Nachruf für unser Mitglied Walter Jens

Wir trauern um unseren Kollegen, das langjährige Mitglied unserer Gelehrtengesellschaft


Prof. Dr.
Walter Jens
*08.03. 1923 † 09. 06. 2013
Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1998

 

Walter JensDer Tod kam nicht unerwartet, als er einen der wort- und wirkungsmächtigsten deutschen Geisteswissenschaftler von einem langen und tragischen Leiden erlöste. Nachdem Walter Jens den Besuch des Hamburger Johanneums mit dem Abitur abgeschlossen hatte, studierte er Germanistik und Klassische Philologie. Zunächst Assistent an den Universitäten in Hamburg und Tübingen, wurde er 1959 Dozent für Klassische Philologie in der Neckarstadt. Dort erhielt er 1965 den in der damaligen Bundesrepublik Deutschland einzigen Lehrstuhl für Rhetorik. Promoviert hatte er 1944 über Sophokles. 1949 folgte die Habilitation über Tacitus. Die antike Kultur und insbesondere Literatur waren eines der wissenschaftlichen Felder, das Walter Jens immer wieder beackerte, wobei ihm die Antike nicht als etwas nur Vergangenes erschien, sondern ihre Gegenwärtigkeit bzw. Modernität sein zielgerichtetes Interesse weckten. Cäsars Ermordung war ihm sogar ein Fernsehspiel wert.

Den über die Antike weit hinausblickenden Literaturwissenschaftler schlug – und das ist gewiss kein Zufall – eine andere Persönlichkeit und Geistesgröße ebenso in ihren Bann: Gottlob Ephraim Lessing. Dieser, einem deutschen Cicero gleich, war ihm Ratgeber, Ideenspender und wohl auch stiller Rhetoriklehrer. Der Vortrag „Lessings ‚Nathan’ in der Pespektive von Auschwitz“ (1982) war für Walter Jens, der gleichsam im Auftrag des großen Kamenzers handelte, ein Gebot der Stunde in der kritischen Auseinandersetzung mit Deutschlands Vergangenheit und blauäugiger Gegenwart.

Walter Jens kann zu Recht als Gelehrter, Schriftsteller, aufklärerischer Publizist und Friedenskämpfer, Übersetzer, Essayist, nicht zuletzt jedoch als begnadeter Redner bezeichnet werden. Als solcher füllte, ja überfüllte er Hörsäle, sprach er auf Kundgebungen, mischte er sich ein – als verantwortungsbewusster Bürger, auch in die Politik. So erhob er seine Stimme gegen die Bombardierung Jugoslawiens, gegen den Kriegstreiber George W. Busch und warnte er vor einer „völligen Ökonomisierung“, sprich Privatisierung der Gesellschaft. Er wollte nicht als Sozialist bezeichnet werden, doch unverkennbar ist, dass er ein Demokrat war, dessen Herz spürbar links schlug.

Walter Jens gehörte seit 1950 zur „Gruppe 47“, zu jenem Kreis von Literaten, die entscheidenden Einfluss auf die Neuformierung der deutschen Literatur in der BRD und nicht nur dort nahmen. Von 1976 bis 1982 war er Präsident des PEN-Zentrums in der BRD, dann dessen Ehrenpräsisdent, und von 1989 bis 1997 Präsident der Künste zu Berlin. Mit Heiner Müller bewältigte er die Zusammenführung der beiden Berliner Akademien der Künste. 1998 wurde Walter Jens in die Leibniz-Sozietät zugewählt. Wir werden das Bild dieses streitbaren Mannes in dankbarer und verpflichtender Erinnerung behalten.

(Armin Jähne)