Wissenschaftliche Sitzungen der Klassen der Leibniz-Sozietät im Jahre 2010

Nachfolgend werden die im Jahr 2010 stattgefundenen wissenschaftlichen Sitzungen der beiden Klassen der Leibniz-Sozietät zusammen mit den Kurzreferaten und Angaben zu den C.V. der Vortragenden aufgelistet.
Die Namen der Autoren sind mit dem Autorenverzeichnis verlinkt, weiterhin sind Links zu den Publikationen der Leibniz-Sozietät angegeben, falls die Vorträge bereits publiziert wurden.

 

11. Februar 2010

Lothar Michalowsky, Peter Görnert
Werkstoffe für Halbzeuge zur effektiven Absorption und Schirmung von Höchstfrequenzfeldern im Frequenzbereich 50 MHz bis 500 GHz“

Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, BVV-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 47; 19.05.10 

Prof. Michalowsky (74) ist Werkstoffwissenschaftler. Er wurde 1986 zum Korrespondierenden Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR, genauer: ihrer Gelehrtengesellschaft, gewählt. 1992/93 war er beteiligt an der Umwandlung dieser 1700 auf Initiative von Leibniz in Berlin begründeten Gelehrtengesellschaft zum eingetragenen Verein, der ab 2007 Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V. heißt.
Nach dem Physikstudium in Jena war er 1961-1965 Assistent im Institut für magnetische Werkstoffe Jena der Akademie der Wissenschaften der DDR bis zur Promotion an der Universität Leipzig. Danach nahm er 18 Jahre lang Leitungsaufgaben im Bereich Forschung und Entwicklung der Keramischen Werke Hermsdorf wahr. In dieser Zeit habilitierte er sich an der Technischen Universität Dresden. 1983-1989 hatte er an der Bergakademie Freiberg den Lehrstuhl für Anorganisch-Nichtmetallische Werkstoffe inne, 1990/1991 an der Hochschule für Verkehrswesen Dresden den Lehrstuhl Technische Physik. Danach übernahm er für zehn Jahre die Leitung der Forschung und Entwicklung, des Qualitäts- und Investitionsmanagements sowie für strategische Konzepte bei der Kaschke KG GmbH & Co in Göttingen. Nebenbei hielt er Vorlesungen und betreute Doktoranden an der Universität Göttingen.
Seine wissenschaftlich-technischen Ergebnisse sind in mehr als 75 Publikationen und in vielen nicht öffentlichen Forschungsberichten, über 220 eingeladenen Vorträgen und mehr als 60 Patentanmeldungen dokumentiert.

Prof. Görnert (66) ist Materialwissenschaftler und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2001. Er arbeitet bei INNOVENT Jena, einer wirtschaftsnahen Forschungseinrichtung mit mehr als 100 Beschäftigten, als Forschungsbereichsleiter und stellvertretender Direktor. Er ist Autor oder Mitautor von Buch- und Übersichtsartikeln, von Patenten sowie von 110 Publikationen und 170 Beiträgen auf nationalen und internationalen Tagungen. Prof. Görnert ist unter anderem Mitglied des Editorial Board der internationalen Zeitschrift “Crystal Research and Technology”, Experte zur Evaluierung von EU-Projekten, Assessor des Australian Research Council und verfasst Gutachten unterschiedlicher Art.

Die technische Entwicklung von Geräten, Anlagen und Systemen in den letzten Jahren hat insbesondere in den Branchen Automotiv-Elektronik, drahtlose lokale und globale terrestrische Kommunikation, elektrische Antriebstechnik, Gebäudeautomation und Sensorik, Industrieautomatisierung sowie neue regenerative Energien zu wesentlichen Fortschritten geführt. Grundlage dieser anhaltenden Innovationswelle waren insbesondere neue Konzepte der Mikroelektronik hinsichtlich der Funktionsintegration unter Verwendung funktionalisierter Kohlenstoff- Nanotubes, Reduzierung der Linearabmessungen von Speicherzellen in den 10 nm-Bereich, neue Bauelemente auf Basis der Spinelektronik mit Zellstrukturlängen <10nm und darunter, ein Konzept zur Nutzung von Spinströmen im molekularen bzw. im atomaren Bereich, Datenübertagungsraten von Tera-Bits/s, neue Werkstoffe für die Herstellung passiver Bauelemente, systematische Erhöhungen der Arbeitsfrequenzen von Halbleitern und von Mikroprozessoren unter Verwendung von Germanium-Silizium, die Beherrschung der Technologien für nanostrukturierte Werkstoffe, Wireless LAN-Konzepte mit Arbeitsfrequenzen von mehr als 5 GHz, die Verfügbarkeit von MEMS-Baugruppen und Mikrosystemen, Power MOSFET- Transistoren und IGBT mit Schaltspannungen bis 3000V und Schaltströmen bis 3000A sowie Navigationssysteme und verkehrsvorauseilende Informationen in bodengebundenen Verkehrsleitsystemen unter Einschluss der Mikrowellen- und Radartechnik.
Vorgestellt werden die Funkstandards im Höchstfrequenzbereich in Verbindung mit den Anwendungsbereichen. Der neue Frequenzstandard im 60 GHz-Band wird für die nächste Generation videofähiger Drahtlosnetzwerke (Wireless HD) tragende Bedeutung erhalten.

Helga Schultz
Agrarismus in Ostmitteleuropa 1880 – 1950

Vortrag in der Klasse Sozial-und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 47; 19.05.10 

 

11. März 2010

G. Albrecht, G.G. Devjatych (†) H.- J. Pohl, P.G. Sennikov
Das AVOGADRO-Problem

Vortrag vor der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, BVV-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 47; 19.05.10 

Prof. Dr. Günter Albrecht, Prof. Dr. Hans-Joachim Pohl (beide Jena), Prof. Dr. Grigorij G. Devjatych (†) und Prof. Dr. Pjotr G. Sennikov (beide Nishnij Nowgorod): Die Entwicklung hoch angereicherter und hochreiner 28Si-Monokristalle als Grundlage für die Neudefinition des Kilogramm, für neue festkörperphysikalische Untersuchungen und für zukünftige festkörperphysikalische Funktionselemente in HL-Elementen, SYS-Quellen und Quanten-Computern.

Prof. Albrecht (80) ist Physiker. Er wurde 1978 zum Korrespondierenden, 1981 zum Ordentlichen Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR, genauer: ihrer Gelehrtengesellschaft, gewählt. 1992/93 war er beteiligt an der Umwandlung dieser 1700 auf Initiative von Leibniz in Berlin begründeten Gelehrtengesellschaft zum eingetragenen Verein, der ab 2007 Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V. heißt.
Seit 1957 arbeitete er am Physikalischen Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) über die Kristall- u. Elektronenstruktur von metallorganischen Komplexverbindungen und TM-Hydriden. 1968 wurde er zum Dozenten, 1969 zum ordentlichen Professor für Angewandte Physik berufen. Er baute das Arbeitsgebiet Tieftemperatur-Festkörperphysik und supersensitive Messverfahren bis hin zu Anwendungen im Biomagnetismus aus. 1970 – 73 wirkte er als Direktor der Sektion Physik der FSU; 1982 – 84 als Gründungsdirektor des Physikalisch-Technischen Institutes der AdW der DDR in Jena. Hier koordinierte er vor allem die »Komplexen Forschungsaufgaben« Mikroelektronik, Lichtleiter-Nachrichtenübertragung, Laser-Technologien und Hochtemperatur-Supraleitung. 1988 wurde er Sekretar der Klasse Technische Wissenschaften der AdW und Vizepräsident bis 1991. Seit 1993 beschäftigt er sich mit theoretischen Fragen isotopenreiner Materialien für die Mikroelektronik.

Prof. Pohl (79) ist Technischer Physiker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1996. Nach der Habilitation leitete er die Grundlagenforschung bei CARL ZEISS JENA sowie die Optikentwicklung beim Jenaer Glaswerk. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena war er 1968 bis 1990 Professor mit Lehrauftrag für technische Physik. 1991 gründete er gemeinsam mit zwei Kollegen die inzwischen sehr erfolgreiche VITRO Spezialwerkstoffe GmbH. Seit 1996 ist er Geschäftsführer der VITCON Projectconsult GmbH, die sich der Forschungskooperation zwischen Instituten und Großbetrieben der Russischen Föderation und der BRD widmet. Der Schwerpunkt seines Interesses gilt zur Zeit der Entwicklung von isotopenreinen Silicium-Kristallen.

Prof. Devjatych (1918 – 2005) war Chemiker und Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR seit 1974 sowie der Leibniz-Sozietät seit 1994. Er wirkte seit 1949 an der Staatsuniversität in Gorki (jetzt Nizhnij Novgorod) und seit 1972 zugleich an der AdW der UdSSR als Stellvertreter des Direktors des Institutes für Chemie und (seit 1988) als Gründungsdirektor des Institutes für hochreine Materialien. Bis 1960 arbeitete er an der Trennung stabiler Isotope (vor allem von Kohlenstoff), danach an der Hochreinigung der flüchtigen Stoffen (Hydride, Halogenide, metallorganische Verbindungen). 1973 begann er in Kooperation mit Nobelpreisträger Akademiker Alexandr Prochorov und Kollegen aus der Akademie der Wissenschaften der DDR mit Arbeiten zur Herstellung von Quarzlichtleitern mit geringen optischen Verlusten und von polykristallinen II-VI-Materialien für Hochleistungslaser. Ab 1995 beschäftigte sich unter anderem mit der Darstellung hochangereicherter Isotope von Silicium vor allem für den Bedarf des Avogadro-Projekts zur Neudefinition des Kilogramms.

Prof. Sennikov (58) ist Chemiker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1995. Er arbeitet seit 1973 am Institut für Chemie der AdW der UdSSR, seit 1988 am Institut für hochreine Materialien, vor allem an der Molekülspektroskopie metallorganischer sowie anorganischer Substanzen und Molekülkomplexe. 1985 wurde er zum Dozenten, 1995 zum Professor für physikalische Chemie berufen, daneben war er bis 2003 wissenschaftlicher Sekretär, Laborleiter und Stellvertreter des Direktors. Zugleich wirkt er seit 2007 am Institut für angewandte Physik und am Institut für Physik der Mikrostrukturen der Russischen AdW. Seit 1996 beschäftigt er sich mit der Darstellung von isotopenreinem Silicium und der Ausarbeitung von hochempfindlichen Methoden der Infrarot-Analyse hochreiner Materialien. Seit 2008 koordiniert er die Arbeit auf dem Gebiet der plasmachemischen Darstellung isotopenreiner Substanzen.

Ausgehend von Initiativen von Mitgliedern der Leibniz-Sozietät wurden seit 1995 die Grundlagen und die Technologie von Einkristallen aus 28Si mit bisher nicht erreichter Anreicherung von 0,9999 28Si mit Halbleiterreinheit in einem Verbund von Forschungsinstituten der Atomindustrie sowie der Akademie der Wissenschaften der Russischen Föderation, dem Institut für Kristallzüchtung der Leibniz-Gesellschaft in Berlin, in enger Wechselwirkung mit den Staatlichen Instituten für Maße und Gewichte der BRD (PTB Braunschweig) sowie Instituten in Belgien, Japan, Australien, Italien und Frankreich einschließlich der dazu notwendigen Ausrüstungen erarbeitet.
Mit der Bereitstellung dieses neuen Materials konnte nunmehr nicht nur die stoffliche Voraussetzung für die Neudefinition der Masse (kg), der einzigen bisher immer noch nicht physikalisch definierten SI-Einheit, geschaffen werden und damit die Ablösung des seit 1889 benutzten Artefakts aussichtsreich in Angriff genommen werden. Gleichzeitig konnten materielle Voraussetzungen für die Erschließung neuer Anwendungen geschaffen und ihre Realisierungsbedingungen geklärt werden. Das ist zum Beispiel die Frage einer höheren Belastbarkeit von HL-Elementen von Spiegeln in der neuen Generation von Synchrotron-Strahlungsquellen, die Möglichkeit einer durchgängigen Si-Technologie für Quantencomputer, Super-Gitter-Anordnungen aus den verschiedenen Isotopen von Si, sowie eine hohe Dosierung von Si mit P-Atomen durch Neutronenabsorption im 30Si zu 31Si und nachfolgendem Übergang zu 31P. Die Dotierung von 1018 P-Atomen/cm³ im natürlichen Silicium wurde erreicht.
Über Stand und Probleme der Massedefinition wird berichtet, ebenso über Ergebnisse und Probleme bei einem neuen technologischen Ansatz für die Herstellung von Si-Isotopen aus SiF4 mit den Mitteln der plasmachemischen Zerlegung und direkten Abscheidung von Si-Isotopen.

 

Winfried Engler
Transitive und intransitive Zeichen. Apologien postmoderner Tiefenlosigkeit.

Vortrag in der Klasse Sozial-und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 47; 19.05.10 

Prof. Engler (74) ist Romanist und Lexikograph sowie Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1995. Seit dreißig Jahren lehrt er an der FU Berlin französische und spanische Literaturwissenschaft. Schwerpunkte seiner Forschung und Publikation sind die Romangeschichte, Gattungstheorie sowie Lexikographie. Er hat u.a. international besetzte Kolloquien zu Emile Zola und Victor Hugo veranstaltet, war Mitglied im Programmbeirat von ARTE und ist Koordinator der Städteverbindung Berlin–Paris.

Ausgehend vom Befund, dass Surrealismus und Strukturalismus Paradigmenwechsel eingeleitet haben, die die Inhalts- und die Textästhetik betreffen, ist zu erörtern, ob in diesem Zeichen postmoderne Literaturtheorien formuliert worden sind. Tatsächlich hat allein der Poststrukturalismus die Theoriediskussion insofern neu orientiert, als die fiktionale wie diskursive Literatur unter einen gemeinsamen, vorrangig zeichenorientierten Textbegriff gestellt werden. Auf Roland Barthes und Michel Foucault beziehen sich seit den 1960er Jahren die semiotisch ausgerichteten Auseinandersetzungen über Wörter und Sachen, die vor allem die Abbildungsfunktion der Literatur suspendieren. Gleichzeitig wird, was seit Aristoteles keines Beweises bedurfte, die kategorische Unterscheidung der Praxis des Dichters und des Geschichtsschreibers hinfällig. Derartige Entgrenzungen sind Merkmale der Postmoderne.

 

08. April 2010

Ganztägige öffentliche wissenschaftliche Plenarveranstaltung

Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal
Details: s. Wissenschaftliche Sitzungen des Plenums im Jahre 2010

Vortragende:
Prof. Dr. Herbert Hörz (Berlin):
Philosophischer Reduktionismus oder wissenschaftlich berechtigte Reduktionen? Zu den erkenntnistheoretischen Grundlagen des Prinzips Einfachheit

Prof. Dr. Werner Krause (Jena):
Einfachheit und menschliche Informationsverarbeitung?

Prof. Dr. Sabine Müller (Greifswald): Einfachheit biochemischer Komplexität – ein Widerspruch?

Prof. Dr. Rainer Schimming (Greifswald):
Optimierung von Erkenntnis: Einfachheit, Einheitlichkeit, Anschaulichkeit

Prof. Dr. John Erpenbeck (Berlin):
Kognition, Evaluation und Vereinfachung des Handelns

Prof. Dr. Gerhard Banse (Berlin und Karlsruhe):
„Nicht so exakt wie möglich, sondern so genau wie nötig“. Das Einfachheitsprinzip in den Technikwissenschaften

Prof. Dr. Hans-Otto Dill (Berlin):
Einfachheit als rationalistisches Prinzip in Wissenschaft und Kunst

Prof. Dr. Erdmute Sommerfeld (Senzig):
Anregungen zur interdisziplinären Diskussion: Einfachheit – ein Grundprinzip in den unterschiedlichsten Disziplinen?
20. Mai 2010


Rüdiger Hardeland
Vermeidung der zellulären Bildung freier Radikale – wichtiger als Radikalfangen?

Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 48; 01.08.10

 

Gerhard Banse
Technik und Kultur Teil II

Diskussionsveranstaltung der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 48; 01.08.10 

 

10. Juni 2010

Thomas Fanghänel
Actiniden und ihre besondere Bedeutung für die Kernenergienutzung

Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät (anlässlich des 80. Geburtstags von Hans Heinz Emons)
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 48; 01.08.10 

Prof. Fanghänel ist Physiko- und Radiochemiker. Nach der Promotion (1984) arbeitete er vier Jahre lang an der TU Bergakademie Freiberg, danach zwei Jahre als Postdoc an der Universität Oslo und 1991 – 2000 am Forschungszentrum Karlsruhe. 2000 – 2002 leitete er das Institut für Radiochemie am Forschungszentrum Rossendorf und lehrte Radiochemie an der Technischen Universität Dresden, 2002 – 2006 das Institut für Nukleare Entsorgung (INE) am Forschungszentrum Karlsruhe. Seit 2002 ist er außerdem Professor am Institut für Physikalische Chemie der Universität Heidelberg. 2006 wurde er zum Direktor des Instituts für Transurane (ITU) in Karlsruhe, einer Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission, berufen.

Als Actiniden bezeichnet man die 14 dem Element Actinium folgenden Elemente. Die Actiniden sind innere Übergangselemente, bei denen die 5f-Schale aufgefüllt wird. Technische Bedeutung haben neben Thorium und Uran vor allem Plutonium und die sog. minoren Actiniden Neptunium, Americium und Curium durch die Kernenergienutzung erlangt. Ihre Eigenschaften und insbesondere das Verhalten der 5f-Elektronen sind dadurch von großem Interesse.
Der Vortrag gibt nach einer Einführung eine Übersicht über grundlegende Eigenschaften der Actiniden und diskutiert an ausgewählten Beispielen ihre Bedeutung für die Endlagerung hochaktiver Abfälle sowie Möglichkeiten der Actinidenabtrennung und -verbrennung (Partitioning und Transmutation).

Jörg Roesler
Das NÖS – Ulbrichts New Deal – Ein Plädoyer für die Überwindung des dichotomen Denkens in der Ökonomie

Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 48; 01.08.10 

Prof. Roesler (69) ist Wirtschaftswissenschaftler und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1996. Er studierte ab 1959 Wirtschaftsgeschichte an der Humboldt-Universität, arbeitete am dortigen Institut für Wirtschaftsgeschichte und ab 1974 am von Jürgen Kuczynski gegründeten Akademieinstitut in Berlin. Er hielt Vorlesungen zur Wirtschaftsgeschichte der DDR, Deutschlands und des Auslands, forschte zur Industriegeschichte der DDR und zur Wirtschaftsgeschichte der sozialistischen Länder. Nach 1991 untersuchte er die Transformation in Ostdeutschland und in den osteuropäischen Ländern. Seine Lehrtätigkeit setzte er bis 2006 fort, u. a. an der Universität der Künste, Berlin und als Gastprofessor in Kanada und den USA.

Gemäß den Regeln dichotomen Denkens in der Ökonomie trennen NÖS und New Deal Welten – genauso wie die Planwirtschaft als Kontrapunkt der Marktwirtschaft gilt. Doch es bestehen auch Gemeinsamkeiten: In beiden Fällen handelte es sich um zur Bewältigung von Wirtschaftkrisen initiierte Reformen, mit denen ein qualitativer Wandel in der Wirtschaftslenkung angestrebt und auf vielerlei Gebieten auch erreicht wurde. NÖS und New Deal zeichneten sich durch einen Mix von Lenkungsmethoden und Eigentumsformen aus, die sowohl für das sozialistische als auch das kapitalistische Wirtschaftssystem typisch waren – um Mixed Economies, eine dem dichotomen Denken widersprechende und im neoliberalen Kontext verfemte Kategorie, zu der im Referat Stellung genommen wird. Deren Behandlung erscheint um so notwendiger, als die Mixed Economy bisher von der Forschung wenig beachtet worden und theoretisch vage umrissen geblieben ist, obwohl sie sich im 20. Jh. in der Mehrzahl der Volkswirtschaften über Jahre bzw. Jahrzehnte als funktionstüchtig erwiesen hat. NÖS und New Deal teilten das Schicksal von grundlegenden Reformbewegungen: Sie wurden als Abweichungen von der „reinen Lehre“ bzw. der „altbewährten Praxis“ von Theoretikern und Politikern angefeindet bzw. bekämpft, was die Reformer unter ständigen Erfolgszwang setzte, sie aber auch zu Kompromissen veranlasste.

 

9. September 2010

Günter Leonhardt
Uranbergbau der Wismut – geomechanische und bergschadenkundliche Probleme; Stand der Sanierung

Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz- Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 49; 01.12.10 

Prof. Leonhardt (73) ist Montanwissenschaftler und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2000. Nach Studium des Vermessungswesens an der damaligen TH Dresden und Arbeit am dortigen Lehrstuhl für Höhere Geodäsie nahm er an zwei Antarktisexpeditionen teil, wo seine astronomischen Ortsbestimmungen es erstmals ermöglichten, Eisbewegungen im Innern des Kontinents nach Größe und Richtung zu bestimmen. Es folgten 21 Jahre Arbeit im Markscheidewesen der SDAG Wismut, wobei es vor allem um geomechanische und bergschadenkundliche Grundlagen für den Uranerz-Abbau in sensiblen Bereichen ging. Dazu erwarb er ein zweites Diplom als Markscheider an der Bergakademie Freiberg. 1985 wurde er Leiter des Bereichs Geodäsie und Gravimetrie am Zentralinstitut für Physik der Erde der AdW der DDR; 1988 wurde er zum Professor für Geodäsie ernannt. 1990 kehrte er zu der inzwischen in das Eigentum der Bundesrepublik übergegangenen Wismut AG zurück und übernahm die Leitung der Sparte Consulting/Engineering. Zwei Jahre später wechselte er als Niederlassungsleiter zu einer international tätigen Ingenieurfirma in Frankfurt/Main. Danach leitete er eine Consulting GmbH mit geo-, bau- und umwelttechnischem Tätigkeitsprofil, bis ihn 1995 eine schwere Erkrankung zum Ausscheiden aus dem Berufsleben zwang.

Im Ergebnis des 2. Weltkrieges wurde 1946 die SAG (Sowjetische AG) Wismut gegründet. Sie hatte das Ziel, im Erzgebirge bekannte und gemutete Uranerze abzubauen und an die Sowjetunion zu liefern. 1954 ist die SAG zur SDAG (Sowjetisch-Deutschen AG) mit je 50% Aktienanteil beider Staaten umgewandelt worden. Mit der Wiedererlangung der Einheit Deutschlands beendete die Wismut ihre Gewinnungstätigkeit und ging als Sanierungsbetrieb in das Eigentum der Bundesrepublik über. Zu diesem Zeitpunkt bestanden noch Gewinnungsbetriebe in Sachsen (Aue/Pöhla, Königstein und Dresden-Gittersee) und Ostthüringen (Ronneburg) sowie Aufbereitungsbetriebe in Seelingstädt (Thüringen) und Crossen (Sachsen). Einen Sonderfall stellen Betriebsstätten dar, die 1954 nicht mehr in Betrieb waren und in die Rechtsträgerschaft der Räte der Bezirke übergingen.
Mit einer Fördermenge von 231 000 t Uran und einer Gesamtzahl von 600 000 Beschäftigten war die Wismut nach Kanada und den USA der weltweit drittgrößte Uranproduzent. Der größte Teil wurde in den Lagerstätten Aue und Ronneburg gewonnen. Die Vielseitigkeit von Genese, Muttergesteinen und Ausbildung der Lagerstätten (tiefe Ganglagerstätten im Granit im Erzgebirge; sedimentäre Lagerstätten verschiedener Genese und Mächtigkeiten bei Ronneburg und Königstein) machten die Entwicklung von speziellen Abbauverfahren und die lagerstätten-spezifische Modifizierung des bergschadenkundlichen Formelwerkes notwendig. Wegen des scheibenweisen Abbaues und der nachträglichen Versatzeinbringung in der Ronneburger Lagerstätte war z.B. zur Bestimmung zu erwartender Senkungswerte nicht die Mächtigkeit der Erzlager, sondern die Anzahl der abgebauten Scheiben zu berücksichtigen. Zum Schutz von Übertageobjekten gegen bergbaubedingte Bodenbewegungen und -verformungen mussten die Bauten und andere Objekte in Sensibilitätsklassen eingeteilt und die Bergarbeiten entsprechend gesteuert werden.
Im Bereich der Bergbaugegend um Aue sind die Halden abgeflacht und landschaftsnah begrünt worden. Im früheren Radiumbad Oberschlema ist eine „grüne Lunge“ entstanden, sie bietet vielen Heilungssuchenden und Urlaubern neben der Behandlung mit radioaktiven Heilwässern Möglichkeiten der Erholung und Entspannung. Der bis 230 m tiefe Tagebau Lichtenberg ist mit den Halden der umliegenden Bergbaubetriebe verfüllt und zu einer Erholungsoase umgestaltet worden. Die Wismut hat in den Jahren ihrer Bergbautätigkeit ohne Zweifel tiefe Einschnitte in die damaligen Landschaften verursacht. Die aus dem Bundeshaushalt zur Sanierung bereitgestellten erheblichen Mittel und der Fleiß der aktiv Beteiligten haben aber schon vieles positiv verändert und werden zweifelsfrei weiter erfolgreich im Interesse einer lebenswerten intakten Umwelt wirken.

Walter Schmidt
Die schlesischen Demokratiekongresse von 1848
Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 49; 01.12.10 

Prof. Schmidt (80) ist Historiker. Er wurde 1981 zum Korrespondierenden, 1985 zum Ordentlichen Mitglied der 1700 von Leibniz in Berlin begründeten Gelehrtengesellschaft gewählt, der heutigen Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V. Er leitete 1964-1984 einen historischen Lehrstuhl an der Akademie für Gesellschafts-wissenschaften beim ZK der SED und 1984-1990 das Zentralinstitut für Geschichte an der Akademie der Wissenschaften der DDR. Mehrere Bücher und Sammelwerke zur Geschichte des 19. Jh. – insbesondere zur Revolutionsgeschichte – hat er verfasst bzw. herausgegeben. In den letzten Jahrzehnten war er Mit-Herausgeber von „Männer und Frauen der Revolution von 1848/49“ (Bd. 1-3, 203-2010), arbeitete mit am Biographischen Lexikon der Deutschen Burschenschaft (Bd. I/1-6, 1996-2005) und forschte zur Geschichte Schlesiens im Umfeld von 1848. Er gehört dem Beirat der Internationalen Marx-Engels-Stiftung Amsterdam an.

Der Vortrag widmet sich einem bisher noch nicht behandelten Thema, der städtischen demokratischen Organisationsbewegung.
In einer ersten Gründungwelle entstanden zwischen Ende März und Mitte Juli 1848 in Schlesien rund 30 Demokratenvereine. Der erste schlesische Demokratenkongress von Mitte Juli mit 70 Delegierten aus 25 Vereinen war einer der ersten in der deutschen Revolution. Er schuf mit der Bildung eines Zentralausschusses eine relativ stabile demokratische Provinzialorganisation. Deren Festlegung auf Volkssouveränität als politisches Ziel gegen einen radikalen, auf die Republik fixierten radikalen Flügel berücksichtigte die Massenstimmung und ermöglichte eine Einbeziehung der gemäßigt demokratischen Elemente, setzte jedoch der revolutionären Demokratie Grenzen. Die proletarischen Kräfte setzten gegen die rein politisch orientierte Mehrheit eine Beschäftigung mit der sozialen Frage und den Beschluss durch, deren Lösung zur Hauptaufgabe der Demokratie zu erklären.
Nach einer zweiten Welle von Vereinsgründungen wurde die Demokratie in Schlesien zu einem von den Herrschenden gefürchteten Machtfaktor, der sich in der Septemberkrise nicht zuletzt dank dem durch den Zentralausschuss organisierten Widerstand bewährte. Der in der letzten Oktoberdekade 1848 tagende zweite demokratische Provinzialkongress mit 95 Delegierten aus 55 Vereinen beschloss eine durchstrukturierte Organisation, nahm eine Adresse für die Wiener Oktoberrevolution an und befasste sich erneut mit der sozialen Frage. Politischer Höhepunkt war jedoch die von Radikalen aus der Provinz erzwungene Debatte um die Haltung der Demokratie zu revolutionärer Gegengewalt von unten, in der sich die gemäßigte Mehrheit mit der Auffassung durchsetzte, dass Aufgabe der Demokraten die Aufklärung des Volkes sei, sozial motivierte Erhebung kontraproduktiv wären und Gewaltanwendung nur als letztes Mittel infrage käme. In der Novemberkrise, in der die Konterrevolution das Blatt für sich wendete und offener außerparlamentarischer und bewaffneter Widerstand von unten auf der Tagesordnung stand, verzichtete die mehrheitlich gemäßigte Demokratie auf dessen Organisierung.
Der Zentralausschuss arbeitete noch bis in den Dezember 1848. Die sich seit Herbst 1848 ausprägende scharfe Differenzierung zwischen rein politisch orientierten „blauen“ Demokraten und soziale Veränderungen anstrebenden „roten“ Sozialrepublikanern lähmte die Geschlossenheit der bisherigen demokratischen Provinzialorganisation, während sich der Schwerpunkt in den ebenfalls provinzweit durchorganisierten und funktionsfähig gebliebenen politisch radikalisierten schlesischen Rustikalverein verlagerte.

 

14. Oktober 2010

Dirk Fahlenkamp
Prostatakrebsprophylaxe – Wunsch und Wirklichkeit

Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 49; 01.12.10 

Prof. Fahlenkamp (58) ist Urologe. Nach Studium und Facharztausbildungen in Berlin arbeitete er dreizehn Jahre lang als Stationsarzt und Oberarzt im Universitätsklinikum der Berliner Charité, u.a. als Abteilungsleiter für Harnsteinleiden und Nierentransplantation. Während dieser Zeit konnte er durch mehrwöchige Hospitationen in medizinischen Hochschulkliniken in Moskau, Innsbruck und Iowa City seine klinischen Erfahrungen erweitern. Habilitation (1994) und Tätigkeit als Chefarzt der Klinik für Urologie und Kinderurologie in Neuruppin (1997 – 2007) waren weitere Stationen. 2000 wurde er zum Professor für Urologie an der Berliner Charité ernannt, 2006 erwarb er die Zusatzqualifikation für Andrologie und 2007 die für medikamentöse Tumortherapie. Seit August 2007 leitet er die urologische Klinik der Zeisigwaldkliniken Bethanien Chemnitz.
Neben seiner klinischen Arbeit ist Prof. Fahlenkamp aktives Mitglied wissenschaftlicher Arbeitskreise der Deutschen Gesellschaft für Urologie, des European Surgical Institute sowie der Amerikanischen Urologenvereinigung (AUA). Als einer der Wegbereiter laparoskopischer Operationsverfahren in der Urologie in Deutschland war er seit 1993 in vielen Kliniken Deutschlands und des Auslands als Gastoperateur (u.a. in Dänemark, Polen, Tschechien, Schweden, Finnland, Jordanien und Iran).

Die Prostata, auf deutsch Vorsteherdrüse, ist ein etwa kastaniengroßes, direkt unterhalb der Harnblase sitzendes Organ, das die Harnröhre des Mannes umschließt. Sie gehört zu den inneren Geschlechtsdrüsen des Mannes und produziert ein Sekret, das den Samenfäden als Transport- und Aktivierungsmittel dient. Außerdem wandelt sie das männliche Geschlechtshormon Testosteron in seine aktive Form, das Dihydrotestosteron, um.
Hormonelle Umstellungsvorgänge nach dem 50. Lebensjahr führen zu wichtigen Veränderungen dieser Drüse. Zumeist bildet sich innerhalb dieser Drüse eine gutartige Vergrößerung, die über die Jahre die Blasenentleerung erschwert.
Die Prostata ist aber auch Sitz der zweithäufigsten Krebserkrankung des Mannes. Jährlich wird in Deutschland bei über 50 000 Männern die Diagnose Prostatakrebs gestellt. Nach Lungen- und Darmkrebs steht das Prostatakarzinom an dritter Stelle der krebsbedingten Todesursachen beim Mann. In der Statistik der Sterblichkeit bei Männern jenseits des siebzigsten Lebensjahres nimmt sie sogar den 1. Platz unter allen Krebserkrankungen ein. Das Risiko, an Prostatakrebs zu erkranken, nimmt mit dem Alter des Mannes zu.
Nur 15% der Männer nutzen die von den gesetzlichen Krankenkassen angebotenen Krebsfrüherkennungsuntersuchungen. Diese könnten jedoch einer sich eventuell jahrelang entwickelnden, noch symptomlosen Erkrankung, zur Entdeckung und damit rechtzeitigen Behandlung verhelfen.
Der Vortrag nimmt Stellung zum Männergesundheitsproblem „Prostata“, inklusive der nicht unumstrittenen Früherkennungsmaßnahmen, wie z. B. der Tast- (mit dem Finger) und sonographischen (mittels Ultraschall) Untersuchung der Vorsteherdrüse und vor allem zum PSA-Test (Prostata-Spezifisches-Antigen im Blutserum). Daneben werden aktuelle Erkenntnisse zur Vorsorge des Prostatakrebses vorgestellt und kritisch beleuchtet.

Erich Hahn
Religion und Ideologie in der ‚Ontologie des gesellschaftlichen Seins’ von Lukács.

Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 49; 01.12.10 

Prof. Hahn (80) ist Philosoph. Er wurde 1974 zum Korrespondierenden, 1980 zum Ordentlichen Mitglied der 1700 von Leibniz in Berlin begründeten Gelehrtengesellschaft gewählt, der heutigen Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V. Nach dem Studium der Geschichte und Philosophie, nach Promotion und Habilitation an der Humboldt-Universität zu Berlin war er von 1966 bis 1990 am Institut bzw. der Akademie für Gesellschaftswissenschaften tätig, zunächst als Leiter der Abteilung für soziologische Forschung und seit 1971 als Direktor des Instituts für Philosophie.
Schwerpunkte seiner Forschung und Publikation sind Fragen der marxistischen Geschichtsauffassung, der Soziologie und der Ideologietheorie. Publikationen von ihm sind in 15 Sprachen übersetzt worden.
Von 1972 bis 1990 war er Co-Vorsitzender der Gemeinsamen Kommission von Philosophen der DDR und der UdSSR, 1970 – 1974 Vertreter der DDR im Council der „International Sociological Association“. Von 1973 bis 1988 vertrat er die Vereinigung der philosophischen Institutionen der DDR in der Generalversammlung der „Federation internationale des sociétés de philosophie“. Seit 1990 ist er Rentner. Er gehört der Internationalen Georg-Lukács-Gesellschaft und der Marx-Engels-Stiftung an.

Wie alles Ideologische ist auch die Religion für Lukács ein „Produkt, ein Derivat des materiellen Reproduktionsprozesses der Menschheit“. Ihre Spezifik sieht er darin, das gesellschaftliche Wesen des Menschen ins Transzendente zu projizieren. Grundlage dafür ist die allgemeine Abhängigkeit des Menschen von ihm gegenüber fremden Prozessen und Mächten. Damit wendet er sich gegen einen „bloß theoretischen Atheismus“, gegen die Reduzierung der Religionskritik auf die Konfrontation von Theologie und wahrheitsgetreuer Weltansicht.
Diese Position ergibt sich für Lukacs aus der Entwicklung der Religionsphilosophie von Hegel über Feuerbach zu Marx sowie aus einer Analyse des Phänomens „Religion“ unter dem Gesichtspunkt seines ontologischen Ansatzes. Im Zentrum steht dabei die Dialektik der menschlichen Gattungsentwicklung.
Untersucht werden das gesellschaftliche Bedürfnis nach Religion sowie ihre Besonderheiten im Ensemble der ideologischen Formen. Bei der Behandlung der Wurzeln der Religion erfährt die Verdinglichung gesellschaftlicher Erscheinungen besondere Beachtung. In der unmittelbaren geistigen Reproduktion von Verdinglichungsprozessen sieht Lukács – gestützt auf ein reichhaltiges ideengeschichtliches Material – wichtige Quellen religiöser Projektionen.
Tiefe Gegensätze, aber auch Gemeinsamkeiten zwischen Sekte und Kirche im europäischen Mittelalter veranschaulichen die praktische Wirksamkeit der zuvor aufgedeckten geistigen Prozesse und die innere Differenziertheit der Religion als Ideologie, Institution und Verhaltensweise.

 

9.Dezember 2010

Fritz Gackstatter
Lunisolarer Einfluss auf die Entstehung von Erdbeben

Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal

Prof. Gackstatter (69) ist Mathematiker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2006. Promoviert wurde er 1969 in Würzburg. 1972 wurde er an die TU Berlin als Ass. Prof. berufen, wo er sich 1975 habilitierte. Nach kurzem Wirken (1979) an der RWTH Aachen lehrte und forschte er 1979 – 2007 als Professor an der FU Berlin, unterbrochen 1980 durch einen Aufenthalt an der Universität Sao Paulo, Brasilien. Seine Spezialgebiete sind – neben der mathematischen Analysis – die Relativitätstheorie und die Himmelsmechanik.

Starke Springfluten treten auf, wenn bei Neumond oder Vollmond die Gezeitenkräfte von Mond und Sonne zusammenwirken und der Mond auf seiner ellipsenförmigen Bahn nahe bei der Erde ist. F.J. Wood hat die Springfluten nach ihrer Stärke eingeteilt: Er spricht z.B. von “extreme proxigean spring tides”, wenn die Parallaxe des Mondes größer als 61’29.0” ausfällt.
Beobachtung 1: Die erste extreme Konstellation im neuen Jahrtausend gab es bei Neumond am 10. Januar 2005, und einen halben Monat zuvor, bei Vollmond am 26. Dezember 2004, hat ein ozeanisches Beben den Tsunami im Indischen Ozean ausgelöst. Eine vergleichbare Konstellation wird es eine Sarosperiode später am 21. Januar 2023 geben.
Wegen der elliptischen Ungleichheit oszilliert der Abstand des Mondes. Beachtet man zusätzlich die Evektionsanomalie, dann erkennt man eine Schwebung bei den Abstandsoszillationen mit der Periode von 411,8 Tagen.
Beobachtung 2: Die Zeit zwischen den Erdbeben in China am 12. Mai 2008 und dem ozeanischen Beben am 26. Dezember 2004 beträgt 1233 Tage. Sonderbarerweise ergeben drei evektionale Zyklen den Wert 3 mal 411,8 = 1235 Tage. Alte astronomische Zyklen haben also Einfluss auf die Verteilung der Erdbeben.

Martin Hundt
Der Fortgang der MEGA. Aktuelle Debatten um Marx’ Werk

Vortrag in der Klasse für Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 50; 01.03.11 

Prof. Hundt (78) ist Historiker und Editor sowie Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1995. Nach dem Studium der Journalistik an der Universität Leipzig war er von 1954 bis 1962 tätig als Redakteur in Karl-Marx-Stadt und Berlin (Studentenzeitung forum). Von 1963 bis 1989 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Marxismusmus-Leninismus (IML) Berlin, wo er an der historisch-kritischen Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) mitarbeitete und zum Mitherausgeber von „Der Bund der Kommunisten. Dokumente und Materialien 1836-1852“ (3 Bde., Berlin 1970-1984) wurde. Außerdem gehörte er von 1979 bis 1991 dem Redaktionskollegium des Marx-Engels-Jahrbuchs an. Alle 3 Projekte bearbeitete er gemeinsam mit Mitarbeitern des IML Moskau. 1990 wurde er für vier Jahre Mitglied der Redaktionskommission der Internationalen Marx-Engels-Stiftung Amsterdam (IMES). Seit 1995 betreibt er Forschungen zum Junghegelianismus.

Der Vortrag widmet sich der Geschichte der Marx-Engels-Edition, versucht Marx’ Texte als „Werk im Werden“ zu charakterisieren, benennt Missverständnisse dieses Werks in der Vergangenheit, betont die Bedeutung der Marxschen Exzerpte, zählt – mit einigen inhaltlichen Problemen – die seit 1990 erschienenen 25 Bände der MEGA auf, erwähnt die die Edition begleitenden Publikationsorgane und charakterisiert einige inhaltliche Fragen der gegenwärtigen internationalen wissenschaftlichen Diskussion um Marx und Engels.