Bericht über das Raumfahrthistorische Kolloquium 2025
Das Raumfahrthistorische Kolloquium 2025 von Stiftung Planetarium Berlin, der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e. V., der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt Lilienthal-Oberth e. V. und dem Sächsischen Verein für historisches Fluggerät e.V. fand am 29.11. wie stets in der Archenhold-Sternwarte statt, diesmal aber wegen technischer Schwierigkeiten nicht im historischen Einstein-Saal, sondern im Kleinen Hörsaal. Organisiert wurde es auch diesmal von Dr. Christian Gritzner (DGLR Lilienthal-Oberth e. V.), Dr. Olaf Przybilski (Sächsischer Verein für historisches Fluggerät e. V.) und MLS Dietrich Spänkuch. Letzterer begrüßte die knapp 50 Teilnehmer, ausdrücklich auch im Namen der Stiftung Planetarium Berlin. Nach Erläuterung der zukünftigen Publikationspolitik, die am Ende des Berichts ausführlich erörtert wird, eröffnete er die Vormittagssitzung.
Erster Vortragender war Prof. i. R. Dr. Tilman Spohn, ehemaliger Direktor des DLR-Instituts für Planetenforschung in Berlin-Adlershof und Vater des Marsmaulwurf, der in seinem Vortrag „Zur Geschichte der Planetenforschung in Deutschland“ einen weitgespannten Überblick von den Anfängen der Planetenforschung in Deutschland (Kopernikus, Kepler, Simon Marius) bis zur ESA-Mission PLATO (PLAnetary Transits and Oscillation of stars) zur Erforschung von Exoplaneten gab, die wissenschaftlich von Spohns Nachfolgerin im DLR-Institut (jetzt Institut für Weltraumforschung) Prof. Dr. Heike Raue geleitet wird. Der Start von PLATO ist für September 2026 vorgesehen. In der BRD wurde Planetenforschung vor allem an Max-Planck-Instituten betrieben, „allerdings mangels genügender Flugmöglichkeiten nicht in dem Maße wie andere Weltraumdisziplinen“, wie vom Wissenschaftsrat zur Evaluierung des Instituts für Kosmosforschung der AdW der DDR 1990 vermerkt. Ein Höhepunkt der westdeutschen Raumforschung war die Beteiligung an der Giotto-Mission zur Erforschung des Kometen Halley der European Space Agency (ESA). Die Planetenforschung der DDR, im Westen wenig beachtet, war eingebunden in das Interkosmosprogramm. Die Schwerpunkte lagen auf der Erdbeobachtung mit der technologisch führenden MKF-6M-Kamera, der Erkundung der Venus und der Modellierung von Kometen. Von den für die Venera-Missionen entwickelten Infrarotspektrometern führt eine direkte Linie zu VIRTIS (Visible and Infrared Thermal Imaging Spectrometer), PFS (Planetary Fourier Spectrometer), MERTIS (MErcury Radiometer and Thermal Infrared Spectrometer) und VEM (Venus Emissivity Mapper). Durch die Wiedervereinigung wurde die deutsche Planetenforschung wesentlich gestärkt mit substanziellen Beiträgen an der Mars-Sonde Mars Express der ESA, die 22 Jahre in Betrieb ist, und der Weltraummission Rosetta der ESA zur Erforschung des Kometen Tschurjumow-Gerassimenko.
Im Vortrag „Besuch beim „Herrn der Ringe“ – die Cassini-Mission“ von MLS Prof. i. R. Dr. Frank Spahn der Universität Potsdam ging dieser besonders auf die Entdeckung kleiner Monde mit Durchmessern von zehn bis einigen hundert Metern (Moonlets) in den Ringen A und B ein, die sich durch propellerförmige Strukturen in den Ringen von bis zu mehreren tausend Kilometern in azimutaler Richtung offenbaren! Diese wurden dann prompt durch die Cassini-Mission entdeckt, obgleich sie bereits 18 Jahre vorher vorhergesagt wurden (Dissertation Spahn 1988, Institut für Kosmosforschung der AdW der DDR; F.Spahn und H.Sponholz, Nature 339, 607, 1989). Mehrere hundert Moonlets sind von der Cassini-Mission gefunden worden, so dass mit der Existenz von Millionen von ihnen in den Hauptringen Saturns gerechnet werden muss. Ein weiteres unerwartetes Ergebnis der Cassini-Mission war die Entdeckung von Kryo-Geysiren am Südpol von Enceladus (Spahn et al., Science 311, 1416, 2006), der wesentlichen Quelle für den bis zum Mond Titan reichenden „staubigen“ E-Ring.
Das Vormittagsprogramm schloss ab mit dem Vortrag „Einsteins Relativitätstheorie und die Raumfahrtpioniere“, einem Beitrag von Michael Tilgner, Wedel, zum Einstein-Jahr. Es ist nicht verwunderlich, dass die Relativitätstheorie auch unter den Raumfahrtpionieren eifrig diskutiert wurde. Neben begeisterter Zustimmung z. B. von Johannes Winkler und Eugen Sänger gab es auch harsche Ablehnung, teils mit antisemitischem Einschlag, wie von Max Valier. Unmittelbares Resultat der Auseinandersetzung mit der Relativitätstheorie waren die allgemeinen Erörterungen über Raum und Zeit von Johannes Winkler und die Vorstellung einer imaginären Reise zu den Sternen mit Eugen Sängers Photonenrakete.
Die Nachmittagssitzung, eingeleitet von Dr. Olaf Przybilski, begann mit dem Vortrag „Geschichte der Raumfahrtpsychologie“ von Prof. i. R. Dr. Dietrich Manzey der TU Berlin, Mitautor des ersten Lehrbuchs über Raumfahrtpsychologie (N. Kanas und D. Manzey: Space Psychology and Psychiatry; Microcosm Press, Springer 2004, 2008). Die Raumfahrtpsychologie ist eine junge, erst Anfang dieses Jahrhunderts etablierte Wissenschaft. Während in der Sowjetunion Raumfahrtpsychologie bereits mit Beginn der bemannten Raumfahrt Anfang der 1960er Jahre professionell betrieben wurde – operationelle Raumfahrtpsychologie, d. h. Auswahl und Unterstützung der Astronauten im Sternenstädtchen nahe Moskau, wissenschaftliche Raumfahrtpsychologie, d. h. Untersuchung der Effekte der Raumflugbelastung auf psychologische Funktionen im Institut für Biomedizinische Probleme der Akademie der Wissenschaften der UdSSR -, bestand in jener Zeit in den USA nur marginales Interesse an raumfahrtpsychologischen Fragestellungen. Zum einen lag das darin begründet, dass man sich in der UdSSR auf Langaufenthalte von Kosmonauten im Weltraum orientierte (Saljut-Missionen, Mir-Station), in den USA dagegen mit dem Apollo-Programm, Skylab und Space Shuttle im Vergleich dazu nur kurzfristige Aufenthalte vorgesehen waren. Zum anderen bestand bei den USA-Astronauten eine ausgeprägte Aversion gegenüber psychologischen Fragestellungen. Diese Einstellung änderte sich in den USA erst, als der US-Astronaut Norman Thagard 1995 nach seinem knapp viermonatigen Flug auf der Mir-Station sich über mangelnde psychologische Vorbereitung und Unterstützung beklagt hatte. Im Vortrag wurde weiter gezeigt, wie die Öffnung der russischen Raumfahrtprogramme auch für westeuropäische und amerikanische Astronautinnen und Astronauten der raumfahrtpsychologischen Forschung einen bedeutenden Impuls gab sowohl bezüglich der im Rahmen des ISS-Programms implementieren operativen psychologischen Maßnahmen als auch der gewachsenen Bedeutung raumfahrtpsychologischer Forschung im Rahmen von Simulationsstudien und Antarktismissionen.
Der nachfolgende Vortrag „Gedenken zum 100. Geburtstag von Prof. Dr. Heinz-Hermann Koelle (1925-2011)“ war dem Wirken dieses namhaften Raumfahrtwissenschaftlers gewidmet. Die Autoren Dr. Fabian Eilingsfeld, (Vortragender), Senior-Projektmanager an der IABG (Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft mbH) in Ottobrunn, Dr. Christian Gritzner, Gruppenleiter Sonnensystem-Missionen, DLR Bonn, und Prof. Dr. Hakan Kayal, Professor für Raumfahrttechnik an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, waren Koelles Studenten und teilweise dessen Mitarbeiter an der TU Berlin. Koelle, jünger als die Peenemünder Raketenexperten und angeregt durch die Lektüre von Hermann Oberths Buch „Wege zur Raumschiffahrt“, verfolgte zielstrebig mit seinem Bildungsweg und weiterer Aktivitäten wie der Gründung der „Gesellschaft für Weltraumforschung e.V.“ (GfW) 1948 und der Organisation des 3. Internationalen Astronautischen Kongresses 1952 in Stuttgart sein Ziel, in der Weltraumforschung tätig zu werden. Zunächst in den USA im Team Wernher von Brauns als Raketeningenieur an der Entwicklung von Großraketen beteiligt, avancierte er dort zum Systemarchitekten, der maßgeblich die Entwicklung der Familie der Saturn-Raketen prägte. Daneben gelang es ihm durch seinen erstaunlichen Arbeitseifer, das „Handbook of Astronautical Engineering“ zu editieren, eine Teamarbeit von 150 Ingenieuren und Wissenschaftlern, und an der TU Berlin zu promovieren. Dorthin 1965 als Nachfolger von Eugen Sänger auf den Lehrstuhl für Raumfahrt berufen, führte er dort mit Unterstützung der Volkswagen-Stiftung das neue Fach „Systemtechnik“ ein. Seine letzten Arbeiten waren Konzeptionen für eine Mondstation und die Suche nach langfristigen Lösungen für eine globale Energieversorgung.
Der zweite Teil des Nachmittagsprogramms wurde von Dr. Christian Gritzner geleitet. Im Vortrag „Albin Franz Sawatzki“ stellte Dr. Olaf Przybilski einen wenig bekannten Akteur im Umfeld der Peenemünder Raketenentwicklungen vor, der als Fachmann für Serienfertigung in der Endphase des 3. Reiches für die Serienfertigung der Boden-Boden-Rakete A4, auch bekannt unter V2, im unter Tage gelegenen berüchtigten Mittelwerk im Südharz verantwortlich war.
Der letzte Vortrag war Dr. Wolfgang Both, Berlin, vorbehalten. Both, der schon mehrfach als Vortragender auf den Raumfahrthistorischen Kolloquien aufgetreten war, erinnerte in seinem Vortrag „100 Jahre Hohmann-Bahnen“ an die 100-jährige Wiederkehr der Veröffentlichung von Walter Hohmanns Buch „Die Erreichbarkeit der Himmelskörper“ im November 1925 im Münchener Oldenbourg-Verlag, in dem er, angeregt durch Hermann Oberths Buch „Die Rakete zu den Planetenräumen“, die energetisch günstigsten Bahnen zu den Planeten ableitete, Überlegungen, die später bei den Flügen zum Mond und zu den Planeten auch verwendet wurden.
Zum Abschluss der Tagung verwies Dr. Spänkuch auf die künftigen Publikationsmöglichkeiten der Vorträge, die nicht mehr wie bisher in den Abhandlungen der Leibniz-Sozietät erscheinen werden, sondern nur noch online entweder in den Sitzungsberichten der Leibniz-Sozietät als gesonderter Band bei Termintreue der Autoren/innen oder andernfalls in Leibniz Online eingestreut in fachfremden Publikationen. In beiden Fällen sind die Veröffentlichungen über die Webseite der Leibniz-Sozietät frei zugänglich. Vom letztjährigen RHK 2024 sind die Beiträge von Hanns-Christian Gunga „Der Berliner Physiologe Nathan Zuntz (1847–1920) und seine Bedeutung für die Geschichte der Höhen- und Luftfahrtmedizin“ und von Michael Schumann „Etappen der Raumfahrtgeschichte im Spiegel der Philosophie des 20. Jahrhunderts. Ein Streifzug durch die Literatur der Space Advocacy“ kürzlich in Leibniz Online 59, (2025) erschienen. Der Beitrag von Dieter Oertel et al. „Abbildende Weltraumsensoren aus Berlin-Adlershof – Gestern, Heute und Morgen“ konnte noch in den Tagungsband für das Raumfahrthistorische Kolloquium 2023 (Abhandlungen der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften, Band 78, trafo Wissenschaftsverlag 1925) übernommen werden.
Das nächste Raumfahrthistorische Kolloquium 2026 wird am 28. November 2026 in der Archenhold-Sternwarte stattfinden.
D. Spänkuch