Nachruf für Guri Ivanovich Marchuk

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Die Russische Akademie der Wissenschaften informierte darüber, dass

Guri Ivanovich Marchuk

am 24. März 2013 in Moskau verstorben ist.

Am 24. März verstarb in Moskau Guri Ivanovich Marchuk, der letzte Präsident der Akademie der Wissenschaften der UdSSR und seit 1977 Auswärtiges Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR für das Fachgebiet Angewandte Mathematik.

G. I. Marchuk wurde am 5. Juni 1925 in der Siedlung Petro-Khersonets in der Region Orenburg geboren und schloss nach seiner Teilnahme am Großen Vaterländischen Krieg und dem Studium an der mathematisch-mechanischen Fakultät der Leningrader Universität im Jahre 1952 eine Aspirantur am Geophysikalischen Institut der sowjetischen Akademie der Wissenschaften in Moskau unter der Leitung von I. A. Kibel ab. Ein gemeinsam mit N. I. Buleyev entwickeltes, aber erst im Jahre 1956 zur Veröffentlichung freigegebenes quasigeostrophisches baroklines Prognosemodell gestattete die Vorausberechnung von Geopotential- und Temperaturänderung sowie der Vertikalbewegung in der Atmosphäre mittels Einflussfunktionen der thermischen und der Wirbeladvektion, war auch auf EDV-Anlagen geringer Leistung effizient realisierbar und wurde in der UdSSR von 1952 bis 1965 operativ für die Wettervorhersage genutzt. Auf Grund seiner Anschaulichkeit hat es sich auch in der Meteorologieausbildung der DDR für den Brückenschlag zwischen theoretischer und synoptischer Meteorologie bewährt.

Marchuk selbst wechselte 1952 in das Gebiet der Kernenergieforschung und –anwendung, leitete die mathematische Abteilung eines Instituts in Obninsk und übernahm im Jahre 1962 die Leitung des Rechenzentrums der Sibirischen Abteilung der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften in Novosibirsk. Nach zwei Monographien (1959, 1962) über die Berechnung von Kernreaktoren hat Marchuk 1967 in einer weiteren Monographie über numerische Methoden in der Wettervorhersage sein Prognosemodell ausführlich beschrieben und das Splitting-Verfahren begründet, das eine Aufspaltung komplizierter Gleichungen in eine Folge einfacherer Beziehungen ermöglicht, die Stabilität numerischer Lösungen auch für größere Zeitschritte gewährleistet und nach Expertenaussagen die spätere Entwicklung semiimpliziter und impliziter Methoden in der Wettervorhersage befördert hat.

1974 kehrte er mit einer Monographie über die numerische Lösung von Aufgaben der Dynamik der Atmosphäre und des Ozeans noch einmal zu den Anfängen seines wissenschaftlichen Wirkens zurück, wandte die Methode der adjungierten Gleichungen auf meteorologische Probleme und die Analyse komplexer Systeme (1992) an und behandelte mit Koautoren u. a. inverse Probleme der Satellitenmeteorologie sowie iterative Algorithmen der Datenassimilation. Als Ehrenmitglied der Meteorologischen Gesellschaft der DDR seit dem Jahre 1991 und anschließend der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft dokumentierte er in einem Vortragsband anlässlich des 50. Jahrestages der ersten numerischen Wettervorhersage im Jahre 2000 zusammenfassend die wichtigsten russischen/sowjetischen Beiträge zu dieser Entwicklung und zur Modellierung der allgemeinen Zirkulation von Ozean und Atmosphäre.

Weitere Monographien über Methoden der numerischen Mathematik (1989) und über mathematische Modelle in der Immunologie (1991) zeugen von der Breite des wissenschaftlichen Schöpfertums Guri Marchuks, der 1962 zum Korrespondierenden und 1968 zum Ordentlichen Mitglied der Sowjetischen Akademie der Wissenschaft gewählt worden war, der er von 1986 bis 1991 als deren letzter Präsident vorstand. Anschließend gehörte er, Mitglied auch von 11 ausländischen Akademien, dem Präsidium der Russischen Akademie der Wissenschaften als Ehrenmitglied an.

Als Wissenschaftsorganisator war er u. a. von 1980 bis 1986 Vorsitzender des Staatlichen Komitees für Wissenschaft und Technik sowie Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR. Der Träger hoher staatlicher Auszeichnungen der UdSSR wie der Russischen Föderation und Autor von mehr als 350 wissenschaftlichen Veröffentlichungen war auch als Professor und Lehrstuhlleiter an den Universitäten Moskau und Novosibirsk sowie am Moskauer Physikalisch-Technischen Institut auf den Lehrgebieten der numerischen Mathematik und der Modellierung physikalischer Prozesse tätig. Viele junge Wissenschaftler, die er zeitlebens in großer Zahl gefördert hat, werden sein Erbe bewahren und mehren.

Karl-Heinz Bernhardt, Jochen Kluge