes als Zwitterwesen aus Algen und Pilzen seien, bei denen sich parasitische Pilze von Algen ernährten und diese, wie er 1869 meinte, zu einem unfreien „Helotenthum“ (Sklavendienst) zwangen.
Die Gegner dieser Ansicht verstummten, als Reinke 1872 auch in den Wurzeln höherer Pflanzen einen Lebensverbund mit „Blaualgen“ entdeckte und „diese Form des organischen Lebens“ als „Consortium“ bezeichnete. Es blieb unklar, welchen Vor- oder Nachteil die Partner aus ihrer wechselseitigen Beziehung zogen. Auf der Suche nach einem weiten, wertungsfreien Begriff für das „Auf- oder Ineinanderwohnen zweier verschiedener Species […], welcher die Rolle, die beide Wesen dabei spielen, noch nicht berücksichtigt, also auf das blosse Zusammenleben begründet ist,“ empfahl der Leipziger Botaniker Albert Bernhard Frank 1877 den Ausdruck „Symbiotismus“.
Unter Einbeziehung der Tiere führte schließlich der Straßburger Botaniker Anton de Bary 1878 eine allgemeine „Collectivbezeichnung“ für die zahlreichen, in den zurückliegenden Jahren gefundenen „Associationen ungleichnamiger Organismen-Species zu gemeinsamer Existenz“ ein und nannte solche „Genossenschaftsbeziehungen“, ganz gleich wie es um die Nützlichkeitsbalance stand, „Symbiosen“. Der Symbiosebegriff fand regen Zuspruch und rasche Verbreitung. Dazu trug bei, dass de Bary die Symbiosen als einen besonderen Fall der Anpassung an bestimmte Lebensverhältnisse betrachtete, wie sie Charles Darwin in seiner Evolutionstheorie vertrat. Das Symbioseprinzip erhielt eine weitere Bestätigung, als Albert Bernhard Frank, seit 1881 in Berlin, 1885 die Natur der „Pilzwurzeln” verschiedener Waldbäume entdeckte und „Mycorrhiza” [sic!] nannte.
Schwendeners „Algenpilze“, Reinkes „Algenwurzeln“ und Franks „Pilzwurzeln“ hatten mithin zur Aufdeckung und Anerkennung einer neuen, allgemeinen Lebenserscheinung geführt. „Nachdem das Ei des Columbus einmal aufrecht dastand“, so de Bary 1878, war es eine Frage der Zeit, dass das Konzept der Lebensgemeinschaften von den Vielzellern und Einzellern dann sogar auf Organellen übertragen wurde. Die entscheidende Frage war die nach dem kleinsten „Elementarorganismus“. Es bestand Konsens, dass es sich dabei um die Zellen als nicht weiter zerlegbare Individuen des Lebens handelt. Hauptmerkmal ihrer Elementarität war die Vermehrung durch Teilung. Doch mit den Fortschritten der Mikroskopie wurden die Zellforscher auf noch kleinere, permanent vorhandene, subzelluläre Gebilde aufmerksam, die sich durch Teilung vermehrten: die Zellkerne und die Chloroplasten. Sie schienen die wahren „Elementarorganismen“ zu sein.
Der Bonner Botaniker Andreas Franz Wilhelm Schimper äußerte 1883 zuerst den Gedanken, dass die Beziehungen der Plastiden „zu dem sie enthaltenden Organismus einigermassen an eine Symbiose erinnern. Möglicherweise verdanken die grünen Pflanzen wirklich einer Vereinigung eines farblosen Organismus mit einem von Chlorophyll gleichmässig tingirten ihren Ursprung.“ Vermehrung durch Teilung war, wie gesagt, auch ein Merkmal der Zellkerne, und so sprach der japanische Zoologe Shosaburo Watasé 1893 auch hier von einer Symbiose der Kerne mit dem Plasma der Zellen. Auch andere Zytologen gebrauchten das Bild einer innerzellulären Symbiose, meist aber nur einmalig oder beiläufig. Wenn ihre Äußerungen auch einen phylogenetischen Aspekt enthielten, so machten sie die Symbiogenese doch nicht zum Gegenstand einer Evolutionstheorie.
Das verdanken wir dem St. Petersburger Botaniker Andrej Sergeevič Famincyn, der 1890 die Entstehung der Pflanzenzellen wie überhaupt höherentwickelter Lebewesen auf „die Vereinigung einfacher Organismen zu Kolonien“ zurückführte. Die Idee wurde dann vor allem durch den Kazaner Biologen Konstantin Sergeevič Merežkovskij zu einer in sich geschlossenen Evolutionstheorie ausgebaut, so spekulativ sie zunächst auch war. Er vertrat 1905 die Ansicht, dass die kernhaltigen Zellen symbiogenetische Chimären sind und letztlich zwei Plasmaarten vereinigten, die in unterschiedlichen Erdzeitaltern entstanden seien. Famincyn und Merežkovskij sahen in der Symbiogenese das fehlende Glied einer schlüssigen Evolutionstheorie; eine natürliche Auslese bestangepasster Varietäten als Hauptmodus der Evolution im Sinne Darwins lehnten sie ab.
Es war das Ziel eines dritten russischen Biologen, Symbiogenese- und Selektionstheorie zu integrieren. Boris Michajlovič Kozo-Poljanskij, der in Voronež Botanik und Evolutionsbiologie lehrte, entwickelte ab 1924 die Symbiogenesetheorie zu einer darwinistischen Evolutionstheorie weiter, in der die Symbiose einen Faktor, die Selektion aber den Mechanismus der Evolution darstellte. Aber er sollte mit seinen Überlegungen ein Außenseiter bleiben. Das Allgemeingültigkeit beanspruchende Symbiosekonzept wurde in den 1920er und 1930er Jahren wieder ein Gegenstand von Spezialisten und aus der Evolutionsbiologie in die Ökologie zurückverwiesen. Die Gründe sind vielfältig. Nur so viel: Zwei Hauptstützen, das Verständnis der Flechten als eine für beide Seiten vorteilhafte Lebenseinheit und die relative Autonomie der Plastiden, waren ins Wanken geraten. Erst in den 1960er Jahren kam es zu einer „Wiederentdeckung” der Endosymbiontennatur der Chloroplasten und zu einer Neuformulierung der Symbiogenesetheorie, die das moderne Bild von der Entstehung der kernhaltigen Zellen aus symbiotischen Bakteriengesellschaften bestimmt und heute als experimentell abgesichert gilt.
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Veranstaltungsort
Berlin, 10551 Google Karte anzeigen