Jahrestagung 2018 der Leibniz-Sozietät

 

Jahrestagung der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften 2018 

MARXISMUS UND THEOLOGIE 

 Kurzbericht

Eröffnung der Jahrestagung durch den Präsidenten

Abb. 1: Prof. Dr. Gerhard Banse, Präsident der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V.

Am 14. Juni 2018 fand im Einstein-Saal der Archenhold-Sternwarte in Berlin-Treptow als Beitrag im Jahr des 200. Geburtstages von Karl Marx die gut besuchte Jahrestagung 2018 mit ausgewiesenen TheologInnen und MarxistInnen statt, auf der das Thema „Marxismus und Theologie“ unter großer Anteilnahme der TeilnehmerInnen engagiert und lebhaft diskutiert wurde.

Abb. 2: Prof. Dr. Heidemarie Salevsky

Nach einer Begrüßung durch Gerhard Banse (siehe Eröffnungsrede), Präsident der Leibniz-Sozietät und einer Einführung der Translatologin Heidemarie Salevsky (Berlin) zur Entstehungsgeschichte der Konferenz debattierten Jan Rehmann (New York/Berlin), Mitherausgeber der Zeitschrift Das Argument, und der katholische Theologe Kuno Füssel (Andernach) über das Verhältnis von marxistischer Religionskritik und befreiungstheologischer Bibellek

Abb. 3: PD. Dr. Jan Rehmann

türe. Rehmann argumentierte, dass Marx‘ berühmte Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie sich im Grunde nicht gegen „die Religion“, sondern die bürgerlich-junghegelianischen Religionskritiker wandte, die er davon zu überzeugen versuchte, ihre Fixierung auf die Religion aufzugeben und stattdessen die diesseitigen Entfremdungen des „Jammertals“ zu kritisieren. In diesem Sinne handelte es sich nicht um eine Religionskritik, sondern um eine „Metakritik“ der Religion (W. F. Haug). Eine Weiterentwicklung marxistischer Religionskritik müsse sich auf die analytische Aufgabe konzentrieren, die sozialen Antagonismen und Kämpfe im religiösen Feld zu entziffern und sich politisch mit den progressiven Kräften zu verbünden.

 

 

Abb. 4: Dr. Kuno Füssel

 

Kuno Füssel stellte die grundlegenden Methoden der von ihm wesentlich mitgeprägten „materialistischen Bibellektüre“ vor, die erstmals systematisch in Fernando Belos Lecture matérialiste de l’Évangile de Marc (1974) entwickelt wurde. Im Gegensatz zu einer idealistisch-ideenfixierten Hermeneutik wird hier die literarische Produktion der biblischen Schriften als Teil der Gesellschaftsformation verstanden, in der die Texte produziert und rezipiert werden. Die Texte sind als Gewebe („Textur“) oder Webmuster zu untersuchen, deren Bedeutungsfäden (Codes) in „Handlungscodes“ und „kulturelle Codes“ unterschieden werden können. Eine materialistische Bibellektüre muss auch die menschlichen Körper mit einbeziehen und die gesellschaftlichen Symbolordnungen hinsichtlich ihrer triebökonomischen Grundlagen untersuchen.

Abb. 5: Diskussion zu Teil I: Rehmann, Füssel

In der lebhaften Diskussion wies u.a. Waltraud Seidel-Höppner (Berlin) darauf hin, dass man endlich die Bedeutung Wilhelm Weitlings als eines konzeptionellen Vorläufers heutiger Befreiungstheologien ernst nehmen und studieren müsse.

 

 

 

Abb. 6: Klaus Fuchs-Kittowski

Im zweiten Themenblock „Religiöser Sozialismus und Paulusexegese“ untersuchte der Informatiker und Wissenschaftsphilosoph Klaus Fuchs-Kittowski (Berlin) die Theologie seines Großvaters Emil Fuchs (1874-1971) „im Schnittfeld von Marxismusrezeption, gelebtem Antifaschismus und Existenz als religiöser Sozialist in der DDR“. Den Weg zu Marx fand Fuchs v.a. über den Theologen Schleiermacher. Früh schon erkannte er die Gefahr des aufsteigenden Faschismus, und nach dessen Machteinsetzung 1933 war er auf vielfache Weise im Widerstand involviert, nicht zuletzt durch eine effektive Fluchthilfe für politisch Verfolgte und Juden mithilfe eines Autoverleihgeschäfts. In der DDR intervenierte er an einigen entscheidenden Punkten bei der Partei- und Staatsführung, z.B. für den Fortbestand der Theologischen Fakultäten und für die Einführung der „Bausoldaten“ als Wehrersatzdienst. Ebenso konsequent und mutig protestierte er gegen die Zwangsemeritierung Ernst Blochs. Es gehört zur Tragödie der deutschen Spaltung, dass dieser führende religiöse Sozialist vom Bund der Religiösen Sozialisten in der BRD ausgeschlossen wurde.

Abb. 7: Prof. Dr. Brigitte Kahl

 

Brigitte Kahl, eine aus Deutschland nach New York ausgewanderte Neutestamentlerin, untersuchte Emil Fuchs‘ Exegese des Galaterbriefs und Römerbriefs des Paulus vor dem Hintergrund des aktuellen Forschungsstands imperiumskritischer Bibellektüre in den USA und kam zu dem Ergebnis,

Abb. 8: Diskussion zu Teil II – Hörz, Fuchs.-K., Kahl

dass Fuchs unter den Bedingungen des antifaschistischen Widerstands tatsächlich einen Paradigmenwechsel vollzogen hat, der die entscheidenden Positionen der gegenwärtigen Pauluswende bereits vorwegnahm. Dabei bot ihm der Kernkonflikt des Galaterbriefs um das solidarische Verhältnis von Juden und Nichtjuden eine Folie für die Kritik am faschistischen Antisemitismus.

Abb 9.: Prof. Dr. Ulrich Duchrow

 

Im dritten Themenblock zu „Reformation, Befreiungstheologie und Menschenrechte“ verglich der systematische Theologe Ulrich Duchrow (Heidelberg) die Kapitalismuskritik Martin Luthers mit der von Karl Marx. Ausgehend von seiner Kritik der Käuflichkeit des Heils entwickelte Luther in mehrere Schriften eine grundlegende Kritik am Kaufmanns- und Wucherkapital seiner Zeit. Freilich wurde er infolge seiner Anpassung an die Fürstenherrschaft, seines Antisemitismus, seiner Türkenfeindschaft und seiner Gegnerschaft zu den aufständischen Bauern zu einem „tragischen Helden“ (wie auf andere Weise auch sein reformatorischer Kontrahent Thomas Müntzer). Duchrow spannte einen großen geschichtlichen Rahmen, dem zufolge sich die Herrschaft des Geldes und die damit zusammenhängenden Ideologien des „Mammonismus“ bereits seit der „Achsenzeit“ (K. Jaspers) im 8. Jahrhundert v. Chr. herausbildeten. Insofern könnten die großen Weltreligionen, z.B. Judentum, Konfuzianisnus, Buddhismus, Christentum und später auch der Islam, als religiöse Gegenbewegungen gegen diesen verhängnisvollen monetär-imperialen Paradigmenwechsel verstanden werden. Obwohl Marx seine Kritik der Politischen Ökonomie spezifisch auf den Industriekapitalismus des 19. Jahrhunderts bezog, könne diese als analytische Fortsetzung früherer Kritiken verstanden werden.

Abb. 10: Prof. Dr. Gerhard Oberkofler

Der Historiker Gerhard Oberkofler (Wien) ging der Frage nach, ob die befreiungstheologischen Hoffnungen von Papst Franziskus Anlass zur Hoffnung geben können. Tatsächlich versuche der gegenwärtige Papst, die Geschichte der Befreiungstheologie seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) aufzunehmen und die katholische Kirche als Gemeinschaft des Widerstands gegen einen ausbeuterischen neoliberalen Kapitalismus und seine Naturzerstörung zu re-konstituieren. Freilich sei noch nicht entschieden, ob dieser Aufbruch nachhaltig oder nur eine kurze Episode sei, die bald wieder in überkommene Bahnen zurückgeführt wird.

Abb. 11: Prof. Dr. Helga Hörz

Über die Bedeutung der Menschenrechte für die Lösung der Menschheitsprobleme sprach abschließend die Ethikerin Helga Hörz (Berlin), die u.a. von 1975 bis 1990 in der UNO-Kommission zum „Status der Frau“ verantwortlich tätig war. Den Vortrag hatte sie gemeinsam mit ihrem Mann, dem Wissenschaftsphilosophen Herbert Hörz (Berlin) vorbereitet. Wie die Geschichte der Menschenrechtsdiskussionen zeigt, war der Begriff selbst permanent umstritten. Während die westlich-kapitalistischen Länder eine individualistisch verkürzte Auffassung der Menschenrechte propagierten und die Länder des sozialistischen Lagers auf kollektive Menschenrechte wie Recht auf Arbeit, Wohnung und Bildung bestanden, gelang es in der 1948 von der UNO Generalversammlung ver

Abb. 12: Diskussion zu Teil III: Duchrow, Hörz, Oberkofler

abschiedeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, beide Stränge in einem Kompromiss zusammenzuführen. Freilich sind vor allem die kollektiven Menschenrechte bis heute nicht durchgesetzt. Das Verständnis der Menschenrechte muss immer wieder neu aktualisiert werden und richtet sich heute vornehmlich auf die Erhaltung der Menschheit als Gattung und ihrer natürlichen Existenzbedingungen, die friedliche Lösung von Konflikten, Toleranz gegenüber anderen Wertegemeinschaften und Erhöhung der Lebensqualität aller Glieder der menschlichen Gesellschaft. Dies könnte eine anthropologisch fundierte Grundlage für HumanistInnen unterschiedlicher Weltanschauungen werden.

Die engagierten Diskussionen zeigten, dass das gewählte Thema überaus aktuell ist und auf reges Interesse stößt – auch wenn aus Zeitgründen viele Fragen nicht ausreichend ausgelotet werden konnten. Es ist geplant, die Beiträge der Jahrestagung in einem Band der „Abhandlungen der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften“ zu publizieren.


alle Fotos: D. Linke 

 

 

Flyer mit Einladung und Programm

Abstracts und CVs