Dezember-Sitzung des Plenums der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin
12. Dezember 2019 - 13:30 - 16:00
Die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin lädt ein zu ihrer öffentlichen wissenschaftlichen Plenarsitzung für den 12.12.2019 in Berlin.
Das Thema der Sitzung ist
Reihe:
Die aktuellen Naturwissenschaften als Quell und Mittel der Welterkenntnis und des Weltverständnisses. Fakten und ausgewählte Probleme
Programm:
Ekkehard Höxtermann (MLS): Die Symbiogenesetheorie der Entstehung kernhaltiger Zellen und ihre vergessenen europäischenWurzeln – eine historischeEinführung.
William Martin, Institut für Molekulare Evolution der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf: Wie und wo lebten die ersten Zellen? Neue Erkenntnisse über den Ursprung des Lebens.
Zeit: 13.30 bis 16.00 Uhr
Ort: Berlin, Rathaus Tiergarten, BVV-Saal
CV der Vortragenden:
Prof. Dr. William Martin wurde 1957 in Bethesda, Maryland (USA), geboren. Er studierte von 1981 bis 1985 an der Universität Hannover Biologie und ging anschließend als Doktorand zu Heinz Saedler an das Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln. Nach der Promotion (1988) arbeitete er am Institut für Genetik der TU Braunschweig, wo er sich 1992 im Fach Botanik habilitierte. 1999 folgte William Martin einem Ruf auf die C4-Professur für „Ökologische Pflanzenphysiologie“ an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, die 2011 in „Molekulare Evolution“ umgewidmet wurde.
William Martin versteht sich als „Evolutionsbiologe mit besonderem Interesse an Biochemie“. Befasste er sich zunächst mit dem symbiogenetischen Ursprung der komplexen eukaryotischen Zellen unter besonderer Beachtung ihrer energieliefernden Organellen (Chloroplasten und Mitochondrien), so interessierte er sich zunehmend für die prokaryotischen Vorfahren der Symbionten – die Archaeen und Bakterien –, ihre Verwandtschaft und Herkunft.
Prof. Martin ist Träger zahlreicher nationaler und internationaler Auszeichnungen. Seit 2008 ist er Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. 2008 und 2015 erhielt er den renommierten „Advanced Grant“ des Europäischen Forschungsrates für Spitzenforscher.
Siehe auch: https://www.molevol.hhu.de/prof-dr-w-f-martin.html
Prof. Dr. Ekkehard Höxtermann wurde 1953 in Sondershausen (Thüringen) geboren und studierte von 1973 bis 1978 an der Humboldt-Universität zu Berlin Biologie. Er promovierte 1985 mit Experimentalarbeiten über die Pigmentanordnung in den Chloroplasten im Bereich Allgemeine Botanik der Sektion Biologie. Unter dem Einfluss von Ilse Jahn (1922–2010) wandte er sich auch biologiehistorischen Themen zu. Von 1990 bis 1993 als Assistent am Institut für Biochemie der Universität Köln tätig, lehrte er nach der Habilitation für Geschichte der Naturwissenschaften in Jena von 1994 bis 2013 in Jena, Berlin und Göttingen – seit 2003 als außerplanmäßiger Professor der FU Berlin – Geschichte der Biochemie, Biologie und Pharmazie.
Prof. Höxtermann ist Mitherausgeber und Autor einer viel beachteten Monographie über „Evolution durch Kooperation und Integration“ (2007) und betreut seither das biologiehistorische Verlagsprogramm der Basilisken-Presse in Rangsdorf. 2016 wurde er zum Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin gewählt.
Siehe auch: https://leibnizsozietaet.de/wp-content/uploads/2012/10/Höxtermann_KurzbiographiePorträt.pdf
Abstracts:
Wie und wo lebten die ersten Zellen? Neue Erkenntnisse über den Ursprung des Lebens. Von William Martin Seit rund 4 Milliarden Jahren gibt es Leben auf der Erde. Der Ursprung des Lebens erschien lange Zeit als ein unlösbares Mysterium, das sich einer exakten, naturwissenschaftlichen Erforschung grundsätzlich entzog. 1936 postulierte der russische Chemiker Aleksandr I. Oparin die spontane Entstehung primitiver Lebensformen in einer Ursuppe kleiner organischer Moleküle – eine Annahme, die die amerikanischen Chemiker Stanley Miller und Harold C. Urey 1953 experimentell erhärteten, als sie im Labor eine hypothetische frühe Erdatmosphäre simulierten und durch elektrische Entladungen organische Substanzen erzeugten. Die Idee einer präbiotischen Ursuppe, die eine „RNA-Welt“ hervorbrachte, wurde für Jahrzehnte zum dominierenden Leitmotiv der Forschung über die Entstehung des irdischen Lebens. Doch wie der deutsche Chemiker Günter Wächtershäuser schon 1988 einwandte, ist das Leben in diesem Weltbild nichts als Information, allein es fehlt der Aspekt der Energie. Die Entstehung biologischer Zellen kann nicht das Ergebnis von Blitzentladungen oder UV-Strahlung sein, vielmehr erforderte sie eine kontinuierliche Energiezufuhr.
Betrachtet man das Leben aus der Sicht der Energie, so beruht es auf chemischen Reaktionen, zwar sehr komplizierten, aber eben chemischen Reaktionen, die Energie freisetzen. In allen Lebensformen gibt es im zentralen Grundstoffwechsel exergone Reaktionen, die jene chemische Energie liefern, die alle Einzelreaktionen in der Zelle antreiben. Die Verschiedenartigkeit des Energiestoffwechsels heutiger Lebwesen, die alle denselben universellen genetischen Code verwenden, ist das Ergebnis einer langen Evolution.
Wie haben die ersten Zellen gelebt? Wo haben sie gelebt und vor allem wovon? Diesen Fragen gingen Prof. Martin und seine Gruppe nach, als sie mittels bioinformatischer Genomanalysen von rd. 2.000 Prokaryoten 355 Gene (Proteinfamilien) identifizierten, die über den letzten universellen gemeinsamen Vorfahren allen Lebens, LUCA (the Last Universal Common Ancestor), seine Lebensweise und seinen Lebensraum Auskunft geben. LUCA war demzufolge anaerob, thermophil und lebte von Gasen (Wasserstoff, Kohlendioxid, Kohlenmonoxid und Stickstoff) – und zwar in einer Umgebung, wie sie auch heute noch an Tiefsee-Hydrothermalquellen zu finden ist. Seine Proteine waren reichlich mit Eisen-Schwefel-Zentren und radikalen Reaktionsmechanismen ausgestattet und erforderten Kofaktoren, bei denen Übergangsmetalle (Eisen, Nickel, Molybdän) eine tragende Rolle spielen. Der Energiestoffwechsel von LUCA ähnelt damit stark demjenigen rezenter, strikt anaerober, acetogener Bakterien und methanogener Archaeen.
LUCA verbindet die abiotische Phase der Erdgeschichte mit den ersten geochemischen Spuren mikrobiellen Lebens und ist der Urahn aller heute existierenden Archaeen, Bakterien, Pilze, Pflanzen und Tiere, den Menschen eingeschlossen. Im Vortrag werden die Aufsehen erregenden Forschungen vorgestellt, die erste Einblicke in die Physiologie und das Habitat von LUCA liefern. In aktuellen Laborversuchen wurden zudem Reaktionsbedingungen hydrothermaler Quellen in einem Hochdruck-Reaktor nachgestellt, um jene elementaren chemischen Bausteine herzustellen, mit denen alles Leben angefangen hat.
Die Symbiogenesetheorie der Entstehung kernhaltiger Zellen und ihre vergessenen europäischenWurzeln – eine historischeEinführung
Von Ekkehard Höxtermann (MLS) Die energieliefernden Organellen der eukaryotischen (kernhaltigen) Zellen zeichnen sich durch Doppelmembranen, wie sie durch Phagozytose (Einverleibung) externer Körper entstehen, und eigene Gene (Nukleinsäuren) aus. Darauf gründet die Symbiogenesetheorie der Zellevolution, die die Plastiden und Mitochondrien als Endosymbionten betrachtet, die aus eigenständigen Prokaryoten hervorgegangen und im Verlaufe der Evolution durch Genaustausch mit den Wirtszellen zu einer untrennbaren Einheit verschmolzen sind. Vergleichende Genomanalysen legten nahe, dass die Plastiden aus „Blaualgen“ (Cyanobakterien) und die Mitochondrien aus aeroben α-Proteobakterien hervorgegangen sind.
Die Vorstellung, dass es sich bei den Eucyten um phylogenetische Chimären handelt, setzte sich erst im Zeitalter der Molekularbiologie durch und ist vor allem mit dem Namen der amerikanischen Zellbiologin Lynn Margulis (1938–2011) verbunden. Ihr in Teilen spekulatives Buch „Origin of Eukaryotic Cells“ (1970) sorgte weltweit für Furore. So verwundert es nicht, dass heute der symbiogenetische Ursprung eukaryotischer Zellen als eine Entdeckung US-amerikanischer Forscher wahrgenommen wird.
Dabei ist diese Hypothese ein Kind des späten 19. Jahrhunderts. Wie so oft in der Geschichte der Wissenschaften, waren die Fundamente des neuen Theoriengebäudes kaum mehr sichtbar und die Gerüste ihres allmählichen Aufbaus abgebaut. Wichtige Bausteine, vor allem russischer und deutscher Botaniker, waren unkenntlich geworden. Es waren im Grunde zwei biologische Konzepte, deren Zusammenführung die Theorie hervorbrachte: die Entdeckung und Anerkennung der Symbiosen als universelle Lebensform und die Suche nach den wahren Elementarorganismen. Als eigentliche Urheber der Symbiogenesetheorie gelten die russischen Biologen Andrej S. Famincyn (1835–1918) und Konstantin S. Merežkovskij (1855–1921). Die Brücke zwischen der Begründung und Neufassung der Symbiogenesetheorie schlugen über eine Distanz von 60 Jahren vor allem Arbeiten zur zytoplasmatischen Vererbung und zur Feinstruktur der Pflanzenzellen. Wer waren die eigentlichen Begründer der symbiogenetischen Evolutionstheorie, welchen Anteil hatten sie, worauf stützten sie ihre Argumente und warum gerieten ihre Pionierarbeiten wieder in Vergessenheit? Antworten darauf werden in dem Vortrag gegeben.
Die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin lädt ein zu ihrer öffentlichen wissenschaftlichen Plenarsitzung für den 12.12.2019 in Berlin.
Das Thema der Sitzung ist
Reihe:
Die aktuellen Naturwissenschaften als Quell und Mittel der Welterkenntnis und des Weltverständnisses. Fakten und ausgewählte Probleme
Programm:
Ekkehard Höxtermann (MLS):
Die Symbiogenesetheorie der Entstehung kernhaltiger Zellen und ihre vergessenen europäischen Wurzeln – eine historische Einführung.
William Martin, Institut für Molekulare Evolution der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf:
Wie und wo lebten die ersten Zellen? Neue Erkenntnisse über den Ursprung des Lebens.
Zeit: 13.30 bis 16.00 Uhr
Ort: Berlin, Rathaus Tiergarten, BVV-Saal
CV der Vortragenden:
Prof. Dr. William Martin wurde 1957 in Bethesda, Maryland (USA), geboren. Er studierte von 1981 bis 1985 an der Universität Hannover Biologie und ging anschließend als Doktorand zu Heinz Saedler an das Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln. Nach der Promotion (1988) arbeitete er am Institut für Genetik der TU Braunschweig, wo er sich 1992 im Fach Botanik habilitierte. 1999 folgte William Martin einem Ruf auf die C4-Professur für „Ökologische Pflanzenphysiologie“ an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, die 2011 in „Molekulare Evolution“ umgewidmet wurde.
William Martin versteht sich als „Evolutionsbiologe mit besonderem Interesse an Biochemie“. Befasste er sich zunächst mit dem symbiogenetischen Ursprung der komplexen eukaryotischen Zellen unter besonderer Beachtung ihrer energieliefernden Organellen (Chloroplasten und Mitochondrien), so interessierte er sich zunehmend für die prokaryotischen Vorfahren der Symbionten – die Archaeen und Bakterien –, ihre Verwandtschaft und Herkunft.
Prof. Martin ist Träger zahlreicher nationaler und internationaler Auszeichnungen. Seit 2008 ist er Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. 2008 und 2015 erhielt er den renommierten „Advanced Grant“ des Europäischen Forschungsrates für Spitzenforscher.
Siehe auch: https://www.molevol.hhu.de/prof-dr-w-f-martin.html
Prof. Dr. Ekkehard Höxtermann wurde 1953 in Sondershausen (Thüringen) geboren und studierte von 1973 bis 1978 an der Humboldt-Universität zu Berlin Biologie. Er promovierte 1985 mit Experimentalarbeiten über die Pigmentanordnung in den Chloroplasten im Bereich Allgemeine Botanik der Sektion Biologie. Unter dem Einfluss von Ilse Jahn (1922–2010) wandte er sich auch biologiehistorischen Themen zu. Von 1990 bis 1993 als Assistent am Institut für Biochemie der Universität Köln tätig, lehrte er nach der Habilitation für Geschichte der Naturwissenschaften in Jena von 1994 bis 2013 in Jena, Berlin und Göttingen – seit 2003 als außerplanmäßiger Professor der FU Berlin – Geschichte der Biochemie, Biologie und Pharmazie.
Prof. Höxtermann ist Mitherausgeber und Autor einer viel beachteten Monographie über „Evolution durch Kooperation und Integration“ (2007) und betreut seither das biologiehistorische Verlagsprogramm der Basilisken-Presse in Rangsdorf. 2016 wurde er zum Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin gewählt.
Siehe auch: https://leibnizsozietaet.de/wp-content/uploads/2012/10/Höxtermann_KurzbiographiePorträt.pdf
Abstracts:
Wie und wo lebten die ersten Zellen? Neue Erkenntnisse über den Ursprung des Lebens.
Von William Martin
Seit rund 4 Milliarden Jahren gibt es Leben auf der Erde. Der Ursprung des Lebens erschien lange Zeit als ein unlösbares Mysterium, das sich einer exakten, naturwissenschaftlichen Erforschung grundsätzlich entzog. 1936 postulierte der russische Chemiker Aleksandr I. Oparin die spontane Entstehung primitiver Lebensformen in einer Ursuppe kleiner organischer Moleküle – eine Annahme, die die amerikanischen Chemiker Stanley Miller und Harold C. Urey 1953 experimentell erhärteten, als sie im Labor eine hypothetische frühe Erdatmosphäre simulierten und durch elektrische Entladungen organische Substanzen erzeugten. Die Idee einer präbiotischen Ursuppe, die eine „RNA-Welt“ hervorbrachte, wurde für Jahrzehnte zum dominierenden Leitmotiv der Forschung über die Entstehung des irdischen Lebens. Doch wie der deutsche Chemiker Günter Wächtershäuser schon 1988 einwandte, ist das Leben in diesem Weltbild nichts als Information, allein es fehlt der Aspekt der Energie. Die Entstehung biologischer Zellen kann nicht das Ergebnis von Blitzentladungen oder UV-Strahlung sein, vielmehr erforderte sie eine kontinuierliche Energiezufuhr.
Betrachtet man das Leben aus der Sicht der Energie, so beruht es auf chemischen Reaktionen, zwar sehr komplizierten, aber eben chemischen Reaktionen, die Energie freisetzen. In allen Lebensformen gibt es im zentralen Grundstoffwechsel exergone Reaktionen, die jene chemische Energie liefern, die alle Einzelreaktionen in der Zelle antreiben. Die Verschiedenartigkeit des Energiestoffwechsels heutiger Lebwesen, die alle denselben universellen genetischen Code verwenden, ist das Ergebnis einer langen Evolution.
Wie haben die ersten Zellen gelebt? Wo haben sie gelebt und vor allem wovon? Diesen Fragen gingen Prof. Martin und seine Gruppe nach, als sie mittels bioinformatischer Genomanalysen von rd. 2.000 Prokaryoten 355 Gene (Proteinfamilien) identifizierten, die über den letzten universellen gemeinsamen Vorfahren allen Lebens, LUCA (the Last Universal Common Ancestor), seine Lebensweise und seinen Lebensraum Auskunft geben. LUCA war demzufolge anaerob, thermophil und lebte von Gasen (Wasserstoff, Kohlendioxid, Kohlenmonoxid und Stickstoff) – und zwar in einer Umgebung, wie sie auch heute noch an Tiefsee-Hydrothermalquellen zu finden ist. Seine Proteine waren reichlich mit Eisen-Schwefel-Zentren und radikalen Reaktionsmechanismen ausgestattet und erforderten Kofaktoren, bei denen Übergangsmetalle (Eisen, Nickel, Molybdän) eine tragende Rolle spielen. Der Energiestoffwechsel von LUCA ähnelt damit stark demjenigen rezenter, strikt anaerober, acetogener Bakterien und methanogener Archaeen.
LUCA verbindet die abiotische Phase der Erdgeschichte mit den ersten geochemischen Spuren mikrobiellen Lebens und ist der Urahn aller heute existierenden Archaeen, Bakterien, Pilze, Pflanzen und Tiere, den Menschen eingeschlossen. Im Vortrag werden die Aufsehen erregenden Forschungen vorgestellt, die erste Einblicke in die Physiologie und das Habitat von LUCA liefern. In aktuellen Laborversuchen wurden zudem Reaktionsbedingungen hydrothermaler Quellen in einem Hochdruck-Reaktor nachgestellt, um jene elementaren chemischen Bausteine herzustellen, mit denen alles Leben angefangen hat.
Mehr Details siehe:
https://www.uni-duesseldorf.de/home/universitaet/weiterfuehrend/pressebereich/pressemeldungen/news-detailansicht/article/wie-und-wo-lebten-die-ersten-zellen.html
https://www.welt.de/regionales/nrw/article155824750/Er-sucht-danach-wie-das-Leben-auf-die-Erde-kam.html
Die Symbiogenesetheorie der Entstehung kernhaltiger Zellen und ihre vergessenen europäischen Wurzeln – eine historische Einführung
Von Ekkehard Höxtermann (MLS)
Die energieliefernden Organellen der eukaryotischen (kernhaltigen) Zellen zeichnen sich durch Doppelmembranen, wie sie durch Phagozytose (Einverleibung) externer Körper entstehen, und eigene Gene (Nukleinsäuren) aus. Darauf gründet die Symbiogenesetheorie der Zellevolution, die die Plastiden und Mitochondrien als Endosymbionten betrachtet, die aus eigenständigen Prokaryoten hervorgegangen und im Verlaufe der Evolution durch Genaustausch mit den Wirtszellen zu einer untrennbaren Einheit verschmolzen sind. Vergleichende Genomanalysen legten nahe, dass die Plastiden aus „Blaualgen“ (Cyanobakterien) und die Mitochondrien aus aeroben α-Proteobakterien hervorgegangen sind.
Die Vorstellung, dass es sich bei den Eucyten um phylogenetische Chimären handelt, setzte sich erst im Zeitalter der Molekularbiologie durch und ist vor allem mit dem Namen der amerikanischen Zellbiologin Lynn Margulis (1938–2011) verbunden. Ihr in Teilen spekulatives Buch „Origin of Eukaryotic Cells“ (1970) sorgte weltweit für Furore. So verwundert es nicht, dass heute der symbiogenetische Ursprung eukaryotischer Zellen als eine Entdeckung US-amerikanischer Forscher wahrgenommen wird.
Dabei ist diese Hypothese ein Kind des späten 19. Jahrhunderts. Wie so oft in der Geschichte der Wissenschaften, waren die Fundamente des neuen Theoriengebäudes kaum mehr sichtbar und die Gerüste ihres allmählichen Aufbaus abgebaut. Wichtige Bausteine, vor allem russischer und deutscher Botaniker, waren unkenntlich geworden. Es waren im Grunde zwei biologische Konzepte, deren Zusammenführung die Theorie hervorbrachte: die Entdeckung und Anerkennung der Symbiosen als universelle Lebensform und die Suche nach den wahren Elementarorganismen. Als eigentliche Urheber der Symbiogenesetheorie gelten die russischen Biologen Andrej S. Famincyn (1835–1918) und Konstantin S. Merežkovskij (1855–1921). Die Brücke zwischen der Begründung und Neufassung der Symbiogenesetheorie schlugen über eine Distanz von 60 Jahren vor allem Arbeiten zur zytoplasmatischen Vererbung und zur Feinstruktur der Pflanzenzellen. Wer waren die eigentlichen Begründer der symbiogenetischen Evolutionstheorie, welchen Anteil hatten sie, worauf stützten sie ihre Argumente und warum gerieten ihre Pionierarbeiten wieder in Vergessenheit? Antworten darauf werden in dem Vortrag gegeben.
Details
Veranstaltungsort
Berlin, 10551 Google Karte anzeigen