John Lockes Begründung des philosophischen Liberalismus
Die revolutionären und kolonialen Ursprünge
Abstract
In seinen „Zwei Abhandlungen über das staatliche Gemeinwesen“ entwickelte John Locke (1632 – 1704) eine Legitimation staatlicher Macht jenseits von patriarchaler Herrschaft oder Gesellschaftsvertrag. Im fünften Kapitel der zweiten Abhandlung wird die Entwicklung einer geordneten und geregelten bürgerlichen Gesellschaft aus dem souveränen Handeln der Einzelnen als Privateigentümer ihres eigenen Körpers in einer Welt des Gemeineigentums skizziert. Die Arbeit der Privateigentümer oder jene Arbeit, die unter ihrem Kommando geleistet wird, würde die natürlichen Gemeingüter in ihr Privateigentum verwandeln. Dabei würden diese Privateigentümer ohne jede explizite Verständigung untereinander Regeln setzen und durchsetzen, die das eigene Leben wie das so geschaffene Privateigentum schützen. Der Übergang von der Naturalwirtschaft zur kapitalistischen Marktwirtschaft und der Konzentration des Privateigentums wird als logische Abfolge von Stufen der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft dargestellt. Der Staat habe nach innen keine andere Funktion, als die Allgemeinverbindlichkeit dieser Regeln zu garantieren und das so geschaffene bürgerliche Gemeinweisen nach außen vor Eingriffen fremder Staaten zu schützen. In dieser philosophischen Konstruktion entsteht die bürgerliche Gesellschaft ohne jede gemeinsame Absprache vor dem Staat und unabhängig von ihm. Dieser ist ausschließlich Überbau und Dienstleister der Gesellschaft der Privateigentümer. Mit Hermann Klenner formuliert, war Lockes Sozialphilosophie „nicht mehr und nicht weniger als … die erste offene und umfassende Theorie einer Unterordnung des Staates unter die Interessen des [privaten – M.B.] Eigentums“. Der Vortrag wird darstellen, wie sich Lockes Forschungsfrage aus der vorrevolutionären Situation der Verfassungskrise in England zwischen 1679 und 1692 ergab und eng mit der ersten bürgerlichen Massenpartei, den Whig, verbunden war. Er wird zudem zeigen, wie Locke zur Beantwortung seiner Forschungsfrage auf die Legitimation der privaten Landnahme der kolonialen Siedler Englands in Nordamerika zurückgriff. Dabei wird deutlich: Als Ideologie der privaten Freiheit wird Liberalismus durch die Ausgrenzung des Kommunistischen zur Herrschaftslegitimation von Unfreiheit. Anders formuliert: In dem Maße, wie der Liberalismus als Ideologie der Freiheit das Kommunistische ausgrenzt, unterdrückt, verdrängt und vernichtet, verkehrt er sich in sein Gegenteil – eine Ideologie der Unfreiheit und Unterdrückung. Der bürgerliche revolutionäre Anspruch ist mit der Legitimation des Systems kapitalistischer Akkumulation und kolonialer Landnahme verbunden.
Zur Person
Michael Brie ist Sozialphilosoph. Er hat in Leningrad und Ost-Berlin studiert und an der Humboldt-Universität 1980 bzw.1985 seine Dissertationen verteidigt. Im September 1990 wurde er zum Professor für Sozialphilosophie berufen. Zwischen 1994 und 1999 realisierte er Forschungsprojekte zur Transformation in der Russländischen Föderation. Von 1999 bis zur Berentung 2019 arbeitete er als Geschäftsführer der Rosa-Luxemburg-Stiftung bzw. als Leiter des Studienwerks und des Auslandsbereichs sowie als Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse dieser Stiftung und war Referent für Geschichte und Theorie des Sozialismus an diesem Institut. Von 2019 bis 2023 war er Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Stiftung. 2022/23 hat er die beiden Bücher „Sozialismus neu entdecken“ und „Chinas Sozialismus neu entdecken“ beim VSA-Verlag Hamburg veröffentlicht.
Klassensitzung Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften (als Zoom-Video-Konferenz)
Zugangsdaten:
https://uni-potsdam.zoom.us/j/95397029406
Meeting ID : 953 9702 9406
Passwort: 13714361
Michael Brie
John Lockes Begründung des philosophischen Liberalismus
Die revolutionären und kolonialen Ursprünge
Abstract
In seinen „Zwei Abhandlungen über das staatliche Gemeinwesen“ entwickelte John Locke (1632 – 1704) eine Legitimation staatlicher Macht jenseits von patriarchaler Herrschaft oder Gesellschaftsvertrag. Im fünften Kapitel der zweiten Abhandlung wird die Entwicklung einer geordneten und geregelten bürgerlichen Gesellschaft aus dem souveränen Handeln der Einzelnen als Privateigentümer ihres eigenen Körpers in einer Welt des Gemeineigentums skizziert. Die Arbeit der Privateigentümer oder jene Arbeit, die unter ihrem Kommando geleistet wird, würde die natürlichen Gemeingüter in ihr Privateigentum verwandeln. Dabei würden diese Privateigentümer ohne jede explizite Verständigung untereinander Regeln setzen und durchsetzen, die das eigene Leben wie das so geschaffene Privateigentum schützen. Der Übergang von der Naturalwirtschaft zur kapitalistischen Marktwirtschaft und der Konzentration des Privateigentums wird als logische Abfolge von Stufen der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft dargestellt. Der Staat habe nach innen keine andere Funktion, als die Allgemeinverbindlichkeit dieser Regeln zu garantieren und das so geschaffene bürgerliche Gemeinweisen nach außen vor Eingriffen fremder Staaten zu schützen. In dieser philosophischen Konstruktion entsteht die bürgerliche Gesellschaft ohne jede gemeinsame Absprache vor dem Staat und unabhängig von ihm. Dieser ist ausschließlich Überbau und Dienstleister der Gesellschaft der Privateigentümer. Mit Hermann Klenner formuliert, war Lockes Sozialphilosophie „nicht mehr und nicht weniger als … die erste offene und umfassende Theorie einer Unterordnung des Staates unter die Interessen des [privaten – M.B.] Eigentums“. Der Vortrag wird darstellen, wie sich Lockes Forschungsfrage aus der vorrevolutionären Situation der Verfassungskrise in England zwischen 1679 und 1692 ergab und eng mit der ersten bürgerlichen Massenpartei, den Whig, verbunden war. Er wird zudem zeigen, wie Locke zur Beantwortung seiner Forschungsfrage auf die Legitimation der privaten Landnahme der kolonialen Siedler Englands in Nordamerika zurückgriff. Dabei wird deutlich: Als Ideologie der privaten Freiheit wird Liberalismus durch die Ausgrenzung des Kommunistischen zur Herrschaftslegitimation von Unfreiheit. Anders formuliert: In dem Maße, wie der Liberalismus als Ideologie der Freiheit das Kommunistische ausgrenzt, unterdrückt, verdrängt und vernichtet, verkehrt er sich in sein Gegenteil – eine Ideologie der Unfreiheit und Unterdrückung. Der bürgerliche revolutionäre Anspruch ist mit der Legitimation des Systems kapitalistischer Akkumulation und kolonialer Landnahme verbunden.
Zur Person
Michael Brie ist Sozialphilosoph. Er hat in Leningrad und Ost-Berlin studiert und an der Humboldt-Universität 1980 bzw.1985 seine Dissertationen verteidigt. Im September 1990 wurde er zum Professor für Sozialphilosophie berufen. Zwischen 1994 und 1999 realisierte er Forschungsprojekte zur Transformation in der Russländischen Föderation. Von 1999 bis zur Berentung 2019 arbeitete er als Geschäftsführer der Rosa-Luxemburg-Stiftung bzw. als Leiter des Studienwerks und des Auslandsbereichs sowie als Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse dieser Stiftung und war Referent für Geschichte und Theorie des Sozialismus an diesem Institut. Von 2019 bis 2023 war er Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Stiftung. 2022/23 hat er die beiden Bücher „Sozialismus neu entdecken“ und „Chinas Sozialismus neu entdecken“ beim VSA-Verlag Hamburg veröffentlicht.
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