Gemeinsame Veranstaltung der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin, der Stiftung Planetarium Berlin und der
Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt Lilienthal-Oberth
Raumfahrthistorisches Kolloquium 2024
am 30. November 2024
10.00 Uhr – 17.00 Uhr
im
Einstein-Saal der Archenhold-Sternwarte
Alt-Treptow 1, 12435 Berlin
Programm:
Begrüßung und Einleitung: Dipl.-Ing. Stefan Gotthold
(Stiftung Planetarium Berlin)
10.00 Uhr – 10.1 0 Uhr
Vorträge
Moderation: Dr. Christian Gritzner
10.10 – 10.45 Michael Schumann
Etappen der Raumfahrtgeschichte im Spiegel der Philosophie des 20. Jahrhunderts
10.45 – 11.20 Dr. Wolfgang Both
Die Berichte von Alexander B. Scherschewsky an den sowjetischen Geheimdienst 1929-1931
11.20 – 11.55 Michael Tilgner
Einsteins Relativitätstheorie und die Raumfahrtpioniere
12.00 – 13.00
Mittagspause
Vorträge
Moderation: Dr. Dietrich Spänkuch, MLS
13.00 – 13.45 Prof. Dr. Dieter Oertel u. a.
Abbildende Weltraumsensoren aus Berlin-Adlershof. Gestern -Heute – Morgen. Ein beachtliches Erbe des Instituts für Kosmosforschung der AdW der DDR
13.50 – 14.35 Dr. Marie-Luise Heuser
Frühgeschichte rotierender Weltraumhabitate – Fantastische Möglichkeit und futuristische Wirklichkeit
14.40 – 15.15
Kaffeepause
15.15 – 16.00 Prof. Dr. Hanns-Christian Gunga, MLS
Nathan Zuntz – ein Pionier der Raumfahrtmedizin
16.00 – 16.10 Stefan Gotthold
Schlusswort
16.10 – 17.00
Get together
Abstracts und Vitae der Autoren:
Wolfgang Both
Die Berichte von Alexander B. Scherschewsky an den sowjetischen Geheimdienst 1929-1931
Alexander Scherschewsky arbeitete seit 1928 direkt für Hermann Oberth. So fertigte er Zeichnungen für die Neuauflage von Oberths Buch und las Korrektur. Als Oberth die Möglichkeit bekam, im Rahmen seiner Beratertätigkeit für den Film “Frau im Mond” erste experimentelle Arbeiten an einem Raketenmotor durchzuführen, war Scherschewsky sein erster Assistent. Scherschewsky ließ sich vom militärischen Geheimdienst der Roten Armee GRU rekrutieren und berichtete bis zu seiner Rückkehr nach Moskau/Leningrad in mindestens 32 Reports über technische Details der frühen Raketenentwicklung in Deutschland von Oberth über Nebel, Poggensee, Tiling, Heyland, das Heereswaffenamt und andere.
Wolfgang Both (*1950) war nach dem Studium der Informationstechnik an der Technischen Hochschule Ilmenau (Diplom 1973) und Assistenzzeit (Promotion Dr.-Ing. 1979) am Zentralinstitut für Optik und Spektroskopie in Berlin-Adlershof beschäftigt. Im Rahmen der Industrieforschung wurden optoelektronische Bauelemente entwickelt. 1991 wechselte er zum Projektträger für Informationstechnik des Bundesministeriums für Forschung und Technologie und 1994 in die Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft. In beiden Institutionen war er für Technologieförderprogramme in seinem Fachgebiet zuständig. Seit 2015 ist er im Ruhestand und widmet sich seinen Interessen Science fiction und Raumfahrtgeschichte. Er ist Autor mehrerer Bücher und Artikel zu diesen Themen. Im Jahr 2020 erschien das Standardwerk „Kulturaufgabe Weltraumschiff“ über die frühe Raketenentwicklung im Zeitraum 1923 – 1933.
Hanns-Christian Gunga
Leben und Werk der Berliner Physiologen Nathan Zuntz (1847-1920)
Nathan Zuntz (1847-1920) war Professor für Tierphysiologie an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin von 1881-1918. Er führte bahnbrechende Laboruntersuchungen an Menschen und Tieren zu den Veränderungen des Stoffwechsels in Ruhe und Arbeit durch. Zu diesem Zweck entwickelte er 1885 zusammen mit August Julius Geppert (1856-1937) den berühmten “Zuntz-Geppert’schen Respirationsapparat” und erfand u.a. das Laufband, welches er später noch für Herz-Kreislauf-Untersuchungen durch einen Röntgen-Apparat ergänzte. In den frühen 1890er Jahren erweiterte Zuntz seine Forschungen auf das Gebiet der Höhenphysiologie. Für die Untersuchungen auf diesem Gebiet erfand Zuntz ein Messgerät zur Erfassung des Gasaustauschs in der Höhe. Eine Zusammenfassung dieser Studien veröffentlichte Zuntz 1906 in dem berühmten Buch “Höhenklima und Bergwanderungen”. Einige Jahre später unternahm Zuntz weitere Expeditionen auf die Kanarischen Inseln und führte bis 1914 Studien in Luftschiffen und Flugzeugen durch. Nathan Zuntz deckte ein erstaunlich breites Spektrum an Forschungsgebieten ab: Stoffwechsel, Ernährung, Atmung, Blutgase, Herz-Kreislauf-, Sport- und Höhenphysiologie waren die Hauptthemen. Er wurde dreimal für den Nobelpreis vorgeschlagen und hat mehrere nationale und internationale Auszeichnungen erhalten. Zuntz ging 1918 in den Ruhestand und starb am 22. März 1920 in Berlin. Er kann als einer der wichtigsten Wissenschaftler in der Geschichte der Ernährung, der Höhenphysiologie und der Luffahrtmedizin angesehen werden.
Hanns-Christian Gunga (*1954) studierte zunächst Geologie und Paläontologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (Diplom 1980) und anschließend Humanmedizin dortselbst sowie an der Freien Universität Berlin (Staatsexamen 1987, Promotion 1989, Habilitation 1997, Facharzt für Physiologie 2000). Als Dipl.- Geol. arbeitete er von 1980 bis 1982 an Photogeologischen Studien zu den Verwerfungen auf den Hochlandplateaus der Mondoberfläche.
Nach Abschluss seines Medizinstudiums arbeitete er zunächst von 1992 bis 2004 (ab 1997 als ao. Prof.) in der Abteilung für Physiologie der Freien Universität Berlin und ab 2004 im Institut für Physiologie der Charité u. a. an den Forschungschwerpunkten Raumfahrtmedizin und vergleichende Physiologie unter extremen Bedingungen, 2008-2022 als stellvertretender Direktor, zeitweise auch als Direktor in leitender Funktion. Hanns-Christian Gunga ist Vorsitzender der Programmkommission Raumfahrt des DLR und als Mitglied verschiedener Beratungsgremien für die Europäische Weltraumbehörde ESA tätig. Er war Gastprofessor an der Northwestern Polytechnical University in Xi’an, China, und der University Antofagasta, Chile, und ist Experte am Institute of Physiology der University of Ashgabat, Turkmenistan sowie Seniorprofessor an der Charité.
Er ist Autor mehrerer Bücher, von denen einige mit dem Life Science Book Award der International Astronautical Association (IAA) ausgezeichnet wurden. Für seine Forschungsleistungen zu den Auswirkungen von extremen Umweltbedingungen auf den Menschen wurde er 2022 mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.
Marie-Luise Heuser
Die Frühgeschichte rotierender Weltraumhabitate – Fantastische Möglichkeit und futuristische Wirklichkeit
Die ersten rotierenden Raumstationen wurden 1883 und 1903 von Konstantin E. Ziolkowsk und 1929 von Herman Potočnik (Pseudonym: Hermann Noordung) entworfen. Damals gab es noch keine Rakete, die den Weltraum hätte erreichen können. Was bewegte diese Pioniere, Techniken für Weltraumbesiedelungen zu erfinden in einer Zeit, als nicht im Entferntesten an ihre Realisierung zu denken war? Im Rahmen einer utilitaristischen Ethik und Weltanschauung müssten solche Konstruktionen als „unnütz“ und traumtänzerisch erscheinen. Schnelles Geld war damit nicht zu verdienen. Heute sind wir im Weltraum angekommen. Rotierende Raumstationen wurden jedoch immer noch nicht gebaut, obwohl sie in den 1970er Jahren von Gerald O’Neill als machbar dem US-Senat vorgestellt wurden.
Was trieb die frühen Raumfahrtpioniere an? Die Motive für ihre kühnen Innovationen erklären sich vor allem aus ihren kulturellen Hintergründen und philosophischen Grundhaltungen. In meiner Präsentationwird es nicht nur um das Thema „technischer Vorläufer“ gehen, sondern auch um deren Kulturgeschichte. Welche Ethik leitete die frühen Raumfahrtpioniere und in welche sozialkulturellen Bewegungen waren sie eingebunden? Philosophisch bedeutsam ist dabei auch das ontologische und metaphysische Verhältnis von Möglichkeit und Wirklichkeit beziehungsweise das, was der Philosoph Ernst Bloch die „Ontologie des Noch-Nicht-Seins“ nannte.
Marie-Luise Heuser studierte Philosophie, Geschichte, Physik und Mathematik an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf und promovierte mit einer Arbeit über Schellings Naturphilosophie und die physikalischen Theorien der Selbstorganisation. Sie arbeitete in Forschung und Lehre an den Universitäten Düsseldorf, Heidelberg, Stuttgart und Braunschweig. Von 2002-2015 war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Philosophie der Technischen Universität Braunschweig und Organisatorin der transdisziplinären Kooperation “Kultur und Raumfahrt”. Von 2015-2020 leitete sie die Abteilung Kultur und Raumfahrt am Institut für Raumfahrtsysteme der TU Braunschweig. Seit 2010 ist sie darüber hinaus Geschäftsführerin der Gesellschaft für Kultur und Raumfahrt e.V. (www.kultur-raumfahrt.de), seit 2020 Leiterin des Fachausschusses Raumfahrt und Kultur in der DGLR, seit 2022 Leiterin des Space Philosophy Laboratory der Space Renaissance Academy, und seit 2023 ist sie im Vorstand der Space Renaissance International und seit 2024 Delegierte beim UN COPUOS. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Klassische Philosophie der Raumfahrt von der Antike bis zur Moderne, Metaphysik, Ontologie, Anthropologie, Natur- und Kunstphilosophie. Ihre Publikationen u.a.: Transterrestrialismus in der Renaissance (2008), Russischer Kosmismus und extraterrestrischer Suprematismus (2009), Space Philosophy (2016), Raumontologie und Raumfahrt um 1600 und 1900 (2016), Rückkehr zum Mond (2019), Husserls Phänomenologie der Flugreise (2020), ‘Der Mensch ist nicht nur für die Erde da’. Schellings Philosophie des Weltraums (2020), Zur Philosophie der Raumfahrt von Günther Anders. Zwischen kopernikanischer Wende und Wiederverwurzelung (2021), Space Culture and Space Philosophy (2022) und zusammen mit Frank White: Space 4 All, Space 4 Peace, a Space 18th SDG for the 2030 U.N. Agenda (2024).
Dieter Oertel, Thomas Behnke, Andreas Eckardt, David Krutz, Gisbert Peter, Thomas Säuberlich, Friedrich Schrandt, Horst Schwarzer, Ilse Sebastian, Wolfgang Skrbek, Holger Venus, Ingo Walter, Bernd Zender, N.N.
Abbildende Weltraumsensoren aus Berlin-Adlershof. Gestern – Heute – Morgen. Ein beachtliches Erbe des Instituts für Kosmosforschung der AdW der DDR
Im Institut für Kosmosforschung (IKF) der Akademie der Wissenschaften der DDR wurden die Grundlagen gelegt für mindestens zwei der abbildenden Weltraumsensoren aus Berlin Adlershof: Für den Modular Optoelectronic Scanner (MOS) und den Wide-Angle Optoelectronic Stereo Scanner (WAOSS). MOS wurde 1996 als weltweit erstes Spektro-Radiometer auf dem Indian Remote-Sensing Satellite –P3 (IRS-P3) und auf dem PRIRODA-Modul der sowjetischen Raumstation MIR eingesetzt. WAOSS startete im selben Jahr mit der leider beim Einschuss in die Bahn zum Mars gescheiterten Mission MARS-96, erlebte aber im Jahr 2001 als Nutzlast des ersten Kleinsatelliten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) zur Bi-spektralen InfraRot Detektion (BIRD) seine erfolgreiche Renaissance als WAOSS-B. Zentrale Nutzlast der BIRD Mission war das im DLR Institut für Weltraumsensorik entwickelte Hot Spot Recognition System (HSRS), das es erlaubte, Hoch-Temperatur-Ereignisse wie Vegetationsfeuer oder vulkanische Aktivitäten mit seinen bi-spektralen Infrarotkanälen sicher zu erkennen und energetisch exakter zu bewerten als andere dafür verwendeten abbildenden Weltraumsensoren. Das Multi-spektrale InfraRot Kamerasystem, welches im Adlershofer DLR Institut für Optische Sensorsysteme aus HSRS und WAOSS-B für die FireBIRD Mission des DLR weiterentwickelt wurde, startete mit den Kleinsatelliten Technologie-Erprobungs-Träger N° 1 (TET-1) im Jahr 2012 und Bi-spektral InfraRot Optisches System (BIROS) im Jahr 2016. TET-1 und BIROS haben zwischen 2017 und 2019 als Mini-Kleinsatelliten-Konstellation weltweit unikale Datensätze von Hoch-Temperatur-Ereignissen gewonnen.
Aufbauend auf dem Know How aus der Entwicklung des Rosetta Lander Imaging System (ROLIS), wurde in enger Zusammenarbeit der Adlershofer DLR Institute für Planetenforschung und für Weltraumsensorik die Super Resolution Camera (SRC) für die Mars Express Mission der ESA entwickelt, die 2003 startete und bis heute aktiv ist.
Von einem deutschen Konsortium wurde 2004 das MErcury Radiometer and Thermal Infrared Spectrometer (MERTIS) als wissenschaftliche Nutzlast für die „Bepi Colombo“ Mission der European Space Agency (ESA) und der Japan Aerospace Exploration Agency (JAXA) vorgeschlagen, angenommen und dann im DLR Standort Berlin Adlershof (DLR-BA) in enger Zusammenarbeit mit der Firma Astro-und Feinwerktechnik Adlershof GmbH entwickelt, gebaut und getestet. Das sehr kompakte und leichte (Masse < 3kg) MERTIS Instrument wird – nach seiner Reise zum Merkur an Bord des Mercury Planetary Orbiter (MPO), die von 2018 bis 2025 dauern wird – im Wellenlängenbereich von 7 – 14 µm hyperspektrale Thermalbilder in einem Gesichtsfeld von 4° liefern.
Das DLR und das US-Unternehmen Teledyne Brown Engineering (TBE) vereinbarten im Jahr 2013 eine Kooperation zur Entwicklung und Nutzung eines neuen Hyperspektralsensors, des DLR Earth Sensing Imaging Spectrometer (DESIS). Das DLR Institut für Optische Sensorsysteme entwickelte das DESIS Instrument für die Erdbeobachtung von der Internationalen Raumstation (ISS) im sichtbaren und nahen Infrarot Wellenlängenbereich mit hoher spektraler und räumlicher Auflösung, die seit 2018 erfolgreich stattfindet.
Dieter Oertel, geboren 1943 in Crimmitschau/Sa., erwarb 1969 das Diplom in Hochfrequenztechnik am Leningrader Elektrotechnischen Institut (LETI) und begann seine wissenschaftliche Tätigkeit im am Zentralinstitut für Solar-Terrestrische Physik (ZISTP) der Akademie der Wissenschaften (AdW) in Berlin-Adlershof. Von 1973 bis 1977 war er Abteilungsleiter im Institut für Elektronik der AdW der DDR, wo er an mehreren instrumentellen Beiträgen der DDR zum „Interkosmos“- Programm beteiligt war. In drei Weltraummissionen auf sowjetischen Wettersatelliten vom Typ „Meteor“ mit Infrarot-Spektrometern-Interferometern, entwickelt an der AdW in Berlin Adlershof, war D. Oertel ab 1972 Systemingenieur und ab 1978 Projektleiter. 1976 promovierte er dort zum Dr. Ing. mit einer Arbeit zu „Elektronischen Systemen eines IR-Michelson Interferometers für den Satelliteneinsatz“. Von 1978 bis 1991leitete er den Bereich Optoelektronische Systeme im Institut für Elektronik, 1981 in Institut für Kosmosforschung (IKF) umbenannt. Von 1978 bis 1984 war er wissenschaftlicher Leiter der ersten Tiefraummission der DDR mit zwei Infrarot-Fourier-Spektrometern an Bord der sowjetischen Sonden „Venera 15 & 16“. 1983 folgte die „Promotion-B“ (zum Dr. sc. techn.) mit einer Arbeit zum Thema „Infrarotfernerkundung von Erde und Planeten“, und 1984 wurde er zum Professor an der AdW ernannt.
Nach der Übernahme des IKF durch das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) zum 1. 1. 1992 wurde D. Oertel an das DLR Institut für Optoelektronik in Oberpfaffenhofen versetzt. 1995 wurde ihm auf Vorschlag des Direktors dieses Institutes der Titel „Seniorwissenschaftler“ durch den Vorstand des DLR verliehen.
1998 wechselte er an das DLR Institut für Weltraumsensorik nach Berlin-Adlershof. Von 2000 bis 2005 war er dort u. a. Wissenschafts-Koordinator der ersten deutschen Infrarot-Kleinsatellitenmission zur „Bi-spektralen InfraRot Detektion (BIRD)“. Seit 2006 ist er fachlicher Berater der mittelständischen Fa. Astro- und Feinwerktechnik Adlershof GmbH.
Michael Schumann
Etappen der Raumfahrtgeschichte im Spiegel der Philosophie des 20. Jahrhunderts
Ein Streifzug durch die Literatur der Space Advocacy
Nach gut hundert Jahren Raumfahrtgeschichte in der öffentlich-massenmedialen Wahrnehmung, deren Auftakt – in diesem Sinne – bei der „space fad“ der 1920er Jahre anzusetzen ist, fehlt es doch bis heute an einer umfassenden akademischen Konfrontation mit der geisteswissenschaftlichen Relevanz nunmehr weltweiter Raumfahrtaktivitäten. Diese Nachlässigkeit an der akademischen Philosophie hat eine wohlwollende Phänomendurchdringung, darin der Soziologie nicht unähnlich, bislang eher vermieden. Es bedarf eines blickerweiterten Umwegs.
Dieser führt über ‚Popularisierungsliteratur‘, präziser, das Genre der „Space Advocacy“, d. h., der generellen Verteidigung des Raumfahrtinteresses, sogar weit vor dem öffentlich-massenmedialen Spektakel eines extra-terrestrischen Unterfangens. Aus Gründen der Sachorientierung (einzelne Etappen des technisch realisierten Raketenfluges) bleibt der Untersuchungsrahmen aber dem 20. Jahrhundert verhaftet: Konkret sind es fünf Etappen, gegliedert in Zeitsprüngen von 20 Jahren, die markante Durchbrüche oder Erlahmungsphasen betreffen.
Diese sind 1. die Vorbereitungsetappe (1910er-1920er), illustriert an Konstantin E. Ziolkowski, unter dem Blickpunkt der Gesellschaftsutopie; 2. die Reorientierungsetappe (1930er-1940er), angedeutet mit Arthur C. Clarke, unter dem Fokus einer satellitengestützten Globalisierung; 3. die Konsolidierungsetappe (1950er-1960er), informiert über Hannah Arendt, im Vorbehalt ihrer Skepsis gegen Weltentfremdung; 4. die Zermürbungsetappe (1970er-1980er), plausibilisiert anhand von Krafft A. Ehricke, in Erwiderung auf ‚Grenzen des Wachstums‘; und 5. die Pluralisierungsetappe (1990er-2000er), greifbar an Robert M. Zubrin und der Astrostrategie.
Alle Beispiele liefern dezidiert ‚Philosophien‘, obschon nur bei Arendt aus der Akademia, welche geistesgeschichtliche Eminenz für (un)bemannte Raumfahrtaktivitäten reklamieren.
Michael Schumann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politische Philosophie und Philosophische Anthropologie der Universität Potsdam. Sein Masterstudium schloss an der Universität Potsdam mit der Arbeit „Extraterrestrische Ex-Zentriker. Zur theoriestrukturellen Einarbeitung des Außerirdischen bei Helmuth Plessner als Grundlage einer Philosophischen Anthropologie des Raumfahrtzeitalters“ als Jahrgangsbester des akademischen Jahres 2018/2019 ab.
Michael Tilgner
Einsteins Relativitätstheorie und die Raumfahrtpioniere
Die Relativitätstheorie wurde in den 1920er und 1930er Jahren in der Öffentlichkeit – und auch unter den Raumfahrtpionieren – kontrovers diskutiert. Neben begeisterter Zustimmung gab es auch harsche Ablehnung, teils mit antisemitischem Einschlag. Überraschend ist auch, dass in dieser Zeit schon untersucht wurde, welche Auswirkungen die Spezielle Relativitätstheorie auf das Raumfahrtproblem hat! Der Vortrag stellt einige Positionen vor, die die Raumfahrtpioniere seit den 1920er Jahren zur Relativitätstheorie vertreten haben. Sie reichen von allgemeinen Erörterungen über Raum und Zeit (Johannes Winkler) bis zu einer imaginären Reise zu den Sternen (mit Eugen Sängers Photonenrakete).
Michael Tilgner (*1949 Hamburg) arbeitete nach dem Studium der Mathematik und Astro-nomie in Hamburg in verschiedenen Unternehmen im Bereich der kommerziellen Datenverar-beitung. Neben dieser Berufstätigkeit hielt er bis zum Anfang der 1990er Jahre regelmäßig Vorträge am Planetarium Hamburg, vorwiegend zu kosmologischen Themen, und führte ast-ronomische Kurse an der VHS Hamburg durch. Nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben 2011 widmet er sich u.a. der frühen Geschichte der Raumfahrt. Über die Ergebnisse seiner Studien berichtete er in Vorträgen auf den Raumfahrthistorischen Kolloquien in der Archenholdsternwarte (Berlin), auf den Tagen zur Raumfahrtgeschichte, die im Hermann-Oberth-Raumfahrt-Museum (Feucht) abgehalten werden, auf dem History Symposium des International Astronautical Congress 2018 (Bremen) und bei anderen Gelegenheiten.
Gemeinsame Veranstaltung der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin, der Stiftung Planetarium Berlin und der
Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt Lilienthal-Oberth
Raumfahrthistorisches Kolloquium 2024
am 30. November 2024
10.00 Uhr – 17.00 Uhr
im
Einstein-Saal der Archenhold-Sternwarte
Alt-Treptow 1, 12435 Berlin
Programm:
Begrüßung und Einleitung:
Dipl.-Ing. Stefan Gotthold
(Stiftung Planetarium Berlin)
10.00 Uhr – 10.1 0 Uhr
Vorträge
Moderation: Dr. Christian Gritzner
10.10 – 10.45
Michael Schumann
Etappen der Raumfahrtgeschichte im Spiegel der Philosophie des 20. Jahrhunderts
10.45 – 11.20
Dr. Wolfgang Both
Die Berichte von Alexander B. Scherschewsky an den sowjetischen Geheimdienst 1929-1931
11.20 – 11.55
Michael Tilgner
Einsteins Relativitätstheorie und die Raumfahrtpioniere
12.00 – 13.00
Mittagspause
Vorträge
Moderation: Dr. Dietrich Spänkuch, MLS
13.00 – 13.45
Prof. Dr. Dieter Oertel u. a.
Abbildende Weltraumsensoren aus Berlin-Adlershof. Gestern -Heute – Morgen. Ein beachtliches Erbe des Instituts für Kosmosforschung der AdW der DDR
13.50 – 14.35
Dr. Marie-Luise Heuser
Frühgeschichte rotierender Weltraumhabitate – Fantastische Möglichkeit und futuristische Wirklichkeit
14.40 – 15.15
Kaffeepause
15.15 – 16.00
Prof. Dr. Hanns-Christian Gunga, MLS
Nathan Zuntz – ein Pionier der Raumfahrtmedizin
16.00 – 16.10
Stefan Gotthold
Schlusswort
16.10 – 17.00
Get together
Abstracts und Vitae der Autoren:
Wolfgang Both
Die Berichte von Alexander B. Scherschewsky an den sowjetischen Geheimdienst 1929-1931
Alexander Scherschewsky arbeitete seit 1928 direkt für Hermann Oberth. So fertigte er Zeichnungen für die Neuauflage von Oberths Buch und las Korrektur. Als Oberth die Möglichkeit bekam, im Rahmen seiner Beratertätigkeit für den Film “Frau im Mond” erste experimentelle Arbeiten an einem Raketenmotor durchzuführen, war Scherschewsky sein erster Assistent. Scherschewsky ließ sich vom militärischen Geheimdienst der Roten Armee GRU rekrutieren und berichtete bis zu seiner Rückkehr nach Moskau/Leningrad in mindestens 32 Reports über technische Details der frühen Raketenentwicklung in Deutschland von Oberth über Nebel, Poggensee, Tiling, Heyland, das Heereswaffenamt und andere.
Wolfgang Both (*1950) war nach dem Studium der Informationstechnik an der Technischen Hochschule Ilmenau (Diplom 1973) und Assistenzzeit (Promotion Dr.-Ing. 1979) am Zentralinstitut für Optik und Spektroskopie in Berlin-Adlershof beschäftigt. Im Rahmen der Industrieforschung wurden optoelektronische Bauelemente entwickelt. 1991 wechselte er zum Projektträger für Informationstechnik des Bundesministeriums für Forschung und Technologie und 1994 in die Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft. In beiden Institutionen war er für Technologieförderprogramme in seinem Fachgebiet zuständig. Seit 2015 ist er im Ruhestand und widmet sich seinen Interessen Science fiction und Raumfahrtgeschichte. Er ist Autor mehrerer Bücher und Artikel zu diesen Themen. Im Jahr 2020 erschien das Standardwerk „Kulturaufgabe Weltraumschiff“ über die frühe Raketenentwicklung im Zeitraum 1923 – 1933.
Hanns-Christian Gunga
Leben und Werk der Berliner Physiologen Nathan Zuntz (1847-1920)
Nathan Zuntz (1847-1920) war Professor für Tierphysiologie an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin von 1881-1918. Er führte bahnbrechende Laboruntersuchungen an Menschen und Tieren zu den Veränderungen des Stoffwechsels in Ruhe und Arbeit durch. Zu diesem Zweck entwickelte er 1885 zusammen mit August Julius Geppert (1856-1937) den berühmten “Zuntz-Geppert’schen Respirationsapparat” und erfand u.a. das Laufband, welches er später noch für Herz-Kreislauf-Untersuchungen durch einen Röntgen-Apparat ergänzte. In den frühen 1890er Jahren erweiterte Zuntz seine Forschungen auf das Gebiet der Höhenphysiologie. Für die Untersuchungen auf diesem Gebiet erfand Zuntz ein Messgerät zur Erfassung des Gasaustauschs in der Höhe. Eine Zusammenfassung dieser Studien veröffentlichte Zuntz 1906 in dem berühmten Buch “Höhenklima und Bergwanderungen”. Einige Jahre später unternahm Zuntz weitere Expeditionen auf die Kanarischen Inseln und führte bis 1914 Studien in Luftschiffen und Flugzeugen durch. Nathan Zuntz deckte ein erstaunlich breites Spektrum an Forschungsgebieten ab: Stoffwechsel, Ernährung, Atmung, Blutgase, Herz-Kreislauf-, Sport- und Höhenphysiologie waren die Hauptthemen. Er wurde dreimal für den Nobelpreis vorgeschlagen und hat mehrere nationale und internationale Auszeichnungen erhalten. Zuntz ging 1918 in den Ruhestand und starb am 22. März 1920 in Berlin. Er kann als einer der wichtigsten Wissenschaftler in der Geschichte der Ernährung, der Höhenphysiologie und der Luffahrtmedizin angesehen werden.
Hanns-Christian Gunga (*1954) studierte zunächst Geologie und Paläontologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (Diplom 1980) und anschließend Humanmedizin dortselbst sowie an der Freien Universität Berlin (Staatsexamen 1987, Promotion 1989, Habilitation 1997, Facharzt für Physiologie 2000). Als Dipl.- Geol. arbeitete er von 1980 bis 1982 an Photogeologischen Studien zu den Verwerfungen auf den Hochlandplateaus der Mondoberfläche.
Nach Abschluss seines Medizinstudiums arbeitete er zunächst von 1992 bis 2004 (ab 1997 als ao. Prof.) in der Abteilung für Physiologie der Freien Universität Berlin und ab 2004 im Institut für Physiologie der Charité u. a. an den Forschungschwerpunkten Raumfahrtmedizin und vergleichende Physiologie unter extremen Bedingungen, 2008-2022 als stellvertretender Direktor, zeitweise auch als Direktor in leitender Funktion. Hanns-Christian Gunga ist Vorsitzender der Programmkommission Raumfahrt des DLR und als Mitglied verschiedener Beratungsgremien für die Europäische Weltraumbehörde ESA tätig. Er war Gastprofessor an der Northwestern Polytechnical University in Xi’an, China, und der University Antofagasta, Chile, und ist Experte am Institute of Physiology der University of Ashgabat, Turkmenistan sowie Seniorprofessor an der Charité.
Er ist Autor mehrerer Bücher, von denen einige mit dem Life Science Book Award der International Astronautical Association (IAA) ausgezeichnet wurden. Für seine Forschungsleistungen zu den Auswirkungen von extremen Umweltbedingungen auf den Menschen wurde er 2022 mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.
Marie-Luise Heuser
Die Frühgeschichte rotierender Weltraumhabitate – Fantastische Möglichkeit und futuristische Wirklichkeit
Die ersten rotierenden Raumstationen wurden 1883 und 1903 von Konstantin E. Ziolkowsk und 1929 von Herman Potočnik (Pseudonym: Hermann Noordung) entworfen. Damals gab es noch keine Rakete, die den Weltraum hätte erreichen können. Was bewegte diese Pioniere, Techniken für Weltraumbesiedelungen zu erfinden in einer Zeit, als nicht im Entferntesten an ihre Realisierung zu denken war? Im Rahmen einer utilitaristischen Ethik und Weltanschauung müssten solche Konstruktionen als „unnütz“ und traumtänzerisch erscheinen. Schnelles Geld war damit nicht zu verdienen. Heute sind wir im Weltraum angekommen. Rotierende Raumstationen wurden jedoch immer noch nicht gebaut, obwohl sie in den 1970er Jahren von Gerald O’Neill als machbar dem US-Senat vorgestellt wurden.
Was trieb die frühen Raumfahrtpioniere an? Die Motive für ihre kühnen Innovationen erklären sich vor allem aus ihren kulturellen Hintergründen und philosophischen Grundhaltungen. In meiner Präsentationwird es nicht nur um das Thema „technischer Vorläufer“ gehen, sondern auch um deren Kulturgeschichte. Welche Ethik leitete die frühen Raumfahrtpioniere und in welche sozialkulturellen Bewegungen waren sie eingebunden? Philosophisch bedeutsam ist dabei auch das ontologische und metaphysische Verhältnis von Möglichkeit und Wirklichkeit beziehungsweise das, was der Philosoph Ernst Bloch die „Ontologie des Noch-Nicht-Seins“ nannte.
Marie-Luise Heuser studierte Philosophie, Geschichte, Physik und Mathematik an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf und promovierte mit einer Arbeit über Schellings Naturphilosophie und die physikalischen Theorien der Selbstorganisation. Sie arbeitete in Forschung und Lehre an den Universitäten Düsseldorf, Heidelberg, Stuttgart und Braunschweig. Von 2002-2015 war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Philosophie der Technischen Universität Braunschweig und Organisatorin der transdisziplinären Kooperation “Kultur und Raumfahrt”. Von 2015-2020 leitete sie die Abteilung Kultur und Raumfahrt am Institut für Raumfahrtsysteme der TU Braunschweig. Seit 2010 ist sie darüber hinaus Geschäftsführerin der Gesellschaft für Kultur und Raumfahrt e.V. (www.kultur-raumfahrt.de), seit 2020 Leiterin des Fachausschusses Raumfahrt und Kultur in der DGLR, seit 2022 Leiterin des Space Philosophy Laboratory der Space Renaissance Academy, und seit 2023 ist sie im Vorstand der Space Renaissance International und seit 2024 Delegierte beim UN COPUOS. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Klassische Philosophie der Raumfahrt von der Antike bis zur Moderne, Metaphysik, Ontologie, Anthropologie, Natur- und Kunstphilosophie. Ihre Publikationen u.a.: Transterrestrialismus in der Renaissance (2008), Russischer Kosmismus und extraterrestrischer Suprematismus (2009), Space Philosophy (2016), Raumontologie und Raumfahrt um 1600 und 1900 (2016), Rückkehr zum Mond (2019), Husserls Phänomenologie der Flugreise (2020), ‘Der Mensch ist nicht nur für die Erde da’. Schellings Philosophie des Weltraums (2020), Zur Philosophie der Raumfahrt von Günther Anders. Zwischen kopernikanischer Wende und Wiederverwurzelung (2021), Space Culture and Space Philosophy (2022) und zusammen mit Frank White: Space 4 All, Space 4 Peace, a Space 18th SDG for the 2030 U.N. Agenda (2024).
Dieter Oertel, Thomas Behnke, Andreas Eckardt, David Krutz, Gisbert Peter, Thomas Säuberlich, Friedrich Schrandt, Horst Schwarzer, Ilse Sebastian, Wolfgang Skrbek, Holger Venus, Ingo Walter, Bernd Zender, N.N.
Abbildende Weltraumsensoren aus Berlin-Adlershof. Gestern – Heute – Morgen. Ein beachtliches Erbe des Instituts für Kosmosforschung der AdW der DDR
Im Institut für Kosmosforschung (IKF) der Akademie der Wissenschaften der DDR wurden die Grundlagen gelegt für mindestens zwei der abbildenden Weltraumsensoren aus Berlin Adlershof: Für den Modular Optoelectronic Scanner (MOS) und den Wide-Angle Optoelectronic Stereo Scanner (WAOSS). MOS wurde 1996 als weltweit erstes Spektro-Radiometer auf dem Indian Remote-Sensing Satellite –P3 (IRS-P3) und auf dem PRIRODA-Modul der sowjetischen Raumstation MIR eingesetzt. WAOSS startete im selben Jahr mit der leider beim Einschuss in die Bahn zum Mars gescheiterten Mission MARS-96, erlebte aber im Jahr 2001 als Nutzlast des ersten Kleinsatelliten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) zur Bi-spektralen InfraRot Detektion (BIRD) seine erfolgreiche Renaissance als WAOSS-B. Zentrale Nutzlast der BIRD Mission war das im DLR Institut für Weltraumsensorik entwickelte Hot Spot Recognition System (HSRS), das es erlaubte, Hoch-Temperatur-Ereignisse wie Vegetationsfeuer oder vulkanische Aktivitäten mit seinen bi-spektralen Infrarotkanälen sicher zu erkennen und energetisch exakter zu bewerten als andere dafür verwendeten abbildenden Weltraumsensoren. Das Multi-spektrale InfraRot Kamerasystem, welches im Adlershofer DLR Institut für Optische Sensorsysteme aus HSRS und WAOSS-B für die FireBIRD Mission des DLR weiterentwickelt wurde, startete mit den Kleinsatelliten Technologie-Erprobungs-Träger N° 1 (TET-1) im Jahr 2012 und Bi-spektral InfraRot Optisches System (BIROS) im Jahr 2016. TET-1 und BIROS haben zwischen 2017 und 2019 als Mini-Kleinsatelliten-Konstellation weltweit unikale Datensätze von Hoch-Temperatur-Ereignissen gewonnen.
Aufbauend auf dem Know How aus der Entwicklung des Rosetta Lander Imaging System (ROLIS), wurde in enger Zusammenarbeit der Adlershofer DLR Institute für Planetenforschung und für Weltraumsensorik die Super Resolution Camera (SRC) für die Mars Express Mission der ESA entwickelt, die 2003 startete und bis heute aktiv ist.
Von einem deutschen Konsortium wurde 2004 das MErcury Radiometer and Thermal Infrared Spectrometer (MERTIS) als wissenschaftliche Nutzlast für die „Bepi Colombo“ Mission der European Space Agency (ESA) und der Japan Aerospace Exploration Agency (JAXA) vorgeschlagen, angenommen und dann im DLR Standort Berlin Adlershof (DLR-BA) in enger Zusammenarbeit mit der Firma Astro-und Feinwerktechnik Adlershof GmbH entwickelt, gebaut und getestet. Das sehr kompakte und leichte (Masse < 3kg) MERTIS Instrument wird – nach seiner Reise zum Merkur an Bord des Mercury Planetary Orbiter (MPO), die von 2018 bis 2025 dauern wird – im Wellenlängenbereich von 7 – 14 µm hyperspektrale Thermalbilder in einem Gesichtsfeld von 4° liefern.
Das DLR und das US-Unternehmen Teledyne Brown Engineering (TBE) vereinbarten im Jahr 2013 eine Kooperation zur Entwicklung und Nutzung eines neuen Hyperspektralsensors, des DLR Earth Sensing Imaging Spectrometer (DESIS). Das DLR Institut für Optische Sensorsysteme entwickelte das DESIS Instrument für die Erdbeobachtung von der Internationalen Raumstation (ISS) im sichtbaren und nahen Infrarot Wellenlängenbereich mit hoher spektraler und räumlicher Auflösung, die seit 2018 erfolgreich stattfindet.
Dieter Oertel, geboren 1943 in Crimmitschau/Sa., erwarb 1969 das Diplom in Hochfrequenztechnik am Leningrader Elektrotechnischen Institut (LETI) und begann seine wissenschaftliche Tätigkeit im am Zentralinstitut für Solar-Terrestrische Physik (ZISTP) der Akademie der Wissenschaften (AdW) in Berlin-Adlershof. Von 1973 bis 1977 war er Abteilungsleiter im Institut für Elektronik der AdW der DDR, wo er an mehreren instrumentellen Beiträgen der DDR zum „Interkosmos“- Programm beteiligt war. In drei Weltraummissionen auf sowjetischen Wettersatelliten vom Typ „Meteor“ mit Infrarot-Spektrometern-Interferometern, entwickelt an der AdW in Berlin Adlershof, war D. Oertel ab 1972 Systemingenieur und ab 1978 Projektleiter. 1976 promovierte er dort zum Dr. Ing. mit einer Arbeit zu „Elektronischen Systemen eines IR-Michelson Interferometers für den Satelliteneinsatz“. Von 1978 bis 1991leitete er den Bereich Optoelektronische Systeme im Institut für Elektronik, 1981 in Institut für Kosmosforschung (IKF) umbenannt. Von 1978 bis 1984 war er wissenschaftlicher Leiter der ersten Tiefraummission der DDR mit zwei Infrarot-Fourier-Spektrometern an Bord der sowjetischen Sonden „Venera 15 & 16“. 1983 folgte die „Promotion-B“ (zum Dr. sc. techn.) mit einer Arbeit zum Thema „Infrarotfernerkundung von Erde und Planeten“, und 1984 wurde er zum Professor an der AdW ernannt.
Nach der Übernahme des IKF durch das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) zum 1. 1. 1992 wurde D. Oertel an das DLR Institut für Optoelektronik in Oberpfaffenhofen versetzt. 1995 wurde ihm auf Vorschlag des Direktors dieses Institutes der Titel „Seniorwissenschaftler“ durch den Vorstand des DLR verliehen.
1998 wechselte er an das DLR Institut für Weltraumsensorik nach Berlin-Adlershof. Von 2000 bis 2005 war er dort u. a. Wissenschafts-Koordinator der ersten deutschen Infrarot-Kleinsatellitenmission zur „Bi-spektralen InfraRot Detektion (BIRD)“. Seit 2006 ist er fachlicher Berater der mittelständischen Fa. Astro- und Feinwerktechnik Adlershof GmbH.
Michael Schumann
Etappen der Raumfahrtgeschichte im Spiegel der Philosophie des 20. Jahrhunderts
Ein Streifzug durch die Literatur der Space Advocacy
Nach gut hundert Jahren Raumfahrtgeschichte in der öffentlich-massenmedialen Wahrnehmung, deren Auftakt – in diesem Sinne – bei der „space fad“ der 1920er Jahre anzusetzen ist, fehlt es doch bis heute an einer umfassenden akademischen Konfrontation mit der geisteswissenschaftlichen Relevanz nunmehr weltweiter Raumfahrtaktivitäten. Diese Nachlässigkeit an der akademischen Philosophie hat eine wohlwollende Phänomendurchdringung, darin der Soziologie nicht unähnlich, bislang eher vermieden. Es bedarf eines blickerweiterten Umwegs.
Dieser führt über ‚Popularisierungsliteratur‘, präziser, das Genre der „Space Advocacy“, d. h., der generellen Verteidigung des Raumfahrtinteresses, sogar weit vor dem öffentlich-massenmedialen Spektakel eines extra-terrestrischen Unterfangens. Aus Gründen der Sachorientierung (einzelne Etappen des technisch realisierten Raketenfluges) bleibt der Untersuchungsrahmen aber dem 20. Jahrhundert verhaftet: Konkret sind es fünf Etappen, gegliedert in Zeitsprüngen von 20 Jahren, die markante Durchbrüche oder Erlahmungsphasen betreffen.
Diese sind 1. die Vorbereitungsetappe (1910er-1920er), illustriert an Konstantin E. Ziolkowski, unter dem Blickpunkt der Gesellschaftsutopie; 2. die Reorientierungsetappe (1930er-1940er), angedeutet mit Arthur C. Clarke, unter dem Fokus einer satellitengestützten Globalisierung; 3. die Konsolidierungsetappe (1950er-1960er), informiert über Hannah Arendt, im Vorbehalt ihrer Skepsis gegen Weltentfremdung; 4. die Zermürbungsetappe (1970er-1980er), plausibilisiert anhand von Krafft A. Ehricke, in Erwiderung auf ‚Grenzen des Wachstums‘; und 5. die Pluralisierungsetappe (1990er-2000er), greifbar an Robert M. Zubrin und der Astrostrategie.
Alle Beispiele liefern dezidiert ‚Philosophien‘, obschon nur bei Arendt aus der Akademia, welche geistesgeschichtliche Eminenz für (un)bemannte Raumfahrtaktivitäten reklamieren.
Michael Schumann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politische Philosophie und Philosophische Anthropologie der Universität Potsdam. Sein Masterstudium schloss an der Universität Potsdam mit der Arbeit „Extraterrestrische Ex-Zentriker. Zur theoriestrukturellen Einarbeitung des Außerirdischen bei Helmuth Plessner als Grundlage einer Philosophischen Anthropologie des Raumfahrtzeitalters“ als Jahrgangsbester des akademischen Jahres 2018/2019 ab.
Michael Tilgner
Einsteins Relativitätstheorie und die Raumfahrtpioniere
Die Relativitätstheorie wurde in den 1920er und 1930er Jahren in der Öffentlichkeit – und auch unter den Raumfahrtpionieren – kontrovers diskutiert. Neben begeisterter Zustimmung gab es auch harsche Ablehnung, teils mit antisemitischem Einschlag. Überraschend ist auch, dass in dieser Zeit schon untersucht wurde, welche Auswirkungen die Spezielle Relativitätstheorie auf das Raumfahrtproblem hat! Der Vortrag stellt einige Positionen vor, die die Raumfahrtpioniere seit den 1920er Jahren zur Relativitätstheorie vertreten haben. Sie reichen von allgemeinen Erörterungen über Raum und Zeit (Johannes Winkler) bis zu einer imaginären Reise zu den Sternen (mit Eugen Sängers Photonenrakete).
Michael Tilgner (*1949 Hamburg) arbeitete nach dem Studium der Mathematik und Astro-nomie in Hamburg in verschiedenen Unternehmen im Bereich der kommerziellen Datenverar-beitung. Neben dieser Berufstätigkeit hielt er bis zum Anfang der 1990er Jahre regelmäßig Vorträge am Planetarium Hamburg, vorwiegend zu kosmologischen Themen, und führte ast-ronomische Kurse an der VHS Hamburg durch. Nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben 2011 widmet er sich u.a. der frühen Geschichte der Raumfahrt. Über die Ergebnisse seiner Studien berichtete er in Vorträgen auf den Raumfahrthistorischen Kolloquien in der Archenholdsternwarte (Berlin), auf den Tagen zur Raumfahrtgeschichte, die im Hermann-Oberth-Raumfahrt-Museum (Feucht) abgehalten werden, auf dem History Symposium des International Astronautical Congress 2018 (Bremen) und bei anderen Gelegenheiten.
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Veranstaltungsort
Berlin, 12435 Deutschland Google Karte anzeigen
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