Abstract: Professor Dr. Dr. h. c. Heinrich Dathe zählte zu den bekanntesten deutschen Zoologen und Tiergärtnern des 20. Jahrhunderts. Seine wissenschaftlichen Arbeiten waren weit gefächert und reichten von der Ornithologie und Faunistik über die Wirbeltier- und Verhaltensforschung bis zur Wildtierhaltung. Zur Lebensaufgabe wurde ab 1954 – unter Mitwirkung vieler Aufbauhelfer – die Errichtung eines einzigartigen Landschafts- und Wissenschaftszoos in Berlin-Friedrichsfelde. Das Arrangement weiter, naturalistischer Freisichtgehege und neuer, Aufsehen erregender Tierhäuser in einem historischen Schlosspark galt in Fachkreisen als zukunftsweisend. Neu war auch die Gründung einer Zoologischen Forschungsstelle, die den Tierpark seit 1958 eng mit der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin verband. Doch Dathe war nicht nur ein leidenschaftlicher Zoologe und zupackender Tiergärtner, sondern auch ein mitreißender Volksbildner. Mit populären Radio- und Fernsehsendungen begeisterte er unzählige Menschen für Wildtiere und Artenschutz. Der Tierpark in Friedrichsfelde wurde so zu einer der schönsten Bildungs- und Erholungsstätten der DDR.
Als Zoologe strebte Dathe eine stärkere, wechselseitige Durchdringung von Wissenschaft und Tiergartenpraxis an, wie sie schon seinem Mentor Karl Max Schneider (1887–1955) am Leipziger Zoo vorschwebte und sein Kollege Heini Hediger (1908–1992) in Bern zum Programm einer zeitgemäßen Tiergartenbiologie erhoben hatte. Zudem dienten Zoologische Gärten der naturwissenschaftlichen Bildung und seien letztendlich „wissenschaftliche Volksbildungsstätten“ (Dathe 1990).
Nach 35 erfolgreichen Jahren mit über 70 Millionen Besuchern sah der Ostberliner Tierpark bei der Wiedervereinigung der Stadt 1990 einer ungewissen Zukunft entgegen. Die neue Stadtregierung strebte auf Betreiben des Westberliner Zoodirektors Heinz-Georg Klös (1926–2014) eine gemeinsame Verwaltung beider Tiergärten beim Senator für Finanzen an, wofür das Ende der DDR eine „einmalige Chance“ böte. Dem stand der Direktor des Tierparks, Heinrich Dathe, im Wege, der eine schleichende Abwicklung befürchtete und den Charakter einer eigenständigen Forschungs- und Bildungsstätte unter Aufsicht des Kulturressorts erhalten wollte. Er wurde kurzerhand zwangspensioniert und starb bald darauf.
Der Akt einer rücksichtslosen, selbstgerechten Verwaltung, die sich zur Rechtfertigung der Entlassung auch nicht scheute, den beliebten Tierparkdirektor postum zu schmähen, wurde zu einem öffentlichen Skandal. Zur Trauerfeier am 17. Januar 1991 kamen mehr als 3.000 Menschen – aus Verehrung und Dankbarkeit gegenüber dem vertrauten Mitmenschen, aber auch aus Empörung und Wut über den unwürdigen Umgang des letzten Magistrats mit dem international anerkannten Fachmann.
Doch der Ost-West-Konflikt der beiden ungleichen Direktoren gründete eben auch auf ihren unterschiedlichen Zoo-Vorstellungen. Die Vision von Tiergärten als biologische Bildungsstätten verlor mit dem Ableben Dathes einen einflussreichen, prominenten Fürsprecher … und mit den Jahren an Strahlkraft. Wie der englische Zoo-Direktor Peter Stevens in seinem Kondolenzschreiben an die Familie schrieb, markiere Dathes Tod „the end of an era in zoos both within your own country and worldwide“. Dieser Ansicht war auch der Wiener Verhaltensbiologe Kurt Kolar (1933–1999) in seinem Nachruf auf Dathe, der „auf seinem Fachgebiet eine Epoche geprägt“ habe.
Aufklärung und Bildung bleiben ein Zuschussgeschäft, dessen sich klamme Kommunalpolitiker in wirtschaftlich schwierigen Zeiten gern entledigen. Als „Zoos der Zukunft“ gelten heute die sogen. „Erlebniszoos“, bei denen die subventionierte Bildung hinter einer profitablen Unterhaltung rangiert. Dathe dürfte die Entwicklung mit Skepsis verfolgt haben, wurde die Kulturstätte Zoo damit doch zu einem Freizeitunternehmen, dessen vorrangiges Ziel die Wirtschaftlichkeit ist. „Erlebnisarchitekten“ ahmen in ausgewählten „Themenwelten“ natürliche Ökosysteme nach, in denen sich Mensch und Tier scheinbar frei begegnen. Die Szenerien werden von interdisziplinären „Designagenturen“, die auch Firmenmarken entwickeln, entworfen und errichtet. Bau und Betrieb der künstlichen „Erlebniswelten“ erfordern beträchtliche Investitionen, die nur durch umfassende Vermarktungsstrategien erwirtschaftet werden können. Der Rentabilitätsdruck rechtfertigt es, dass die neuen Naturerlebnisparks nicht mehr kategorisch von einem Zoologen oder Tierarzt geleitet werden.
Nach diesem Vorbild entstanden auch in Deutschland – und zwar in Hannover (1996), Leipzig (2000) und Gelsenkirchen (2004) – erste Erlebnis-Tierparks, von Gegnern als „Profitier-Park“ beargwöhnt. Doch der beachtliche öffentliche Zuspruch und geschäftliche Erfolg lässt die Kritiker verstummen. Auch die langfristige Modernisierung des Berliner Tierparks durch seinen neuen Direktor, Andreas Knieriem (* 1965), erfolgt nach den Kriterien eines „Erlebniszoos“. Die Konzeption setzt auf das gegebene Flächenpotential und steht in ihren weit reichenden Projektionen und dafür notwendigen Investitionen, aber auch in der Achtung der historisch gewachsenen Landschaft und Architektur, dem Wagemut des Gründungsdirektors nicht nach. Für Dathe war der Park sein Leben lang ein Ort der Möglichkeiten – und daran hat sich nichts geändert!
Der Beitrag analysiert die Konzepte der verschiedenen Zootypen und würdigt die erstaunliche Modernität Heinrich Dathes aus Anlass seines 30. Todestages.
Kurvita des Vortragenden: Ekkehard Höxtermann studierte an der Humboldt-Universität zu Berlin Biologie und wurde hier 1985 im Bereich Allgemeine Botanik mit einer Dissertation zur Biophysik der Photosynthese promoviert. Seit 1990 am Institut für Biochemie der Universität Köln tätig, habilitierte er sich 1994 in Jena für das Fach Geschichte der Naturwissenschaften. Er lehrte Geschichte der Biologie, der Biochemie und der Pharmazie in Jena, Berlin und Göttingen, ab 2003 als außerplanmäßiger Professor für Geschichte der Naturwissenschaften der Freien Universität Berlin. Seit 2008 koordiniert er das biologiehistorische Programm der Basilisken-Presse im Verlag Natur + Text in Rangsdorf.
Ekkehard Höxtermann ist Autor von rd. 200 wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Mitherausgeber biologiehistorischer Reihen. Seine aktuellen Arbeiten betreffen Themen aus der Geschichte der Allgemeinen Botanik, der Biologischen Chemie und der Biologie in Ostdeutschland. 2015 erschien in der Reihe „Biologiehistorische Symposien“ auch ein Gedenkband über Heinrich Dathe.
Er ist Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Geschichte und Theorie der Biologie (1990) und gehört einigen biologischen Fachgesellschaften an. Seit 2016 ist er auch Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.
Die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin führt ihre Juni-Plenarsitzung am 10. Juni 2021 als Zoom-Konferenz durch.
Thema:
Heinrich Dathe (1910–1991) und die Tiergartenbiologie – Höhepunkt und „Ende einer Ära“?
Ein Gedenkvortrag zum 30. Todestag
Vortragender:
Ekkehard Höxtermann (MLS)
Zugangsdaten zur Zoom-Konferenz:
Zoom-Meeting beitreten:
https://us02web.zoom.us/j/87629488866?pwd=K2V0Y2t4M2lNMmpUVmV6ZkJRZjJJQT09
Meeting-ID: 876 2948 8866
Kenncode: 039924
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Abstract:
Professor Dr. Dr. h. c. Heinrich Dathe zählte zu den bekanntesten deutschen Zoologen und Tiergärtnern des 20. Jahrhunderts. Seine wissenschaftlichen Arbeiten waren weit gefächert und reichten von der Ornithologie und Faunistik über die Wirbeltier- und Verhaltensforschung bis zur Wildtierhaltung. Zur Lebensaufgabe wurde ab 1954 – unter Mitwirkung vieler Aufbauhelfer – die Errichtung eines einzigartigen Landschafts- und Wissenschaftszoos in Berlin-Friedrichsfelde. Das Arrangement weiter, naturalistischer Freisichtgehege und neuer, Aufsehen erregender Tierhäuser in einem historischen Schlosspark galt in Fachkreisen als zukunftsweisend. Neu war auch die Gründung einer Zoologischen Forschungsstelle, die den Tierpark seit 1958 eng mit der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin verband. Doch Dathe war nicht nur ein leidenschaftlicher Zoologe und zupackender Tiergärtner, sondern auch ein mitreißender Volksbildner. Mit populären Radio- und Fernsehsendungen begeisterte er unzählige Menschen für Wildtiere und Artenschutz. Der Tierpark in Friedrichsfelde wurde so zu einer der schönsten Bildungs- und Erholungsstätten der DDR.
Als Zoologe strebte Dathe eine stärkere, wechselseitige Durchdringung von Wissenschaft und Tiergartenpraxis an, wie sie schon seinem Mentor Karl Max Schneider (1887–1955) am Leipziger Zoo vorschwebte und sein Kollege Heini Hediger (1908–1992) in Bern zum Programm einer zeitgemäßen Tiergartenbiologie erhoben hatte. Zudem dienten Zoologische Gärten der naturwissenschaftlichen Bildung und seien letztendlich „wissenschaftliche Volksbildungsstätten“ (Dathe 1990).
Nach 35 erfolgreichen Jahren mit über 70 Millionen Besuchern sah der Ostberliner Tierpark bei der Wiedervereinigung der Stadt 1990 einer ungewissen Zukunft entgegen. Die neue Stadtregierung strebte auf Betreiben des Westberliner Zoodirektors Heinz-Georg Klös (1926–2014) eine gemeinsame Verwaltung beider Tiergärten beim Senator für Finanzen an, wofür das Ende der DDR eine „einmalige Chance“ böte. Dem stand der Direktor des Tierparks, Heinrich Dathe, im Wege, der eine schleichende Abwicklung befürchtete und den Charakter einer eigenständigen Forschungs- und Bildungsstätte unter Aufsicht des Kulturressorts erhalten wollte. Er wurde kurzerhand zwangspensioniert und starb bald darauf.
Der Akt einer rücksichtslosen, selbstgerechten Verwaltung, die sich zur Rechtfertigung der Entlassung auch nicht scheute, den beliebten Tierparkdirektor postum zu schmähen, wurde zu einem öffentlichen Skandal. Zur Trauerfeier am 17. Januar 1991 kamen mehr als 3.000 Menschen – aus Verehrung und Dankbarkeit gegenüber dem vertrauten Mitmenschen, aber auch aus Empörung und Wut über den unwürdigen Umgang des letzten Magistrats mit dem international anerkannten Fachmann.
Doch der Ost-West-Konflikt der beiden ungleichen Direktoren gründete eben auch auf ihren unterschiedlichen Zoo-Vorstellungen. Die Vision von Tiergärten als biologische Bildungsstätten verlor mit dem Ableben Dathes einen einflussreichen, prominenten Fürsprecher … und mit den Jahren an Strahlkraft. Wie der englische Zoo-Direktor Peter Stevens in seinem Kondolenzschreiben an die Familie schrieb, markiere Dathes Tod „the end of an era in zoos both within your own country and worldwide“. Dieser Ansicht war auch der Wiener Verhaltensbiologe Kurt Kolar (1933–1999) in seinem Nachruf auf Dathe, der „auf seinem Fachgebiet eine Epoche geprägt“ habe.
Aufklärung und Bildung bleiben ein Zuschussgeschäft, dessen sich klamme Kommunalpolitiker in wirtschaftlich schwierigen Zeiten gern entledigen. Als „Zoos der Zukunft“ gelten heute die sogen. „Erlebniszoos“, bei denen die subventionierte Bildung hinter einer profitablen Unterhaltung rangiert. Dathe dürfte die Entwicklung mit Skepsis verfolgt haben, wurde die Kulturstätte Zoo damit doch zu einem Freizeitunternehmen, dessen vorrangiges Ziel die Wirtschaftlichkeit ist. „Erlebnisarchitekten“ ahmen in ausgewählten „Themenwelten“ natürliche Ökosysteme nach, in denen sich Mensch und Tier scheinbar frei begegnen. Die Szenerien werden von interdisziplinären „Designagenturen“, die auch Firmenmarken entwickeln, entworfen und errichtet. Bau und Betrieb der künstlichen „Erlebniswelten“ erfordern beträchtliche Investitionen, die nur durch umfassende Vermarktungsstrategien erwirtschaftet werden können. Der Rentabilitätsdruck rechtfertigt es, dass die neuen Naturerlebnisparks nicht mehr kategorisch von einem Zoologen oder Tierarzt geleitet werden.
Nach diesem Vorbild entstanden auch in Deutschland – und zwar in Hannover (1996), Leipzig (2000) und Gelsenkirchen (2004) – erste Erlebnis-Tierparks, von Gegnern als „Profitier-Park“ beargwöhnt. Doch der beachtliche öffentliche Zuspruch und geschäftliche Erfolg lässt die Kritiker verstummen. Auch die langfristige Modernisierung des Berliner Tierparks durch seinen neuen Direktor, Andreas Knieriem (* 1965), erfolgt nach den Kriterien eines „Erlebniszoos“. Die Konzeption setzt auf das gegebene Flächenpotential und steht in ihren weit reichenden Projektionen und dafür notwendigen Investitionen, aber auch in der Achtung der historisch gewachsenen Landschaft und Architektur, dem Wagemut des Gründungsdirektors nicht nach. Für Dathe war der Park sein Leben lang ein Ort der Möglichkeiten – und daran hat sich nichts geändert!
Der Beitrag analysiert die Konzepte der verschiedenen Zootypen und würdigt die erstaunliche Modernität Heinrich Dathes aus Anlass seines 30. Todestages.
Kurvita des Vortragenden:
Ekkehard Höxtermann studierte an der Humboldt-Universität zu Berlin Biologie und wurde hier 1985 im Bereich Allgemeine Botanik mit einer Dissertation zur Biophysik der Photosynthese promoviert. Seit 1990 am Institut für Biochemie der Universität Köln tätig, habilitierte er sich 1994 in Jena für das Fach Geschichte der Naturwissenschaften. Er lehrte Geschichte der Biologie, der Biochemie und der Pharmazie in Jena, Berlin und Göttingen, ab 2003 als außerplanmäßiger Professor für Geschichte der Naturwissenschaften der Freien Universität Berlin. Seit 2008 koordiniert er das biologiehistorische Programm der Basilisken-Presse im Verlag Natur + Text in Rangsdorf.
Ekkehard Höxtermann ist Autor von rd. 200 wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Mitherausgeber biologiehistorischer Reihen. Seine aktuellen Arbeiten betreffen Themen aus der Geschichte der Allgemeinen Botanik, der Biologischen Chemie und der Biologie in Ostdeutschland. 2015 erschien in der Reihe „Biologiehistorische Symposien“ auch ein Gedenkband über Heinrich Dathe.
Er ist Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Geschichte und Theorie der Biologie (1990) und gehört einigen biologischen Fachgesellschaften an. Seit 2016 ist er auch Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.
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