Bericht zur Jahrestagung 2021 der Leibniz-Sozietät am 2. September 2021
Am 2. September 2021 fand die Jahrestagung 2021 der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften im Langenbeck-Virchow-Haus in Berlin statt, nachdem die Jahrestagung 2020 auf Grund der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie ausfallen musste. Anlässlich des 200. Geburtstages von Rudolf Virchow (13.10.1821) und Hermann von Helmholtz (31.8.1821) stand die Tagung 2021 unter dem Titel
Rudolf Virchow & Hermann von Helmholtz: Ihr Wirken in und für Berlin – Impulse für die Gesundheitsstadt Berlin
Vortragsort war das geschichtsträchtige Langenbeck-Virchow-Haus in Berlin-Mitte in direkter Nachbarschaft zur Charité und zur Humboldt-Universität. Wie der Verlauf der Tagung zeigte, hätte sich für Vorträge und Diskussionen zum Leben und zum Wirken von Rudolf Virchow und Hermann von Helmholtz kein geeigneterer Ort finden können. Es ist geplant, alle Vorträge und Diskussionsbeiträge der Tagung in einem Band der Abhandlungen der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu veröffentlichen.

Zu Beginn der Jahrestagung begrüßte die Präsidentin der Leibniz-Sozietät Gerda Haßler etwa 30 Mitglieder und Freunde der Sozietät und ging anschließend auf die Lebensleistungen von Rudolf Virchow und Hermann von Helmholtz ein. Sie verwies darauf, dass vieles, was zur Zeit Virchows und Helmholtz‘ auf den Weg gebracht wurde, heute seine Fortsetzung in Initiativen zur Gesundheitsstadt 2030 findet, mit denen Berlin noch stärker zu einem europäischen Spitzenstandort der Medizin entwickelt werden soll. Zudem hob sie hervor, dass gerade die Förderung der Interdisziplinarität und die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse im Interesse der Allgemeinheit sind und gleichzeitig ein wichtiges Anliegen der Leibniz-Sozietät darstellen. Am Ende ihrer Ausführungen wünschte sie der Tagung einen guten und erfolgreichen Verlauf.

In der nun folgenden Eröffnung ging der Alt-Präsident der Leibniz-Sozietät Gerhard Banse auf das Wirken von Rudolf Virchow und Hermann von Helmholtz in Berlin ein. Er machte deutlich, dass es bei der Würdigung von Virchow im Verlauf der Jahrestagung vorrangig um dessen Leistung bei der Verknüpfung von naturwissenschaftlichen Grundlagen und Medizin geht. Virchow war demnach Pionier einer modernen, dem Menschen zugewandten medizinischen Wissenschaft, aber zugleich auch Gesundheitspolitiker mit außergewöhnlichen Leistungen für die Gesundheit der Berliner Bevölkerung und darüber hinaus. Berücksichtigt werden müssten auch die Beziehungen zwischen Virchow und der Berliner Medizinischen Gesellschaft. Von Interesse sind zudem die (prae)historischen Ambitionen Virchows, die bis in die heutige Zeit von großer Bedeutung für Berlin sind. Bei der Würdigung von Helmholtz steht sein Bemühen um die Förderung der Wissenschaften im Vordergrund. Zentrale Themen dabei sind die Leistungen für die organische Physik (Physiologie) sowie sein Beitrag zur Gründung der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt in Berlin und deren Bedeutung sowohl für die industrielle Revolution als auch für die Wissenschaftsentwicklung überhaupt.

Im weiteren Verlauf der Veranstaltung begrüßte Ivar Roots, Vorsitzender der Berliner Medizinischen Gesellschaft und gleichzeitig Hausherr des Langenbeck-Virchow-Hauses die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Jahrestagung. In seinen Ausführungen ging er auf die Geschichte der Berliner Medizinischen Gesellschaft und auf die Historie des Langenbeck-Virchow-Hauses ein. Damit leitete er gleichzeitig auf die folgenden Vorträge des Vormittags über, in deren Mittelpunkt Leben und Wirkung von Rudolf Virchow standen.
Die Moderation für diesen Teil des Programms übernahm der Sekretar der Klasse für Naturwissenschaften und Technikwissenschaften der Leibniz-Sozietät Gerhard Pfaff.
Der im Programm der Tagung vorgesehene Beitrag von Hubert Laitko (MLS) mit dem Titel Berlin wird zur Wissenschaftsmetropole: Signaturen und Kontexte der Virchow-Helmholtz-Ära konnte aus persönlichen Gründen nicht gehalten werden, wird aber im geplanten Band der Abhandlungen der Leibniz-Sozietät in voller Länge enthalten sein.

Der Teil der Vorträge zu Rudolf Virchow wurde von Peter Oehme (MLS) eröffnet. Seine Ausführungen zu Virchow – Pionier einer dem Menschen zugewandten Medizin gaben einen tiefen und sehr anschaulichen Überblick zum Leben und Wirken Virchows. Der Vortragende stützte sich bei seinen Ausführungen vor allem auf den Briefwechsel Virchows mit seiner Familie und auf Virchows Vorträge auf den Deutschen Naturforscherversammlungen. Dort hatte Virchow von 1858 bis 1887 regelmäßig vorgetragen. Der Bogen spannte sich dabei von der Schulzeit Virchows über das Studium an der Militärärztlichen Akademie in Berlin, die Revolutionszeit von 1848/49, die Tätigkeit an der Würzburger Universität bis zur Berufung an den Berliner Lehrstuhl für pathologische Anatomie und das dortige Wirken. Ausführlich wurde auch die Bedeutung Virchows für Berlin als Gesundheitspolitiker herausgearbeitet. Es wurde deutlich, dass Virchow das von ihm selbst gewählte Abiturthema „Ein Leben voll Arbeit und Mühe ist keine Last, sondern eine Wohltat“ ein Leben lang als seine Maxime angesehen und verwirklicht hat.

Der folgende Vortrag Der Gesundheitspolitiker Rudolf Virchow und seine Leistungen für die Gesundheit Berlins wurde von Heinrich Niemann (Berlin) gehalten. Darin wurde an sechs Themen die erfolgreiche und nachwirkende gesundheitspolitische Arbeit Virchows für Berlin dargestellt. Der Vortragende führte aus, dass der maßgebliche Anteil Virchows an der Lösung der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts herangereiften medizinisch-hygienischen Fragen einer großstädtischen Infrastruktur auch aus heutiger Sicht noch außerordentlich beeindruckend und lehrreich ist. Beispiele für das gesundheitspolitische Wirken Virchows für Berlin wie die Lösung des Abwasserproblems, der Ausbau des Rieselfeldsystems, die Durchsetzung der Trichinenfleischbeschau, der Bau des städtischen Vieh- und Schlachthofs und der Bau des ersten städtischen Krankenhauses im Friedrichshain illustrierten den Vortrag in sehr anschaulicher Weise.

In seinem Vortrag Virchow und die Berliner Medizinische Gesellschaft gab Ivar Roots (Berlin) einen zusammenfassenden Überblick zur Geschichte der Berliner Medizinischen Gesellschaft seit ihrer Gründung im Jahr 1844 sowie zur Wirkung von Virchow in dieser Vereinigung von Medizinern. Der Vortragende führte dabei aus, dass Virchow bereits in den ersten 20 Jahren der Gesellschaft das Leben dort maßgeblich mitgestaltete, ohne bereits eine Vorstandsposition einzunehmen. Erst ab 1882 war Virchow Vorsitzender der Gesellschaft, die er in den folgenden Jahren bis zu seinem Tod wie kein anderer prägte. Der Vortrag machte deutlich, dass Virchow entscheidend dazu beitrug, dass sich Berlin zum Zentrum der modernen Medizin entwickelte und Städte wie Wien und Paris in dieser Rolle ablöste. Die Berliner Medizinische Gesellschaft wurde in den Jahren seit ihrem Bestehen zu einer zentralen Institution im medizinischen Berlin. Hierzu hat Virchow entscheidend beigetragen.

In der nun folgenden Diskussion zu den drei Vorträgen über Virchow ergriff zunächst Armin Jähne (MLS) das Wort. Sein Diskussionsbeitrag Virchow und Schliemann: Wie kam das trojanische Gold nach Berlin? zeichnete den Weg nach, den der von Heinrich Schliemann in Troja entdeckte, sogenannte „Schatz des Priamos“ nahm, um 1881 schließlich nach Berlin zu kommen. Der Diskussionsredner führte aus, dass es Virchow war, der für Schliemanns Wertschätzung in Deutschland sorgte, der als weltweit anerkannter Anthropologe mit ihm vertrauensvoll zusammenarbeitete, ihm als Arzt zur Seite stand, ihn wissenschaftlich unterstützte und schließlich maßgeblich dazu beitrug, dass die gesamte trojanische Sammlung Schliemanns, eingeschlossen die Goldfunde, nach Berlin überführt und dort ausgestellt wurde.
Ein zweiter Diskussionsbeitrag fasste vier Thesen zu Rudolf Virchow zusammen, die von Ulrich Scheller(Berlin) ausgearbeitet worden waren. Da der Autor dieser Thesen auf Grund dringender Verpflichtungen als Geschäftsführer der Campus Berlin-Buch GmbH zur Jahrestagung nicht selbst anwesend sein konnte, wurden diese auszugsweise von Gerhard Pfaff (MLS) vorgetragen:

These 1: Virchow nutzt konsequent den technologischen Fortschritt als Chance für Veränderungen in Wissenschaft und Gesellschaft. Das ist einer seiner wichtigsten Erfolgsfaktoren.
These 2: Virchow ist ein Revolutionär im Sinne der bürgerlichen Revolution von 1848 und bleibt dem Umwälzungsprozess bis zu seinem Lebensende treu. Er ist aktiver Treiber politischer Veränderungen.
These 3: Für Virchow ist die Bildung der Weg und das Instrument zu Freiheit und Wohlstand.
These 4: Ohne Rudolf Virchow kein moderner Gesundheitsstandort Buch.
Beide Diskussionsbeiträge werden im geplanten Band der Abhandlungen der Leibniz-Sozietät in voller Länge enthalten sein.
Die Vorträge zu Hermann von Helmholtz wurden am Nachmittag der Jahrestagung gehalten und vom Vizepräsidenten der Leibniz-Sozietät Lutz-Günther Fleischer moderiert.
Sie wurden mit einem Beitrag des Ehrenpräsidenten der Leibniz-Sozietät Herbert Hörz eröffnet, der aus gesundheitlichen Gründen nicht selbst vortragen konnte. An seiner Stelle trug Alt-Präsident Gerhard Banse die Ausführungen zum Thema Helmholtz und die organische Physik vor. Zentraler Teil des Vortrags war das außerordentlich erfolgreiche Wirken von Helmholtz auf dem Gebiet der physikalischen Grundlagen der Physiologie, das auch als organische Physik bekannt ist. Die Ausführungen zeigten das große Interesse von Helmholtz an der organischen Physik, die die physikalisch-chemischen Mechanismen physiologischer Prozesse detailliert untersuchte, besonders in den Jahren ab 1870, als er als Physikprofessor nach Berlin berufen worden war. Gemeinsam mit anderen Physikern förderte Helmholtz das Zusammenwirken von Natur- und Geisteswissenschaften und warnte, so der Autor des Vortrags „vor metaphysischen Systemen, die leere Hypothesen begünstigen, denn Wissenschaft sucht nach Wahrheit unabhängig von den Wünschen derer, die Resultate verlangen wollen und brauchen“.

Den letzten Vortrag der Jahrestagung mit dem Titel Helmholtz, die Physikalisch-Technische Reichsanstalt in Berlin und die Bedeutung für die industrielle Revolution wie für die Wissenschaftsentwicklung hielt Horst Kant (MLS). Nach dem Aufzeigen der wissenschaftlichen Stationen im Leben von Helmholtz ging der Vortragende auf die Gründung der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt in Charlottenburg bei Berlin im Jahre 1887 ein. Neben Helmholtz als Präsident dieser neuen Einrichtung war vor allem Werner Siemens einer der wichtigsten Förderer. Die Reichsanstalt wurde bald zu einer Einrichtung mit internationaler Ausstrahlung, die zudem starke Vorbildwirkung für die 1911 gegründete Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft hatte. Auf Grund seiner außergewöhnlichen Verdienste wurde Helmholtz von Zeitgenossen achtungsvoll auch als „Reichskanzler der Wissenschaft“ oder „Reichskanzler der Physik“ bezeichnet.
Im Anschluss an die Vorträge zu Helmholtz folgte eine Diskussion, die auch Fragen und Anmerkungen zu Virchow einschloss.

Das Schlusswort der Jahrestagung hielt Detlev Ganten, Founding President des World Health Summit. Er fasste die Ergebnisse der Veranstaltung zusammen und verwies auf das außerordentlich hohe Niveau der Vorträge und der Diskussion. Er konstatierte, dass die Tagung einen wichtigen Beitrag im Jahr der 200. Geburtstage von Rudolf Virchow und Hermann von Helmholtz und in Richtung Gesundheitsstadt Berlin geleistet hat und forderte dazu auf, in diesem Sinne weiter aktiv zu bleiben, um das Erbe der beiden geehrten Persönlichkeiten würdig zu bewahren und fortzusetzen.
In einem anschließenden Empfang traten die Teilnehmenden der Jahrestagung in eine Diskussion zu den Vorträgen ein und würdigten das hohe Niveau der Veranstaltung.
Gerhard Pfaff
Fotos: Dietmar Linke