Wir trauern um Prof. Dr. Malcolm Sylvers, MLS
Nachruf auf unseren Kollegen Malcolm Sylvers
12.4.1941 (New York) – 11.9.2025 (Greifswald)
Unser Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2005, Prof. Dr. Malcolm Sylvers, ist am 11. September 2025 in Greifswald verstorben. Wir verlieren mit ihm einen profunden Kenner der Ideen- und Politikgeschichte der USA.
Er wurde 1941 in New York (USA) geboren und hat im Brooklyn College, in der University of Wisconsin, sowie in Paris und Florenz studiert. Ihn zog es nach Europa, so dass er ab 1971 in Italien lebte und lehrte; von 1985 bis zu seiner Emeritierung 2006 war er Ordentlicher Professor für Geschichte der USA an der Università Ca‘ Foscari Venedig. Bekanntschaft mit Berlin schloss er bereits 1984/85, als er mit einem Forschungsstipendium der VW-Stiftung am Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der FU tätig war.
Nach seinen ersten Publikationen über italienische Immigration in den USA und die Rezeption von Antonio Gramsci arbeitete er über die Geschichte der Arbeiterbewegung der USA mit den Schwerpunkten Analyse der Gewerkschaften, der Communist Party und der Afro-amerikanischen Bewegung. Er hat auch Artikel auf Französisch über die Partei-Struktur der Kommunistischen Partei der USA und ihrer Auseinandersetzung mit der Geschichte des Landes veröffentlicht. Er ist Autor der ersten Monographie über Thomas Jefferson auf Italienisch mit einer Auswahl seiner Schriften (Il penisero politico e sociale di Thomas Jefferson, Manduria, 1993). Hier versuchte er, Jefferson in den Zusammenhang der zeitgenössischen wirtschaftlichen und sozialen Strukturen der USA zu stellen. Er verglich die Auffassungen Jeffersons und Tocquevilles über das Wahlrecht in den USA.
Den gegenwärtigen internationalen Kapitalismus und seine Wirkung auf die sozialen und politischen Strukturen in den USA untersuchte Malcolm Sylvers in „Die USA – Anatomie einer Weltmacht – Zwischen Hegemonie und Krise“ (Köln, 2002, auch auf Portugiesisch und Italienisch, 1999). Der Rezensent der „Frankfurter Rundschau“, Frank Niess, bemerkte zu dem Buch: Das Buch ist so gründlich recherchiert und gut gegliedert, „dass es auch als Einführung in die Zeitgeschichte und das politische System der USA gelesen werden kann“. Der Autor sei „marxistisch inspiriert“ und überzeugt, dass die USA „die strukturelle Macht besitzen, um ihre hegemoniale Stärke zu bewahren“ – auch wenn diese Bemühungen ihren sozialen Preis haben, in den USA und weltweit, so Niess weiter (FR, 30.5.2003).
Malcolm Sylvers lernte ich 1995 auf einer Friedrich-Engels-Konferenz zu dessen 100. Todestag in Wuppertal kennen. Die Diskussion mit der anwesenden kleinen Gruppe von deutschen und russischen Marx-Engels-Forschern bekräftigte, dass eine neue Sicht auf das Verhältnis von Marx und Engels zu den USA benötigt wird und er dazu einen Beitrag leisten könne. So begann er, sich verstärkt für das Thema „Marx und Engels und die USA“ zu interessieren. Er stellte das akademische Projekt der Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) auf einer Tagung der Association of Documentary Editing (USA) vor und erhielt Unterstützung für das geplante Thema. Die Ergebnisse seiner Untersuchungen schlugen sich 2004/05 in zwei Aufsätzen im Marx-Engels-Jahrbuch und in den „Beiträgen zur Marx-Engels-Forschung“ nieder. Etwa zu dieser Zeit siedelte er nach Berlin um.
Malcolm Sylvers zweites großes Buch in deutscher Sprache erschien 2014: „Mythen und Kritik in der Ideengeschichte der USA“, verfasst gemeinsam mit seiner Frau Brigitte Domurath-Sylvers. Eine deutsche Ideengeschichte der USA aus jüngerer Zeit lag bis dato nicht vor. Es beinhaltet 25 Porträts aus dem 17.– 20. Jahrhundert. Die Porträts sind jedoch keine Filiation „fortschrittlicher“ Figuren im Sinne eines „anderen“, die realen Verhältnisse verfälschenden Bildes der USA, denn zahlreiche Kritiker amerikanischer Mythen schrieben aus der Perspektive des „conservative thought“. Dazu gehören der Calvinist Jonathan Edwards, Gründervater John Adams, die Sklavereibefürworter John Calhoun und George Fitzhugh, der Sozialdarwinist William G. Sumner, der Theologe Reinhold Niebuhr oder der Journalist Walter Lippmann. „Sylvers/Sylvers haben ein bemerkenswertes Buch über die kritische wie mythologisierende Selbstdarstellung der USA mit großem Erkenntniswert für den deutschen Leser verfasst, das zum Abbau mancher Vor- und Fehlurteile beitragen kann.“ (Hans-Otto Dill, Leibniz-Online, Nr. 23, 2016).
Mit Malcolm Sylvers verliert unsere Gelehrtengesellschaft einen geschätzten Kollegen auf dem Gebiet der Geschichte der USA, zu der er im westeuropäischen Raum gewichtige Beiträge veröffentlicht hat. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.
Rolf Hecker, 15.9.2025
Allgemeine Information:
https://www.muslim-markt.de/interview/2009/sylvers.htm
Leibniz-Sozietät, Mitglied seit 2005:
Vortrag in der Klasse SGW 18.9.2003 (Sitzungsberichte 66/2004: 105–125): Politik und Klassen: Das Beispiel USA. https://leibnizsozietaet.de/wp-content/uploads/2012/11/05_sylvers.pdf
Bücher:
https://leibnizsozietaet.de/wp-content/uploads/2012/10/Portfolio-LO-23-2016.pdf
1999 (dt.: 2002): https://www.perlentaucher.de/buch/malcolm-sylvers/die-usa-anatomie-einer-weltmacht.html
1993: https://www.amazon.com/Pensiero-Politico-Social-Thomas-Jefferson/dp/B004HSJD0O
https://www.jstor.org/stable/43101513
Marx-Engels-Forschung:
Marx-Engels-Jahrbuch 2004 (Berlin 2005: Akademie Verl.): 32–53: Marx, Engels und die USA – ein Forschungsprojekt über ein wenig beachtetes Thema.
Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. NF 2005: 99–118: https://marxforschung.de/2016/wp-content/uploads/2023/04/BzMEF_NF2005_M.-Sylvers_S.-99-118.pdf
Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. NF 1997: 203–208: https://marxforschung.de/2016/wp-content/uploads/2022/05/BzMEF_NF97_M._Sylvers_S_203-208.pdf