Sitzung des Plenums der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin
11. November 2021 - 13:30 - 16:00
Die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin führt ihre öffentliche wissenschaftliche Plenarsitzung am 11. November 2021 in der Zeit von 13:30 bis 16:00 Uhr online durch zum Thema
Fuzzy Logic – neue methodische und sachliche Ansätze für die Analyse von Musik und anderen Künsten
Um 1965 entwickelte Lotfi A. Zadeh die Fuzzy Logic im Kontext der Elektrotechnik als „Fuzzy-Set-Theorie“, als Theorie der unscharfen Mengen. Neben Mengenlehre gingen vor allem Modallogik und mehrwertige Logiken, Wahrscheinlichkeitstheorie und Informatik in das Konzept ein. Zadeh hatte von vorneherein eine interdisziplinäre Orientierung und sah Anwendungsmöglichkeiten nicht zuletzt in Kultur- und Geisteswissenschaften sowie Kunst.
Fuzzy Logic ist eine Logik des Nicht-Identität. Die zentrale Kategorie ist ‚Unschärfe‘. Sie wird gemäß einem ingenieursmäßigen Denken, das Affinitäten zur Kunstproduktion hat, real und materiell als unvermeidbar hingenommen, ist aber methodisch-wissenschaftlich eingrenzbar und kann infinitesimal in Richtung Schärfe transformiert werden. Kunstspezifisch gibt es vier Hauptprinzipien (mit fünf Phänotypen) der Fuzzy Logic: Ähnlichkeit, Schärfung 1. als Filterung und Schärfung 2. als Kristallisation, Verwischung, Variation. Ein neues, kunstadäquates Konzept ist die Dialektik zwischen Schärfung und – bewusster – „Unschärfe“ durch die Verwischung.
Diese Prinzipien und ihre oft enkaptischen Verflechtungen machen sich in allen Phasen des Kunstprozesses zwischen Einfall und Wirkung geltend. In allen Musikarten, Klassik, Jazz, Pop, Folklore durchläuft das ‚Werk‘ als dinghaft und zugleich prozesshaft drei Hauptphasen Produktion, Reproduktion und Rezeption. Sie lassen sich differenzieren in dreizehn ‚Existenzformen‘ des Kunstwerks, d.h. Verwandlungen des musikalischen Kunstwerks im Musikprozess. Das Werk erweist sich als ‚prozessierende Identität‘.
Das gilt mutatis mutandis für alle Kunstwerke. Ich dekliniere sie hier im wesentlichen nur am Beispiel Musik durch.
Ich entwickle einige Aspekte der dialektischen Erscheinungen im Rahmen der Fuzzy Logic auch in historischer Dimension, einschließlich der potentiellen Postulierung eines ‚Musical Turns‘ in den Wissenschaften und Überlegungen zu einer ‘Philosophie der Fuzzy Logic’. Das produktionsorientierte Denken der Fuzzy Logic kann sollte zu neuen Sichtweisen auf die Musik führen – und ebenso auf andere Künste.
Vita:
Hanns-Werner Heister, *1946 in Plochingen am Neckar, Prof. Dr. phil. habil. i.R., verheiratet, fünf Kinder, studierte Musikwissenschaft, Germanistik und Indogermanistik/Linguistik in Tübingen, Frankfurt a. M. und Berlin (Technische Universität), 1977 Promotion (bei Carl Dahlhaus), 1993 Habilitation an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg. 1971-1992 freiberufliche Tätigkeit bei verschiedenen bundesdeutschen Rundfunkanstalten, Zeitungen und Zeitschriften. 1992-1998 Professor für Musikkommunikation und Musikgeschichte an der Musikhochschule „Carl Maria von Weber“ Dresden, 1998-2011 Professor für Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg.
Forschungsschwerpunkte und Veröffentlichungen zu: Methodologie der Musikwissenschaft; Ästhetik, Soziologie, Anthropologie und Geschichte der Musik; politische, populäre und Neue Musik, Musik im Nazismus, im Widerstand und im Exil; Musiktheaterästhetik und -geschichte; Medien und Institutionen der Musikkultur; Musik und: Bildende Kunst, Literatur, Tanzkunst, Film, Fernsehen, Psychoanalyse, Mathematik, Kybernetik, Fuzzy Logic, Spiel, Gartenkunst; Stadt- und Gartenkultur.
Unter Anderem: Das Konzert. Theorie einer Kulturform (1983), Jazz (1983); Vom allgemeingültigen Neuen. Analysen engagierter Musik (2006); Hintergrund Klangkunst. Ein Beitrag zur akustischen Ökologie (2010); Music and Fuzzy Logic. The Dialectics of Ideas and Realizations in the Artwork Process (Studies in Fuzziness and Soft Computing, ed. J. Kaprzyk, Vol. 406) (2021); In Vorbereitung: Musik und Fuzzy Logic. Die Dialektik von Idee und Realisierung im Werkprozess, erscheint Ende 2021; Tasten, Telegraphie, Telephonie. Musikalische Modelle und technisch-industrielle Medien, erscheint 2022; Autowrack, Pädagogik und Psalterium. Ungewöhnliche Musikinstrumente im Werk Hans Werner Henzes, erscheint 2022.
Die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin führt ihre öffentliche wissenschaftliche Plenarsitzung am 11. November 2021 in der Zeit von 13:30 bis 16:00 Uhr online durch zum Thema
Fuzzy Logic – neue methodische und sachliche Ansätze für die Analyse von Musik und anderen Künsten
Vortragender: Prof. Dr. Hanns-Werner Heister (MLS)
Zugangsdaten zur Online-Veranstaltung:
https://uni-potsdam.zoom.us/j/95397029406
Meeting ID: 953 9702 9406
Passwort: 13714361.
Abstract:
Um 1965 entwickelte Lotfi A. Zadeh die Fuzzy Logic im Kontext der Elektrotechnik als „Fuzzy-Set-Theorie“, als Theorie der unscharfen Mengen. Neben Mengenlehre gingen vor allem Modallogik und mehrwertige Logiken, Wahrscheinlichkeitstheorie und Informatik in das Konzept ein. Zadeh hatte von vorneherein eine interdisziplinäre Orientierung und sah Anwendungsmöglichkeiten nicht zuletzt in Kultur- und Geisteswissenschaften sowie Kunst.
Fuzzy Logic ist eine Logik des Nicht-Identität. Die zentrale Kategorie ist ‚Unschärfe‘. Sie wird gemäß einem ingenieursmäßigen Denken, das Affinitäten zur Kunstproduktion hat, real und materiell als unvermeidbar hingenommen, ist aber methodisch-wissenschaftlich eingrenzbar und kann infinitesimal in Richtung Schärfe transformiert werden. Kunstspezifisch gibt es vier Hauptprinzipien (mit fünf Phänotypen) der Fuzzy Logic: Ähnlichkeit, Schärfung 1. als Filterung und Schärfung 2. als Kristallisation, Verwischung, Variation. Ein neues, kunstadäquates Konzept ist die Dialektik zwischen Schärfung und – bewusster – „Unschärfe“ durch die Verwischung.
Diese Prinzipien und ihre oft enkaptischen Verflechtungen machen sich in allen Phasen des Kunstprozesses zwischen Einfall und Wirkung geltend. In allen Musikarten, Klassik, Jazz, Pop, Folklore durchläuft das ‚Werk‘ als dinghaft und zugleich prozesshaft drei Hauptphasen Produktion, Reproduktion und Rezeption. Sie lassen sich differenzieren in dreizehn ‚Existenzformen‘ des Kunstwerks, d.h. Verwandlungen des musikalischen Kunstwerks im Musikprozess. Das Werk erweist sich als ‚prozessierende Identität‘.
Das gilt mutatis mutandis für alle Kunstwerke. Ich dekliniere sie hier im wesentlichen nur am Beispiel Musik durch.
Ich entwickle einige Aspekte der dialektischen Erscheinungen im Rahmen der Fuzzy Logic auch in historischer Dimension, einschließlich der potentiellen Postulierung eines ‚Musical Turns‘ in den Wissenschaften und Überlegungen zu einer ‘Philosophie der Fuzzy Logic’. Das produktionsorientierte Denken der Fuzzy Logic kann sollte zu neuen Sichtweisen auf die Musik führen – und ebenso auf andere Künste.
Vita:
Hanns-Werner Heister, *1946 in Plochingen am Neckar, Prof. Dr. phil. habil. i.R., verheiratet, fünf Kinder, studierte Musikwissenschaft, Germanistik und Indogermanistik/Linguistik in Tübingen, Frankfurt a. M. und Berlin (Technische Universität), 1977 Promotion (bei Carl Dahlhaus), 1993 Habilitation an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg. 1971-1992 freiberufliche Tätigkeit bei verschiedenen bundesdeutschen Rundfunkanstalten, Zeitungen und Zeitschriften. 1992-1998 Professor für Musikkommunikation und Musikgeschichte an der Musikhochschule „Carl Maria von Weber“ Dresden, 1998-2011 Professor für Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg.
Forschungsschwerpunkte und Veröffentlichungen zu: Methodologie der Musikwissenschaft; Ästhetik, Soziologie, Anthropologie und Geschichte der Musik; politische, populäre und Neue Musik, Musik im Nazismus, im Widerstand und im Exil; Musiktheaterästhetik und -geschichte; Medien und Institutionen der Musikkultur; Musik und: Bildende Kunst, Literatur, Tanzkunst, Film, Fernsehen, Psychoanalyse, Mathematik, Kybernetik, Fuzzy Logic, Spiel, Gartenkunst; Stadt- und Gartenkultur.
Unter Anderem: Das Konzert. Theorie einer Kulturform (1983), Jazz (1983); Vom allgemeingültigen Neuen. Analysen engagierter Musik (2006); Hintergrund Klangkunst. Ein Beitrag zur akustischen Ökologie (2010); Music and Fuzzy Logic. The Dialectics of Ideas and Realizations in the Artwork Process (Studies in Fuzziness and Soft Computing, ed. J. Kaprzyk, Vol. 406) (2021); In Vorbereitung: Musik und Fuzzy Logic. Die Dialektik von Idee und Realisierung im Werkprozess, erscheint Ende 2021; Tasten, Telegraphie, Telephonie. Musikalische Modelle und technisch-industrielle Medien, erscheint 2022; Autowrack, Pädagogik und Psalterium. Ungewöhnliche Musikinstrumente im Werk Hans Werner Henzes, erscheint 2022.
Weiteres unter www.Hanns-Werner-Heister.de.
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