Nekrolog auf unser Mitglied Prof. Dr. Siegfried Wollgast

Die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V. trauert um ihr Mitglied,  den

 Philosophiehistoriker Prof. Dr. phil. habil. Siegfried Wollgast,

der am 26. Juni 2017 im Alter von 83 Jahren verstorben ist.

 

Seine Kindheit verbrachte Siegfried Wollgast in Stieglitz (heute Siedlisko in der Wojewodschaft Großpolen), im ehemaligen Netzekreis. Von 1940 bis 1945 besuchte er dort die Grundschule und dann in Schönlanke, der Kreisstadt, des ehemaligen Netzekreises, die Oberschule. Nach der Vertreibung 1945 setzte er den Schulbesuch zunächst in Döbbersen (Kreis Hagenow)  und dann in Jena fort. Schon in den ersten Schuljahrendurch zeichnete er sich durch Wißbegier, viel Fleiß und Beharrlichkeit aus. Das betraf auch die Sprachausbildung im  C-Zweig der Oberschule in Jena 1948 – 1952), wo noch – neben modernen Sprachen – Altgriechisch und Latein unterrichtet wurde. Diese Sprachkenntnisse waren eine wichtige Voraussetzung für sein Philosophie- und Geschichtsstudium an der Universität Jena und der Humboldt-Universität zu Berlin (1952 – 1957).  Er arbeitete dann als  Assistent an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften in Potsdam-Babelsberg (1957 bis 1960) und von 1961 bis 1964 als Lektor und Leiter des Lektorats Philosophie beim Verlag der Wissenschaften in Berlin. 1964 promovierte er an der Humboldt-Universität zum Thema „Eine Entwicklungslinie in der deutschen Frühaufklärung (Verbindungen häretischer Bewegungen in Mittel- und Westeuropa zur Nowgoroder-Moskauer Häresie)“. Die Beschäftigung mit der Frühaufklärung wurde von nun an zur Lebensaufgabe und er zum national wie international  anerkannten Spezialisten auf diesem Gebiet. 1968 folgten die Habilitation und der Wechsel an die Technische Universität in Dresden, wo er zunächst als Wissenschaftlicher Oberassistent, ab 1973 als Hochschuldozent und ab 1976 bis zu seiner Abberufung im Jahr 1992 als Ordentlicher Professor für Geschichte der Philosophie tätig war. 1978 wählte ihn die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig zu ihrem Ordentlichen Mitglied und seit 1995 gehört er der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin an.

In den viereinhalb Dezennien der „Dresdener Zeit“ hat sich Siegfried Wollgast immer mehr als Riese „an Denkkraft, Leidenschaft und Charakter, an Vielseitigkeit und Gelehrsamkeit“ erwiesen. Unermüdlicher hat er sich für seine Fachdisziplin, die Philosophiegeschichte, eingesetzt und großartige wissenschaftliche Leistungen vollbracht, die hier nicht im Detail vorgestellt werden können. Jedoch: Die Breite seines Wirkens ist beeindruckend. Er publizierte zum Pantheismus des 16. Jh.s und zum Wirken von Johannes Kepler. Er edierte allein oder mit Kollegen Arbeiten von Sebastian Franck, Paracelsus, Hermann von Helmholtz, Emil du Bois-Reymond, Valentin Weigel, Agrippa von Nettesheim, Erasmus von Rotterdam, Gabriel Wagner u.a. Herzuheben ist – gerade in den letzten Jahren – Beschäftigung mit Karl Christian Friedrich Krause und dem Krausismus. Die Vielfalt des wissenschaftlichen Interesses von Siegfried Wollgast, das nicht auf eine Epoche beschränkt blieb, spiegelt sich in seinem umfangreichen Schriftenverzeichnis wider.
Es verzeichnet u.a. 42 Bücher und Broschüren und über 300 Aufsätze in Büchern und Zeitschriften, die vielen Rezensionen nicht mitgezählt. Hauptwerk bleibt aber die mehr als 1.000 Druckseiten umfassende „Philosophie in Deutschland zwischen Reformation und Aufklärung 1550 – 1650“, 1988 und in 2. Auflage 1993 erschienen. Zu dieser beachtlichen Leistungsbilanz sind allein in den letzten fünf Jahren weitere drei Bücher und 40 Artikel hinzugekommen. Zu ihr gehören neben der Philosophie und ihrer Geschichte zwei Bereiche im wissenschaftlichen Schaffen Wollgasts, die vielleicht „randständig“ sein mögen, aber doch von hoher Relevanz sind: Technikphilosophie und die Toleranzforschung.

Prof. Dr. Siegfried Wollgast war ein Wissenschaftler, der akribisch aus einem enzyklopädischen Wissensfundus schöpfte und der Oberflächlichkeit haßte, ein Forscher, dessen Anregungen im Provokativem gipfeln konnten, ein kritischer Kollege voller Hilfsbereitschaft, ein Mensch, warmherzig, mit Esprit und Charme, gerade und ohne Falschheit, mitunter auch etwas grantig und mürrisch. Nicht wenigen in der Sozietät war er ein guter Freund. Schade, dass er seinen für den Herbst vorgesehenen Vortrag über Martin Luther nicht mehr halten wird.

Wir werden uns seiner stets mit Hochachtung und Dankbarkeit erinnern.

Armin Jähne, MLS
Gerhard Banse, MLS