Wissenschaftliche Sitzungen der Klassen der Leibniz-Sozietät im Jahre 2002

Nachfolgend werden die im Jahr 2002 stattgefundenen wissenschaftlichen Sitzungen der beiden Klassen der Leibniz-Sozietät zusammen mit den Kurzreferaten und Angaben zu den C.V. der Vortragenden aufgelistet.
Die Namen der Autoren sind mit dem Autorenverzeichnis verlinkt, weiterhin sind Links zu den Publikationen der Leibniz-Sozietät angegeben, falls die Vorträge bereits publiziert wurden.

 

17. Januar 2002

Franz Halberg
7-tägige/24-stündige chronobiologisch auswertbare Blutdruck- und Herzfrequenzüberwachung zur Verhütung schwerwiegender Kreislaufkrankheiten

Klasse Naturwissenschaften
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte; Lessing-Saal

Prof. Halberg (82) ist Mediziner und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2001. Sein lebenslanges Anlie¬gen ist eine im Alltag anwendbare und gleichzeitig grundlagenforschende rechnergestützte, inferenz-statistische Kartographie von Zeitstrukturen (Chronomen genannt) – die Chronobiologie einschließlich Chrono-Physiologie, -Morphologie, -Pathologie, -Psychologie, -Pharmakologie, -Therapie, -Soziologie usw.

Schwankungen physiologischer Werte im Tageslauf – „circadian” genannt – entpuppten sich als Äußerungen endogener Systeme, für die sich bei Mäusen und mittels menschlicher Zwillings-forschung eine genetische Grundlage nachweisen ließ. Ebenso gibt es in uns und sogar in Bakterien Wochen- („circaseptane“) und Jahres- („circannuale“) Systeme und schliesslich halb- zehn-, zwan¬zig- und sogar fünfzigjährige Rhythmen, letztere vielleicht im Zusammenhang mit unsicht¬baren, korpuskularen Sonnen-und/oder Milchstrassen-Zyklizitäten.
Löst man die in der Physiologie üblichen „Normalbereiche“ in Chronome auf, die aus multifrequen¬tiellen Rhythmen, deterministischem und anderem Chaos und Tendenzen bestehen, so deckt man damit einerseits ein Ergebnis der Evolution auf; andererseits kann man damit u.a. erhöhte Risiken für Kreislaufkatastrophen erkennen – etwa durch automatische ambulante 7-Tages/24-Stunden- Über¬wachung von Blutdruck und Herzfrequenz, die mancherorts schon stattfindet und Risiko¬syndrome zur Schlaganfallverhütung liefert.

 

Dietrich Scholze-Šolta
Der Beitrag der Literatur zur Ausprägung sorbischer nationaler Identität

Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte; Hoecker-Saal

Prof. Scholze (sorbisch Šołta) (51) ist Slawist (Spezialität Sorabistik) und Mit¬glied der Leibniz-Sozietät seit 2000. Von 1974 bis 1991 arbeitete er am Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Aka¬demie der Wissenschaften der DDR; seit 1992 ist er Direktor und Vorstand des Sorbischen Insti¬tuts/Serbski institut e.V. Bautzen (mit einer Filiale in Cottbus).

Da die Lausitzer Sorben als Rest der Elbslawen keinen eigenen Staat gebildet haben, gilt die Aus-prägung einer voll entwickelten Schriftsprache und einer schöngeistigen Literatur als wesentliche Ursache für die Bewahrung des Ethnikums über mehr als 1000 Jahre hinweg.
Im Vortrag werden zwei entscheidende Phasen der neueren sorbischen Geschichte erläutert: die „nationale Wiedergeburt“ in der ersten Hälfte des 19. und die kulturelle Autonomie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Hingewiesen wird auf den transitorischen Charakter moderner sorbi¬scher Identität, die die sorbisch-deutsche Kulturgrenze zunehmend überschreitet.

 

21. Februar 2002

Tankred Schewe:
Die 15-Lipoxygenase-1. Ein einzigartiges Enzym der enzymatischen Lipidperoxidation in mammaliären Zellen

Klasse Naturwissenschaften
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte; Lessing-Saal

Prof. Schewe (58) ist Biochemiker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2001. Nach 28-jähriger Tätigkeit als Assistent, Hochschuldozent und ordentlicher Professor am Institut für Biochemie der Humboldt-Universität (Charité) war er ab Ende 1995 drittmittelbeschäftigt – zunächst an der FU Berlin, jetzt an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er beschäftigt sich vor allem mit dem Eikosanoidstoffwechsel (vor allem mit den Lipoxygenasen und deren Inhibitoren). 1977 verlieh ihm die Biochemische Gesellschaft der DDR (jetzt Gesellschaft für Biochemie und Molekularbiologie) den Karl-Lohmann-Preis. Außerdem gehört er dem Naturschutzbund Deutschlands (NABU) sowie dem Verband Hochschule und Wissenschaft (VHW) an.

Die 15-Lipoxygenase-1 wirkt im oxidativen Stoffwechsel mehrfach ungesättigter Fettsäuren. Sie verdankt ihre Entdeckung dem Arbeitskreis um Professor Samuel Mitja Rapoport in den fünfziger bis siebziger Jahren, der sich mit der Reifung roter Blutzellen befasste und an denen auch der Vortragende beteiligt war. In den unreifen roten Blutzellen (Retikulozyten) schaltet sie die Zellatmung ab.
Lipoxygenasen bilden eine größere Gruppe von Enzymen, die im Tier- und Pflanzenreich weit verbreitet sind und verschiedene biologische Funktionen erfüllen. Eine der vier Untergruppen von Lipoxygenasen des Säugerorganismus bilden die Lipoxygenasen vom Retikulozytentyp – darunter die 15-Lipoxygenase-1. Ihre Besonderheit besteht darin, daß Sie die mehrfach ungesättigten Fettsäuren nicht nur in freier Form, sondern auch in komplexen biologischen Strukturen – wie Biomembranen und Lipoproteinen – angreifen. Auf diese Weise sind sie nicht nur an Zellreifungs- und Membran¬umbauvorgängen beteiligt, sondern anscheinend auch an pathologischen Prozessen wie der Entstehung der Arteriosklerose.
Die Lipoxygenaseforschung in der Berliner Arbeitsgruppe erfolgte in enger Zusammenarbeit mit re¬nommierten Arbeitsgruppen in den USA, Japan, den Niederlanden, Italien und der UdSSR. Sie ist Gegenstand von ca. 200 Publikationen in hochrangigen Zeitschriften.

Helmut Bock
Die russische Revolution. Historisch-kritische Reflexion – 85 Jahre danach

Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte; Hoecker-Saal

Prof. Bock (73) ist Historiker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1994. Bis 1991 tätig an histori¬schen Instituten der Akademie der Wissenschaften der DDR, 1992 – 1993 Einzelförderung durch Bun¬desministerien. Autor und Herausgeber von 25 Büchern und Broschüren. Jüngste Publikationen: Aufbruch in die Bürgerwelt. Lebensbilder aus Vormärz und Biedermeier, Münster 1994; Ferdinand von Schill, Preußische Köpfe, Berlin 1998; Freiheit, Gleichheit – und kein Ende. Streit um Menschenrechte, Berlin 2000.

Erster Weltkrieg: chauvinistisches Wechselgeschrei der „Vaterlandsverteidigung”, blutige Massen-szenen der Generaloffensiven, verheerende Trommelfeuer der Materialschlachten. Der Sinn menschli¬chen Zusammenlebens war zum Widersinn gegenseitiger Verrohung und Vernichtung pervertiert. Doch plötzlich das Fanal der russischen Februar-Revolution: Brot! Nieder mit dem Zaren! Schluss mit dem Krieg! – „Ex Oriente pax”, urteilte Carl Zuckmayer, Offizier an der deutschen Westfront. Es wa¬ren Hoffnungen, bald aber auch neue Feindschaften, die seitdem das 20. Jahrhundert erfüllten.
Was im Lager des vermeintlichen Sozialismus staatsfeierlich erinnert wurde, war der “Rote Oktober”, die „Große Sozialistische Revolution”. Heute hingegen finden sich viele Millionen Enttäuschter auf dem Scherbenhaufen der aus 1917 gekommenen Umwälzung. Selbst ethische Sozialisten, die vom ideellen Gebot der Gerechtigkeit und des Friedens noch immer überzeugt sind, nennen den aus der Februar-Revolution herausgewachsenen „Roten Oktober” eine Sackgasse, die keine Würdigung als gutes Da¬tum der Weltgeschichte verdiene. Den Gegnern sozialer Empörungen und antikapitalistischer Alternativen war und ist die Russische Revolution eine Büchse der Pandora, aus der die gesellschaftspolitischen Irrtümer, Krankheiten, Staatsverbrechen geflogen seien. Jedoch: 85 Jahre nach dem Beginn der Russischen Revolution bleibt sine ira et studio zu sagen, was die widerstreitenden Revolutionäre von 1917 unter den Zwängen zuvor nie erlebter Verheerungen tun wollten und konnten. Was sie erhofften, erreichten – und verfehlten.

 

21. März 2002

Hans Richter
Materialrelevante Herausforderungen für die perspektivische Mikroelektronik

Klasse Naturwissenschaften
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte; Lessing-Saal

Dr. Richter (58) ist Diplomingenieur für Werkstoffkunde und Werkstoffprüfung. Nach Tätigkeiten im Leichtmetallwerk Rackwitz sowie an der TH Magdeburg (Promotion 1971) wurde er wissenschaftli¬cher Mitarbeiter, später Abteilungs- und Bereichsleiter im Institut für Physik der Werkstoffbearbeitung der Akademie der Wissenschaften (AdW) in Berlin (Arbeitsgebiet Siliziumforschung). 1984 – 1988 war er Stellvertreter des Institutsdirektors und Bereichsleiter im Institut für Halbleiterphysik (IHP) der AdW in Frankfurt (Oder), 1988 – 1991 arbeitete er auch im Büro des Leiters des Forschungsbereiches bzw. des Sekretärs für Physik der AdW in Berlin. 1992 baute er die Abteilung „Modifizierung und Analyse von Grenzschichten“ im IHP auf. Seit 2000 ist er Direktor des „Gemeinsamen Labors des IHP und der BTU Cottbus“ und Lehrbeauftragter an der BTU. Er gehört dem Executive Committee der E-MRS, Strasbourg und de ISS Committee von SEMi Europe, Brüssel, an. Für mehr als 150 wis¬senschaftliche Vorträge und 130 Publikationen zeichnet er als Autor oder Mitautor. Seit 1991 steht er dem Vorstand der Gesellschaft zur Förderung von Wissenschaft und Wirtschaft vor.

 

Ruth Reiher
Das Kollektiv hat sich ins Team verabschiedet. Zum wissenschaftlichen Umgang mit dem sprachlichen Ost-West-Problem

Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte; Hoecker-Saal

Frau Prof. Reiher (54) ist Germanistin und Historikerin sowie Mit¬glied der Leibniz-Sozietät seit 2001. Sie arbeitet am „Institut für deutsche Sprache und Linguistik“ der Humboldt-Universität zu Berlin und beschäftigt sich vornehmlich mit der deutschen Gegenwartssprache. Mit dem sprachlichen Ost-West-Problem hat sie sich vor allem im letzten Jahrzehnt auseinandergesetzt und mehrere Publikationen vorgelegt, die den Sprachwandel unter dem Einfluss von ‚Wende‘ und Vereinigung dokumentieren.

Dass sich gut zehn Jahre nach der ‚Wende‘ die östlich sozialisierten Sprecher und Schreiber an die Normen und Regeln westdeutschen Sprachgebrauchs innerhalb des bundesrepublikanischen Diskurses weitgehend angepasst haben, ist hinlänglich bekannt und wurde durch zahlreiche linguistische Analysen empirisch belegt. So wie sich das Kollektiv ins Team, die Kaufhalle in den Supermarkt oder auch die Dreiraumwohnung in die Dreizimmerwohnung verabschiedet haben, sind auch bei Bewerbungsschreiben, Beurteilungen, Zeugnissen oder privaten Kleinanzeigen die westdeutschen Muster in den so genannten fünf neuen Bundesländern übernommen worden.
In dem Vortrag soll der Frage nachgegangen werden, wie das sprachliche Ost-West-Problem von Linguisten unterschiedlicher Couleur in der Zeit der Zweistaatlichkeit und nach der ‚Wende‘ gehandhabt worden ist. Hat die Sprachwissenschaft nur nachvollzogen, was wir politisch schon immer wussten? Ist es der Linguistik gelungen, eine ‚neutrale‘ Perspektive in Bezug auf die sprachlichen Sachverhalte einzunehmen? War und ist das methodische Instrumentarium geeignet, das so genannte sprachliche Ost-West-Problem angemessen zu beschreiben und zu interpretieren?
Indem unterschiedliche linguistische Konzepte vorgestellt werden, versucht die Referentin, Antworten auf einige der gestellten Fragen zu geben.

 

18. April 2002

Jürgen Hamel
Wissenschaftsförderung und Wissenschaftsalltag in Berlin 1700 – 1720 – dargestellt anhand des Nachlasses des ersten Berliner Akademieastronomen Gottfried Kirch und seiner Familie

Klasse Naturwissenschaften
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte; Lessing-Saal

Dr. Hamel (50) ist Astronomiehistoriker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2001. Viele Jahre war er Abteilungsleiter an der Archenhold-Sternwarte Berlin-Treptow und zeitweise Mitarbeiter am Museum für Astronomie und Technikgeschichte in Kassel. Er ist ein international bekannter Autor zahlreicher Bücher und wissenschaftlicher Arbeiten zur Geschichte der Astronomie sowie Herausgeber einer astronomiehistorischen Schriftenreihe, “consulting member” der Internationalen astronomischen Union und anderer Gesellschaften.

Im Jahr 1700 wurde in den protestantisch regierten deutschen Landen der Kalender eingeführt, nach dem wir uns noch heute täglich richten. Zur Berechnung der Kalenderdaten (für jeden Tag waren auch Himmelserscheinungen verzeichnet) berief man den aus Guben stammenden Astronomen Gottfried Kirch nach Berlin. Auf Betreiben Gottfried Wilhelm Leibniz’ erfolgte gleichzeitig die Gründung der Berliner Akademie der Wissenschaften. Die Finanzpolitik des brandenburgischen Kurfürsten, ab 1701 des preußischen Königs, gestattete es jedoch nicht, eine international konkurrenzfähige Sternwarte zu schaffen.
Der Vortrag schildert anhand der in Berlin vorhandenen alten Beobachtungstagebücher das alltägliche Leben der Astronomenfamilie Kirch, ihre Erfolge und die Schwierigkeiten der wissenschaftlichen Arbeit. Da es kein professionelles Beobachtungslokal gab, mußten die bis zu 6 Meter langen Fernrohre hin- und hergetragen werden. Im Garten behinderten oft der Rauch von Schornsteinen oder die Bäume des “Thiergartens” die Beobachtung, auf dem Dachboden die Wäsche anderer “Haushaltungen” – alles wurde vor 300 Jahren genau aufgezeichnet.

 

Krzysztof Mignon
Der Breslauer Orientalist Andreas Acoluthus (1654 – 1704). Seine Beziehungen zu Leibniz und zur Akademie in Berlin

Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte; Hoecker-Saal

Prof. Migon (61) ist Bibliothekswissenschaftler und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2001. Er interessiert sich vornehmlich für Buch- und Schriftgeschichte und -theorie, Wissenschaftsgeschichte und –kunde sowie für die Geschichte der Orientalistik. Seit 1982 ist er Professor am Institut für Bibliothekswissenschaft der Universität Wroclaw. 1978 hatte er eine Gastprofessur an der Illinois State University Chicago inne, 1992 eine an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz; zu Gastvorlesungen weilte er u.a. an Hochschulen in Moskau, St. Petersburg, Tallinn, Wilna, Lemberg, Budapest, Bratislava, Prag, Berlin und Salamanca. An verschiedenen internationalen Initiativen, Projekten, Konferenzen u.ä. ist er beteiligt, vor allem an der Association Internationale de Bibliologie, Paris und der Gutenberg-Gesellschaft, Mainz. An dem in Stuttgart erscheinenden „Lexikon des gesamten Buchwesens“ arbeitet er ständig mit.

Andreas Acoluthus (Bernstadt 1654 – Breslau 1704) gehörte zu den bekannten Gelehrten seiner Zeit. Als evangelischer Priester kontinuierte er mit die Tradition der barocken Gelehrtheit, die hauptsächlich die Biblistik, das polyhistorische Wissen und die Sprachenkenntnisse umfasste. In seiner Aktivität sind die wichtigsten Richtungen des geistigen und intellektuellen Lebens seiner Epoche sichtbar.
Das veröffentlichte Oeuvre Acoluthus’ ist bescheiden; der Großteil seiner wissenschaftlichen Leistungen blieb in Handschrift und in der Korrespondenz. Letztere wurde teilweise veröffentlicht.
Acoluthus korrespondierte mit Leibniz mindestens seit 1695; die Hauptthemen des Briefwechsels waren verschiedene Fragen der damaligen Orientkunde, u.a. Perspektiven der Christianisierung von China, Sprachenverwandtschaft (z.B. Armenisch und Altägyptisch), Türkenfrage, Islamistik. Die Kompetenzen Acoluthus’ auf dem Gebiet der orientalischen Sprachen und des muselmanischen Glaubens erlaubten es der Berliner Akademie, ihm ein Stipendium zu geben mit der Aufgabe, eine wissenschaftliche Bearbeitung (Übersetzung, Vergleich der verschiedenen Redaktionen, Kommentierung) des Koran zu verfertigen. Der plötzliche Tod von Acoluthus hat die Verwirklichung dieser Absicht unmöglich gemacht.

 

 

16. Mai 2002

Gerhard Öhlmann:
Katalyse und Automobil – Wege zur Nachhaltigkeit der Mobilität

Klasse Naturwissenschaften
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte; Lessing-Saal

 

Peter Neumeister
Tradition und Neuanfang historischer Forschung an der Humboldt-Universität und Akademie 1946 – 1952; (zum 50. Todestag von Fritz Röhrig)

Joachim Herrmann
Tradition und Neubeginn ur- und frühgeschichtlicher Forschungen an der Berliner Akademie der Wissenschaften 1946 – 1952; (zum 110. Geburtstag von Wilhelm Unverzagt)

Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte; Hoecker-Saal

 

20. Juni 2002

Bodo Krause
Erkennen diskreter Merkmalsstrukturen – Ein Beitrag zur Untersuchung und Modellierung menschlicher Lernprozesse

Klasse Naturwissenschaften
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte; Lessing-Saal

Friedbert Ficker
Serbisch-deutsche Beziehungen in Kunst und Kunstgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert

Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte; Hoecker-Saal

 

19. September 2002

Holger Filling
Die Rolle der extraterrestrischen Materie in der Wissenschafts- und Erdgeschichte

Klasse Naturwissenschaften
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte; Lessing-Saal

Herr Filling (50) ist Architekt und befaßt sich seit über 25 Jahren in seiner Freizeit mit astronomi-schen Themen. Darüber hat er in verschiedenen Fachzeitschriften publiziert. Im Jahr 1997 wurde er in den wissenschaftlichen Beirat des Arbeitskreises “Geschichte der Geophysik und Kosmi-schen Physik” berufen. Mit dieser Tätigkeit entwickelten sich auch die Kontakte zur Leibniz-Sozietät.

Die Meteoritenforschung wurde von dem Physiker E.F.F.Chladni begründet. In einem langen Prozess wurden auf der Erde die unterschiedlichsten Reste von Einschlagkratern entdeckt. Schließlich fand man auch Tektite – stumme Zeugen kosmischer Katastrophen.
Das Thema des Vortrags ist höchst aktuell: In den Bayerischen Alpen wurde am 6. April 2002 ein außergewöhnlicher Meteoritenfall beobachtet; und am 18. August 2002 zog der Asteroid 2002NY40 recht nahe an der Erde vorbei.
In der anschließenden Diskussion soll es vor allem um die Bedrohung durch erdnahe Objekte gehen.

 

Ronald Lötzsch:
Unterschiedliche Tradition der Staatsbürgeschaftsgesetzgebung in DDR und BRD

Klasse Sozial- und GeisteswissenschaftenStaatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte; Hoecker-Saal

Prof. Lötzsch (70) ist Sprachwissenschaftler und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1998. Bis zur Abwicklung 1991 war er Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften der DDR. 1993 bis 1995 hatte er den Lehrstuhl für sorabistische Linguistik an der Universität Leipzig inne und war Direktor des dortigen Instituts für Sorabistik. Er kann auf zahlreiche Publikationen verweisen über slawische und deutsche Dialektologie, Kontaktlinguistik, zweisprachige Lexikografie und Lexikologie, Interlinguistik, Geschichte der Sprachwissenschaft, Minderheiten- und Sprachenpolitik sowie deutsche Rechtschreibung.

Das Staatsbürgerschaftsrecht der BRD steht in der Tradition des am 22. Juli 1913 von Wilhelm II. in Kraft gesetzten “Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes”. Dieses erklärt in § 1 alle deutschen Staatsangehörigen zu “Deutschen”. Im Grundgesetz der BRD geschieht dies im Art. 116. Damit wird ignoriert, dass damals wie heute einen nicht geringen Teil der Bevölkerung Deutsch-lands Nichtdeutsche bilden, die jedoch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Dies ist Aus-druck eines vereinnahmenden deutschen Nationalismus, des Bestrebens, die Angehörigen der na¬tionalen Minderheiten zu assimilieren. Es wird also nicht unterschieden zwischen der (oft auch als “Nationalität” bezeichneten) Staatsangehörigkeit und der eigentlichen Nationalität, die manchmal auch “Volkszugehörigkeit” genannt wird.
In der DDR wurde dagegen grundsätzlich unterschieden zwischen Staatsangehörigkeit und Na-tionalität. Die Angehörigen der einzigen in der DDR lebenden nationalen Minderheit, der sorbi-schen, galten danach als DDR-Bürger sorbischer Nationalität. Der Schutz ihrer nationalen Inter-essen war in der Verfassung verankert. Die DDR folgte damit einer Tradition, die sich im öster-reichischen Teil der k.u.k. Monarchie sowie in der Sowjetunion herausgebildet hatte.

 

17. Oktober 2002

Michael Köhler
Miniaturisierung jenseits der Festkörperelektronik – Chipreaktorik und molekulare Nanotechnologie

Klasse Naturwissenschaften
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte; Lessing-Saal

Prof. Köhler (46) ist Chemiker. Schon zur Promotion (1986) befasste er sich mit elektrochemi-schen Problemen der Mikrolithographie, einem Arbeitsgebiet, dem er bis heute treu geblieben ist. Seine weitere wissenschaftliche Ausbildung an der Universität Jena unterbrach er 1991 durch ei¬nen Forschungsaufenthalt am Max-Planck-Institut für Ernährungsphysiologie in Dortmund. Nach mehr als einem Jahrzehnt Tätigkeit am Forschungsinstitut für Physikalische Hochtechnologie in Jena wurde er 2001 als Professor für Physikalische Chemie und Mikroreaktionstechnik an die TU Ilmenau berufen.

Technologien zur Herstellung kleinster Strukturen bilden die Basis der gesamten modernen Informationstechnik. Über die Elektronik hinaus finden diese Technologien Anwendung in der Mikrosystemtechnik und Sensorik. Miniaturisierte Bauelemente werden seit wenigen Jahren auch genutzt, um stoffliche Informationen zugänglich zu machen und zu optimieren.
Neben Biochips, die vor allem zum Auslesen von Erbgutinformationen dienen, werden Chipbau¬elemente eingesetzt, um chemische, molekular- und mikrobiologische Operationen mit sehr kleinen Stoffmengen parallel und schnell durchzuführen. Als Beispiele derartiger Chipträger und Mi¬kroreaktoren wird der Vortragende Nanotiterplatten für die Arzneimittelentwicklung und Chipthermocycler, die der Vervielfältigung von DNA dienen, vorstellten. Die Verbindung molekularer Techniken und mikrolithographischer Verfahren eröffnet daneben ganz neue Möglichkeiten für die Erzeugung von Strukturen im Nanometerbereich. Chemische Prozesse werden dabei auf das Niveau von Einzelmolekülen gebracht und Festkörperstrukturen in molekularen Dimensionen erzeugt.

 

Wolfdietrich Hartung
Perspektiven auf Sprache. Über Veränderungen in unserem Verständnis von Sprache.

Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte; Hoecker-Saal

Prof. Hartung (69) ist Sprachwissenschaftler und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1996. Nach dem Studium der Germanistik und Nordistik begann er 1955 seine Tätigkeit an der Akademie der Wissenschaften der DDR. Dort war er bis 1969 Mitarbeiter der Arbeitsstelle Strukturelle Gram-matik, danach bis 1991 Leiter des Bereichs Sprachliche Kommunikation am Zentralinstitut für Sprachwissenschaften. 1992/93 arbeitete er am Institut für deutsche Sprache in Mannheim, da-nach an einem DFG-Projekt mit. Zahlreiche Publikationen auf folgenden Gebieten: Syntax des Deutschen, Grammatiktheorie, Kommunikation und Gesellschaft, Soziolinguistik, Sprachnormen, Gesprächsanalyse, Geschichte der Sprachwissenschaft, Sprache und Kultur, deutsch-deutsche Kommunikation. Mitarbeit an Wörterbüchern; (Mit-)Herausgabe mehrerer Zeitschriften; (Mit-)Veranstalter zahlreicher internationaler Tagungen, zuletzt 2000 „Kulturen und ihre Sprachen. Die Wahrnehmung anders Sprechender und ihr Selbstverständnis“. Gegenwärtige Arbeits- und Interessengebiete: Sprache und Kultur, Geschichte der Sprachwissenschaft, Sprache in der DDR.

Mit Sprache bezeichnen wir einen „einfachen“ Begriff, von dem jeder eine Vorstellung zu haben glaubt. Und doch gibt es viele ganz unterschiedliche Sprachdefinitionen.
Über Sprache glauben wir recht viel zu wissen, doch ist unser Wissen über Sprache tatsächlich höchst lückenhaft und unvollkommen. Diese widersprüchliche Situation hängt ohne Zweifel damit zusammen, dass Sprache eine wesentliche Voraussetzung für das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen ist. Weil dies so ist, hat das Nachdenken über Sprache immer etwas zu tun mit dem Nachdenken über das Mensch-Sein.
Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war – in der Sprachwissenschaft – weithin von zwei teilweise konkurrierenden Perspektiven geprägt: 1. von der Suche nach im Menschen (in seiner Sprachfähigkeit) angelegten Eigenschaften, die den Erwerb beliebiger Sprachen steuern; 2. von dem Bestreben, die soziale Natur sprachlicher Kommunikation aufzuhellen. Beide Perspektiven haben zahlreiche Forschungsansätze hervorgebracht und die Erkenntnisse vermehrt. Nach manchen Veränderungen wirken sie auch im neuen Jahrhundert weiter.
Eine neue und in mancher Hinsicht revolutionär erscheinende Sicht auf Sprache und Kommunikation ist in den letzten Jahren von einer Denkrichtung formuliert worden, die sich als Memetik bezeichnet und mit Anleihen aus der Genetik die Kulturwissenschaft zu erneuern versucht.
Im Juni dieses Jahres wurde von der National Science Foundation und dem Wirtschaftsministerium der USA eine umfangreiche Zusammenstellung von Wissenschaftsprognosen vorgelegt. Sie sagt für die nächsten 10 – 20 Jahre eine wissenschaftliche Renaissance voraus, die durch das Zusammenwirken von Nanotechnologie, Biotechnologie, Informationstechnologie und kognitiver Wissenschaft möglich werden soll. Einen nicht unwichtigen Platz nehmen darin die Verbesserung der Kommunikation und die Nutzung der Möglichkeiten der Sprache ein. Zweifel an der Realisierbarkeit des Programms sind allerdings ebenso angebracht wie an der Wünschbarkeit einiger „Verbesserungen“.

 

21. November 2002

Herwig Brunner:
Chancen und Grenzen von Grenzflächen

Klasse Naturwissenschaften
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte; Lessing-Saal

Prof. Brunner (60) ist Biochemiker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2002. Nach Studium und Promotion sowie kurzzeitiger Assistenz an der TU Wien ging er in die pharmazeutische In-dustrie, wo er Erfahrungen sammeln konnte auf den Gebieten der pharmazeutischen und diagno-stisch relevanten Prozesse, der Verfahrensentwicklung sowie der Produktion Zuletzt leitete er die Bayerischen Werke Tutzing/Penzberg von Boehringer Mannheim/Corange (heute Roche).
Jetzt ist er Leiter des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik sowie or-dentlicher Professor und Direktor des Instituts für Grenzflächenverfahrenstechnik an der Universität Stuttgart.
Prof. Brunner wurde als Fellow des International Institute of Biotechnology, London, berufen. Zusätzlich ist er Mitglied in verschiedenen Aufsichts- und Beiräten von Firmen im Bereich der Biotechnologie und Biomedizin sowie Gutachter des BMBF. Außerdem steht er der Peter und Traudl Engelhorn-Stiftung vor, der ersten privaten Stiftung im deutschsprachigen Raum zur Nachwuchsförderung in der Biotechnologie und Gentechnik.

Im Synergiefeld von Materialwissenschaft und moderner Biotechnologie – Biochemie, Gentechnik, Zellbiologie – hat der Erkenntnisgewinn in den vergangenen Jahren derart zugenommen, dass vielfach die Wechselwirkungen zwischen löslichen und zellgebundenen Liganden und Rezeptoren bzw. den darunter liegenden Support-Materialien objektiviert werden können.
Der am Institut für Grenzflächenverfahrenstechnik der Universität Stuttgart begonnene Weg zielt darauf ab, zelluläre Funktionen mit den beteiligten Wechselwirkungspartnern in vitro zu simulieren und anschließend in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik einer Anwendung zuzuführen. Dies wird an einigen Beispielen demonstriert.
Ein wesentliches modernes Werkzeug im breiten Feld von Proteomics bilden die analytischen Werkzeuge auf Basis von DNA- bzw. Protein-gebundenen Array-Strukturen. In Kombination mit massenspektrometrischen Methoden und insbesondere mit der sogenannten MALDI-TOF-MS stehen uns Werkzeuge zur Verfügung, die eine klare Analyse der beteiligten Partner ermöglichen.
Unter mittelfristigen Gesichtspunkten muss darauf hingewirkt werden, dass insbesondere im Hinblick auf industrielle Verfügbarkeit synthetische Strukturen erforscht und entwickelt werden, welche nicht mit der Instabilität biologischer Moleküle behaftet sind. Unter dieser Vision werden Arbeiten zur Synthese von Rezeptorstrukturen auf polymerer Basis vorgestellt, welche biologi-sche Funktionen ausüben.

 

Dieter Wittich
Kuhn und der Marxismus

Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte; Hoecker-Saal

Prof. Wittich (72) ist Philosoph und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1996. Er war – an der Universität Leipzig – Inhaber des einzigen Lehrstuhls für Erkenntnistheorie in der DDR, von 1974 bis 1990 Dekan der Fakultät für Philosophie und Geisteswissenschaft. 1995 wurde er in den Ru-hestand entlassen. 1979 wählte ihn die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu ihrem Mitglied. Er hat ca. 150 wissenschaftliche Publikationen vorgelegt, darunter solche in den USA, in England, in Österreich und Kolumbien.

In diesen Tagen sind vierzig Jahre verflossen seit dem ersten Erscheinen von Kuhns berühmter Schrift “The Structure of Scientific Revolutions”, die inzwischen weltweit eine Auflage von über 1 Million Exemplaren erreicht hat. Der Vortrag soll an dieses Ereignis unter einem speziellen Gesichtspunkt erinnern:
Nachdem Kuhns Arbeit sehr oft auch von marxistischen Positionen aus gewertet worden ist, fragt der Vortragende danach, ob Kuhns berühmtes Buch auch für den Marxismus etwas zu sagen hat. Kuhn hat sich selten direkt zum Marxismus geäußert, aber er hat Analogien zur Sprache gebracht, die die marxistische Theorie direkt berühren. Das gilt insbesondere für seinen Vergleich zwischen politischen und gesellschaftlichen Revolutionen einerseits und wissenschaftlichen Revolutionen andererseits. Was an Kuhns Vergleich neu und ob er umfassend genug ist, ob sich aus seinem Konzept also noch weitere Analogien anbieten, will der Vortrag zur Diskussion stellen.

 

19. Dezember 2002

Peter Bankwitz
Erdbebengebiete in Mitteleuropa in plattentektonischer Sicht

Klasse Naturwissenschaften
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte; Lessing-Saal

Prof. Bankwitz (71) ist Geologe und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1997. Nach dem Stu-dium an der Humboldt-Universität Berlin war er 26 Jahre lang Mitarbeiter an einschlägigen In-stituten der Akademie der Wissenschaften der DDR sowie von 1992 – 1996 am GeoForschungsZentrum Potsdam. Er kann auf ca. 500 wissenschaftliche Veröffentlichungen, ca. 300 wissenschaftliche Berichte und rd. 700 Vorträge verweisen.

Im Egerbecken wurden – im Rahmen eines DFG-Projekts – in den vergangenen 2 Jahren bisher nicht bekannte Störungszonen mit sog. Mantelentgasung gefunden. Die Vorgänge in Nordwest-Böhmen (Erdbeben, Mantelentgasung, Mineralquellen) sind Ausdruck einer jungen Aktivität der Erdkruste, die in ganz Mitteleuropa an verschiedenen Stellen auftritt, bevorzugt an in Nord-Süd-Richtung streichenden Zonen. Auch die bekannten Schwarmbeben im Vogtland und im Egerbecken lassen sich mit solchen N-S-Zonen in Verbindung bringen. Entlang einer dieser N-S-Störungen von ca. 35 km Länge sind 83% aller Hypozentren des Erdbebengebiets Vogt-land/NW-Böhmen konzentriert (Tiefe: 7-12 km). Diese Zone ist Teil der mitteleuropäischen Zone Regensburg-Leipzig-Rostock.
Die Vorgänge in NW-Böhmen sind Teil seismischer Aktivitäten in einem Streifen vom franzö-sischen Zentralmassiv über den Oberrheingraben, die Schwäbische Alb bis weit in das Böhmische Massiv (über 1000 km Länge), in welchem Krustenspannungen entlang von N-S-verlaufenden Zonen seismisch abgebaut werden. Im südlich angrenzenden Gebietsstreifen (Molasse, Alpenvorland) wird dagegen die gegenwärtige Krustendeformation weitgehend ausgeglichen und in den Alpen selbst durch Hebung kompensiert. Als Ursache für diese Vorgänge darf man die noch immer stattfindende plattentektonische Kollision von Afrika mit Europa ansehen.

 

Walter Schmidt
Moritz Elsner und die Schlesische 1848er Demokratie

Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte; Hoecker-Saal

Prof. Schmidt (72) ist Historiker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1993. Er leitete 1964-1984 einen Lehrstuhl an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED und 1984-1990 das Zentralinstitut für Geschichte an der Akademie der Wissenschaften der DDR, de-ren Ordentliches Mitglied er seit 1985 war. Mehrere Bücher und Sammelwerke zur Geschichte des 19. Jh. – insbesondere zur Revolutionsgeschichte – hat er verfasst bzw. herausgegeben. Er gehört dem Beirat der Internationalen Marx-Engels-Stiftung Amsterdam an und arbeitet mit am Biogra¬phischen Lexikon der Deutschen Burschenschaft (Bd. I/1-5, 1996-2002).

Der Vortrag befasst sich mit einem in der bisherigen historischen Literatur vernachlässigten Thema: Weist die Erforschung der 1848er Demokratie – trotz mancher Fortschritte in den letzten Jahren – generell immer noch beträchtliche Defizite auf, so gilt das im besonderen Maß für Schlesien wie für regional vergleichende Typisierung überhaupt.
Moritz Elsners (1809-1894) Biographie wurde deshalb gewählt, weil sich in seiner politischen Tätigkeit in der deutschen achtundvierziger Revolution spezifische Züge der schlesischen 48er Demokratie gleichsam bündeln: Er griff auf die Traditionen der preußischen Reformzeit und der Befreiungskriege zurück; war durch die frühe Burschenschaftsbewegung und die nachfolgenden Verfolgungen politisch geprägt; verfocht radikaldemokratisch die Interessen und Bestrebungen einer aufmüpfigen, revolutionsbereiten bäuerlichen und landproletarischen Bevölkerung in dieser preußischen Provinz; bemühte sich um eine Lösung der “sozialen Frage” proletarischer Schichten und legte einen revolutionär-demokratisch determinierten, aber die Stimmungen und die Bewusstseinslage der Massen sorgsam berücksichtigenden Realismus bei der Bestimmung der politischen Ziele (demokratische Monarchie anstelle von Republik) an den Tag.