Die Leibniz-Sozietät lädt zur planmäßig am 12. Juni 2014 stattfindenden Plenar-Sitzung ein, auf der der folgende Vortrag gehalten und zur Diskussion gestellt wird:
Werner Kriesel (MLS)
Kybernetik, Automation, Kommunikation – eine unkonventionelle Betrachtung zu sozialen Auswirkungen in der Arbeitswelt. (Norbert Wiener zum 120. Geburtstag gewidmet)
13.30 bis 15.30 Uhr Ort: BVV-Saal
C.V.:
Prof. Kriesel ist Automatisierungstechniker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2013. Nach dem Studium der Regelungstechnik an der TH Magdeburg war er von 1965-1971 in der Automatisierungs-Großindustrie in Berlin mit Entwicklung und Projektierung von Automatisierungssystemen befasst; als Externer wurde er 1968 an der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert. 1971-1979 war er Hochschuldozent für Regelungstechnik an der TH Magdeburg und dort von 1976–1979 Stellvertretender Direktor für Forschung der Sektion Technische Kybernetik und Elektrotechnik. Die Habilitation erfolgte 1978 an der HUB; danach war er 1979-1995 ordentlicher Professor für Automatisierungstechnik an der TH Leipzig, wo er 1981–1990 als Stellvertretender Direktor für Forschung der Sektion Automatisierungsanlagen wirkte. Es folgte 1995–2006 eine Professur für Automatisierungstechnik in Merseburg. Seit 1994 leitet er das Steinbeis-Transferzentrum “Automatisierungs-, Informations- und Elektrosysteme” Stuttgart/Leipzig (wo es u.a. um die Zertifizierung des Kommunikationssystems „AS-Interface“ geht).
Seine mehr als 200 Publikationen konzentrieren sich auf Automatisierungsgeräte und -anlagen sowie auf industrielle Kommunikationstechnik. Aus seinem akademischen Umfeld sind 6 Professoren hervorgegangen.
Abstract:
Im Jahre 2014 jährt sich der Geburtstag von Norbert Wiener zum 120. Mal, sein Todestag liegt 50 Jahre zurück. Die Kybernetik ist seit Norbert Wiener, Hermann Schmidt und Georg Klaus noch deutlich in ihrer sozialen Bedeutung gewachsen und ist keineswegs eine vorübergegangene Mode. Die Technische Kybernetik hat in Gestalt der heutigen Automation und Kommunikation eine starke Massen- und Breitenwirkung mit anhaltendem Produktivitätszuwachs erlangt, dessen mehrfache soziale Auswirkungen angesprochen werden. Die Produktivität in Deutschland steigt im langjährigen Mittel 1,5 bis 2 % pro Jahr durch Automation und Rationalisierung sowie Technologiewandel, und dies vollzieht sich unabhängig vom Wirtschaftswachstum. Diese Entwicklung wirkt der schrumpfenden Bevölkerung massiv entgegen. Um die heutige Menge an Waren und Dienstleistungen zu erzeugen, benötigt man in 40 Jahren – im Jahr 2055 – nur noch etwa die halbe Arbeitszeit.
Es ist unwahrscheinlich, dass die Beschäftigtenzahl auch um die Hälfte schrumpft, wenn die Gesamtbevölkerung in diesem Zeitraum lt. Demografie-Prognosen nur um 10 bis 15 % sinkt. Wahrscheinlicher ist ein Modell mit Beschäftigtenrückgang um 20 … 25 %. Dies bedeutet aber, es verbleibt ein deutlicher Zuwachs auf das 1,5-fache bei Waren und Dienstleistungen, der insbesondere ausreicht, um eine zunehmende Anzahl von Rentnern niveauvoll zu versorgen. Ein Renteneintritt mit 67 Jahren erscheint daher nicht zwingend. Dieses und ähnliche Zukunftsmodelle der Politik sind also fragwürdig, weil sie sich einseitig an der Bevölkerungspyramide orientieren und die technologischen Einflüsse auf die soziale Entwicklung zu wenig beachten – vielleicht eine Folge allgemeiner Technikfeindlichkeit? Mehrfache soziale Auswirkungen von Automation und Kommunikation werden unter dem Aspekt zukünftiger Entwicklungen an Beispielen angesprochen: In der Technik löst der Mikroprozessor international eine Revolution aus, in der Politik wird jedoch die Entwicklung von Kybernetik und Automation hierzu unterschiedlich bewertet. Zugleich ändern sich die Kybernetik-Auffassungen, zentrale und dezentrale Steuerungen in Technik und Gesellschaft werden diskutiert. Massenweise schleichen sich eingebettete Computer ein, intelligente Einrichtungen sind überall, auch in Konsumgütern, und sie werden zur Selbstverständlichkeit. Entscheidender Aspekt ist das bezahlbare Preisniveau als Resultat von Technik und Industrie. Für die Aus- und Weiterbildung werden gravierende Anpassungen gefordert, weil Automation einerseits viele Fachkräfte ersetzt, aber auch höhere Qualifikationen verlangt und gleichzeitig den Bedarf zu Angelernten verschiebt. Das Zukunftsmodell Industrie 4.0 verstärkt diese sozialen Veränderungen. Die 2045-Initiative richtet Vorlaufforschungen von 30 Jahren auf vier Generationen von Avataren (Mischwesen) mit dem Ziel, Technologien zur Übertragung der Persönlichkeit in nicht-biologische Träger zu erschaffen und somit „Lebensverlängerung“ bis zur Unsterblichkeit zu erlangen. Dies wirft die Frage auf, ob der Mensch unter dem Einfluss von Automation und Kommunikation künftig immer mehr zum Avatar wird. Vor diesem Hintergrund werden neuartige soziale Modelle zur Steuerung der künftigen Arbeitswelt diskutiert. Heute endet für viele Arbeitnehmer die Arbeitswoche bereits am Freitag gegen Mittag – ein beachtlicher sozialer Fortschritt. Aber die Ausnutzung vieler Investitionenwurdehierdurchimmer schlechter, und sie liegt nur noch bei etwa 60% gegenüber einer 6-Tage-Woche. Durch diese Arbeitszeitreduzierung ist also eineriesige Verschwendung schleichend eingetreten. Zu diesem Widerspruch liefert eine intelligent gesteuerte Organisation breiter Arbeitsbereiche einen Lösungszugang: Eine 3-Tage-Woche der individuellen Arbeitszeit, eingebettet in eine 6-Tage-Woche der sozialen Arbeitszeit. Damit wird die Woche in zwei Scheiben zerlegt, und somit werden die Ausrüstungen für sehr viele Arbeitsplätze doppelt nutzbar. Die volle Erschließung brach liegender Reserven wirkt wie eine “Zauberformel”: Arbeitgeber und Arbeitnehmer gewinnen zusätzlich; keinWirtschaftswachstum hierfür erforderlich; Entlastung des Arbeitsmarktes; politisch steuerbar.
Berechnungen zur heutigen Jahresarbeitszeit unter Beachtung bundesweiter Feiertage haben den Autor zu einer interessanten Entdeckung geführt: Die Einführung einersolchen3-Tage-Woche ist ab sofort bei gleichem Jahresarbeitsvolumen möglichbei einer Arbeitszeit von rd. 10 Stunden/Arbeitstag (d. h. 3 Tage arbeiten, 4 Tage frei – also “verlängertes Wochenende” in jeder Woche). Vorteil:Arbeitsplatzausrüstungen werden innerhalb der sozialen Wochenarbeitszeit von 6 Tagen mindestensdoppelt genutzt, dieserspart überflüssige Investitionen in Größenordnungen. Die Einführung einer solchen individuellen und sozialen Regelarbeitszeitist also nicht nur dringend nötig, sondern auch historisch erstmalig möglich geworden. Sie stellt als intelligente Grundform eines flexiblen Arbeitszeitmodells einen qualitativen Sprung dar, der viele Widersprüche auf neue Weise löst (Paradigmenwechsel).
In diesem Sinne werden interdisziplinäre wissenschaftliche Analysen und Forschungen zu diesem Gesamtkomplex angeregt. Der Öffentliche Dienst hat mehrere Millionen Beschäftigte, bei denen hierzu Modellprojekte starten sollten, um eine schrittweise Einführung dieses Weges zu erforschen, zu testen und danach in der Breite zu realisieren. Automatik und Informatik markieren demnach historische Evolutionsstufen, die wir nicht mit einem „Fluch“ belegen, sondern deren Chancen wir als „Segen“ begreifen und gezielt auch sozial nutzen sollen.
Die Leibniz-Sozietät lädt zur planmäßig am 12. Juni 2014 stattfindenden Plenar-Sitzung ein, auf der der folgende Vortrag gehalten und zur Diskussion gestellt wird:
Werner Kriesel (MLS)
Kybernetik, Automation, Kommunikation – eine unkonventionelle Betrachtung zu sozialen Auswirkungen in der Arbeitswelt. (Norbert Wiener zum 120. Geburtstag gewidmet)
13.30 bis 15.30 Uhr Ort: BVV-Saal
C.V.:
Prof. Kriesel ist Automatisierungstechniker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2013. Nach dem Studium der Regelungstechnik an der TH Magdeburg war er von 1965-1971 in der Automatisierungs-Großindustrie in Berlin mit Entwicklung und Projektierung von Automatisierungssystemen befasst; als Externer wurde er 1968 an der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert. 1971-1979 war er Hochschuldozent für Regelungstechnik an der TH Magdeburg und dort von 1976–1979 Stellvertretender Direktor für Forschung der Sektion Technische Kybernetik und Elektrotechnik. Die Habilitation erfolgte 1978 an der HUB; danach war er 1979-1995 ordentlicher Professor für Automatisierungstechnik an der TH Leipzig, wo er 1981–1990 als Stellvertretender Direktor für Forschung der Sektion Automatisierungsanlagen wirkte. Es folgte 1995–2006 eine Professur für Automatisierungstechnik in Merseburg. Seit 1994 leitet er das Steinbeis-Transferzentrum “Automatisierungs-, Informations- und Elektrosysteme” Stuttgart/Leipzig (wo es u.a. um die Zertifizierung des Kommunikationssystems „AS-Interface“ geht).
Seine mehr als 200 Publikationen konzentrieren sich auf Automatisierungsgeräte und -anlagen sowie auf industrielle Kommunikationstechnik. Aus seinem akademischen Umfeld sind 6 Professoren hervorgegangen.
Abstract:
Im Jahre 2014 jährt sich der Geburtstag von Norbert Wiener zum 120. Mal, sein Todestag liegt 50 Jahre zurück. Die Kybernetik ist seit Norbert Wiener, Hermann Schmidt und Georg Klaus noch deutlich in ihrer sozialen Bedeutung gewachsen und ist keineswegs eine vorübergegangene Mode.
Die Technische Kybernetik hat in Gestalt der heutigen Automation und Kommunikation eine starke Massen- und Breitenwirkung mit anhaltendem Produktivitätszuwachs erlangt, dessen mehrfache soziale Auswirkungen angesprochen werden.
Die Produktivität in Deutschland steigt im langjährigen Mittel 1,5 bis 2 % pro Jahr durch Automation und Rationalisierung sowie Technologiewandel, und dies vollzieht sich unabhängig vom Wirtschaftswachstum. Diese Entwicklung wirkt der schrumpfenden Bevölkerung massiv entgegen. Um die heutige Menge an Waren und Dienstleistungen zu erzeugen, benötigt man in 40 Jahren – im Jahr 2055 – nur noch etwa die halbe Arbeitszeit.
Es ist unwahrscheinlich, dass die Beschäftigtenzahl auch um die Hälfte schrumpft, wenn die Gesamtbevölkerung in diesem Zeitraum lt. Demografie-Prognosen nur um 10 bis 15 % sinkt. Wahrscheinlicher ist ein Modell mit Beschäftigtenrückgang um 20 … 25 %. Dies bedeutet aber, es verbleibt ein deutlicher Zuwachs auf das 1,5-fache bei Waren und Dienstleistungen, der insbesondere ausreicht, um eine zunehmende Anzahl von Rentnern niveauvoll zu versorgen. Ein Renteneintritt mit 67 Jahren erscheint daher nicht zwingend. Dieses und ähnliche Zukunftsmodelle der Politik sind also fragwürdig, weil sie sich einseitig an der Bevölkerungspyramide orientieren und die technologischen Einflüsse auf die soziale Entwicklung zu wenig beachten – vielleicht eine Folge allgemeiner Technikfeindlichkeit?
Mehrfache soziale Auswirkungen von Automation und Kommunikation werden unter dem Aspekt zukünftiger Entwicklungen an Beispielen angesprochen: In der Technik löst der Mikroprozessor international eine Revolution aus, in der Politik wird jedoch die Entwicklung von Kybernetik und Automation hierzu unterschiedlich bewertet. Zugleich ändern sich die Kybernetik-Auffassungen, zentrale und dezentrale Steuerungen in Technik und Gesellschaft werden diskutiert. Massenweise schleichen sich eingebettete Computer ein, intelligente Einrichtungen sind überall, auch in Konsumgütern, und sie werden zur Selbstverständlichkeit. Entscheidender Aspekt ist das bezahlbare Preisniveau als Resultat von Technik und Industrie. Für die Aus- und Weiterbildung werden gravierende Anpassungen gefordert, weil Automation einerseits viele Fachkräfte ersetzt, aber auch höhere Qualifikationen verlangt und gleichzeitig den Bedarf zu Angelernten verschiebt.
Das Zukunftsmodell Industrie 4.0 verstärkt diese sozialen Veränderungen. Die 2045-Initiative richtet Vorlaufforschungen von 30 Jahren auf vier Generationen von Avataren (Mischwesen) mit dem Ziel, Technologien zur Übertragung der Persönlichkeit in nicht-biologische Träger zu erschaffen und somit „Lebensverlängerung“ bis zur Unsterblichkeit zu erlangen. Dies wirft die Frage auf, ob der Mensch unter dem Einfluss von Automation und Kommunikation künftig immer mehr zum Avatar wird.
Vor diesem Hintergrund werden neuartige soziale Modelle zur Steuerung der künftigen Arbeitswelt diskutiert. Heute endet für viele Arbeitnehmer die Arbeitswoche bereits am Freitag gegen Mittag – ein beachtlicher sozialer Fortschritt. Aber die Ausnutzung vieler Investitionenwurdehierdurchimmer schlechter, und sie liegt nur noch bei etwa 60% gegenüber einer 6-Tage-Woche. Durch diese Arbeitszeitreduzierung ist also eineriesige Verschwendung schleichend eingetreten.
Zu diesem Widerspruch liefert eine intelligent gesteuerte Organisation breiter Arbeitsbereiche einen Lösungszugang: Eine 3-Tage-Woche der individuellen Arbeitszeit, eingebettet in eine 6-Tage-Woche der sozialen Arbeitszeit. Damit wird die Woche in zwei Scheiben zerlegt, und somit werden die Ausrüstungen für sehr viele Arbeitsplätze doppelt nutzbar. Die volle Erschließung brach liegender Reserven wirkt wie eine “Zauberformel”: Arbeitgeber und Arbeitnehmer gewinnen zusätzlich; keinWirtschaftswachstum hierfür erforderlich; Entlastung des Arbeitsmarktes; politisch steuerbar.
Berechnungen zur heutigen Jahresarbeitszeit unter Beachtung bundesweiter Feiertage haben den Autor zu einer interessanten Entdeckung geführt: Die Einführung einersolchen3-Tage-Woche ist ab sofort bei gleichem Jahresarbeitsvolumen möglichbei einer Arbeitszeit von rd. 10 Stunden/Arbeitstag (d. h. 3 Tage arbeiten, 4 Tage frei – also “verlängertes Wochenende” in jeder Woche). Vorteil:Arbeitsplatzausrüstungen werden innerhalb der sozialen Wochenarbeitszeit von 6 Tagen mindestensdoppelt genutzt, dieserspart überflüssige Investitionen in Größenordnungen.
Die Einführung einer solchen individuellen und sozialen Regelarbeitszeitist also nicht nur dringend nötig, sondern auch historisch erstmalig möglich geworden. Sie stellt als intelligente Grundform eines flexiblen Arbeitszeitmodells einen qualitativen Sprung dar, der viele Widersprüche auf neue Weise löst (Paradigmenwechsel).
In diesem Sinne werden interdisziplinäre wissenschaftliche Analysen und Forschungen zu diesem Gesamtkomplex angeregt. Der Öffentliche Dienst hat mehrere Millionen Beschäftigte, bei denen hierzu Modellprojekte starten sollten, um eine schrittweise Einführung dieses Weges zu erforschen, zu testen und danach in der Breite zu realisieren.
Automatik und Informatik markieren demnach historische Evolutionsstufen, die wir nicht mit einem „Fluch“ belegen, sondern deren Chancen wir als „Segen“ begreifen und gezielt auch sozial nutzen sollen.
Details
Veranstaltungsort
Berlin, 10551 Google Karte anzeigen