Arbeitskreis “Gesellschaftsanalyse und Klassen”: Jahresrückblick 2014

Das Jahr 2014 stand für den Arbeitskreis Gesellschaftsanalyse und Klassen ganz unter dem Schwerpunkt vertiefender Auseinandersetzungen mit Problemen gesellschaftlicher Transformation und der Vorbereitung einer diesbezüglichen zusammenfassenden Publikation im Rahmen der Abhandlungen der Leibniz-Sozietät.

Insofern war die Aktivität des Arbeitskreises zum einen resümierend angelegt – immerhin sollten Schwerpunktdebatten aus den vergangenen drei Jahren des Arbeitskreises, die bisher eher in einzelne Aktivitäten und gesonderte Publikationen eingegangen sind, erfasst werden. Zum anderen sollten die bisherigen Aktivitäten unter einem Fokus auf ein zeitgemäßes wissenschaftliches Verständnis von Transformation – als eine Transformation des 21. Jahrhunderts – konzentriert werden. Am 9. Oktober referierte Michael Thomas zu Thema und Diskussion des Arbeitskreises in der Klasse für Sozial- und Geisteswissenschaften. Bereits im März hatte sich der Arbeitskreis mit einem besonders umstrittenen Thema des Gesamtkomplexes, der Wachstumsfrage, befasst. Gast war Prof. Ulrich Brand/Universität Wien, der sich mit Auseinandersetzungen um die aktuelle Wachstumsdebatte insbesondere mit Bezugnahme auf die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages befasste.

Für die konkrete Vorbereitung des Buchprojektes war eine systematische Aufarbeitung und Debatte zu den einzelnen Themenkomplexen erforderlich. Neben den erforderlichen separaten Diskussionen und Abstimmungen fanden zu diesem Zweck drei komplexe Workshops des Arbeitskreises statt – im April, im Juli und im Oktober 2014. Dabei ist es mit den Workshops gelungen, den Arbeitskreis noch weiter über die Sozietät hinaus zu öffnen und für die Diskussion wie auch für die Publikation eine ganze Reihe von Mitstreiterinnen/Mitstreitern bzw. Autorinnen/Autoren zu gewinnen, die aus anderen institutionellen und Arbeits-Kontexten kommen. Letzten Endes finden sich in der Publikation 22 Autorinnen und Autoren, von denen 6 Mitglieder der Sozietät sind. Wir sehen das als Zeichen einer erfreulichen Ausstrahlung und Breitenwirkung, die sich sowohl für den Arbeitskreis generell wie speziell für die Publikation als wissenschaftliche Bereicherung zeigt.

Die drei Workshops 2014 orientierten sich an den Schwerpunkten der Publikation, auf einige übergreifende Fragestellungen war bereits im Oktober 2013 mit einem Auftaktworkshop eingegangen worden. Einige Schwerpunkte aus den Workshops seien erwähnt.

Auf dem Workshop am 16. April wurden mit drei systematischen Vorträgen und anschließenden intensiven Debatten spezifische Zugänge zur Transformationsproblematik diskutiert. Mit diesen wurden einführende Überlegungen vom Oktober 2013 aufgegriffen und fortgesetzt. Einmal stellte Raj Kollmorgen (MLS) den typologischen Kern einer eher adaptiv, imitativ angelegten Transformation heraus. Für diese stehe insbesondere die postsozialistische Transformation nach 1989. Damit war zugleich ein wichtiger Kontrast gesetzt zu zwei anderen Beiträgen, die eher Charakteristika einer zeitgemäßen Transformation herausstellen und einen typologischen Kontrast deutlich machen wollten: Für Michael Thomas (MLS) ging es bei der Frage nach Einstiegen in Transformation um einen paradigmatischen Ansatz, der Selbstveränderung und Autogenese stark machen kann; für Rainer Land (Thünen-Institut) stand die Betonung einer dezidiert evolutorischen Perspektive im Mittelpunkt. Ganz wie die übergreifende Orientierung auf Gesellschaftstransformation aus dem Oktober-Workshop 2013 dienten auch die hier referierten Positionen als zentrale Orientierungen für die Publikation.

Auf dem Workshop am 17. Juli wurde einmal ein eher kritischer Akzent in die Transformationsdebatte eingebracht: Für Ulrich Busch (MLS) gehen einige der Aussagen hinsichtlich sich abzeichnender, auszumachender Transformationen im Sinn von Pfadänderungen zu weit, diesen stellte er die Realität der Transformation hin zum Finanzmarktkapitalismus gegenüber. Aus dieser Zuspitzung ergaben sich einige Kontroversen. Dabei zeigte sich, dass kritische Bestandsaufnahmen und Problematisierungen der Transformationsdebatte durchaus als ein berechtigter Schwerpunkt in die Publikation gehören. Ein anderer wesentlicher Schwerpunkt, nämlich die konkrete Untersuchung von sozialen Veränderungen (ob als Ergebnis oder als Voraussetzung von Transformation), wurde im zweiten Teil im Juli-Workshop behandelt. Einmal referierte Stefan Meißner (Universität Potsdam) zu Milieuveränderungen, mit denen der ostdeutsche Transformationsprozess gewisse Differenzierungen erfahren hat. Dann stellten Anna Schwarz und Johanna Voll (Universität Frankfurt/Oder) Entwicklungen in der Berliner Kultur- und Kreativwirtschaft dar. Diese öffnen den Blick für die soziale Ambivalenz anstehender Umbruchprozesse. Einen sehr umfassenden Überblick zu solchen sozialen Umbrüchen konnte auf der Grundlage von aktuellen Datensätzen Rainer Ferchland (Chorin/BISS e.V.) geben.

Auf dem Workshop am 16. Oktober wurden noch einmal das gesamte Themenspektrum und die Konzeption des Buches zur Diskussion gestellt. Dazu passend präsentierte Martin Endreß (MLS/Trier) einen eigenständigen und neuartigen Einstieg, mit dem er das (eher in anderen Disziplinen „beheimatete“) Konzept der Resilienz für die Soziologie aufarbeiten und in den Transformationsdiskurs einbringen wollte: Während Erhalt, Widerständigkeit von Strukturen häufig im Mittelpunkt des Konzeptes stehen, lässt sich eben zeigen, dass gerade Strukturveränderung Voraussetzung für Strukturerhalt sein kann – also Transformation. Damit ist nochmals ein attraktiver Zugang zur Forschungsperspektive „Transformation des 21. Jahrhunderts“ begründet: Wie lässt sich Veränderung fassen, die offen ist, sich nicht auf Imitation reduziert? Der Beitrag von Judith Dellheim (Rosa-Luxemburg-Stiftung) auf dem Workshop suchte die Antwort an einem konkreten Fall: Welches transformatorische Potenzial zeigt sich mit der Arbeit des Berliner Energietisches?

Die Publikation (zwei Bände) ist Anfang Januar an den Verlag gegangen. Mit ihrem Erscheinen soll sie ein Schwerpunkt weiterer Debatten im Arbeitskreis sein. Andere Themen und ein weiteres Projekt befinden sich in der Diskussion. Insofern sollte es auch 2015 zu lebendigen Auseinandersetzungen im Arbeitskreis (und darüber hinaus) kommen. Zu überlegen wäre, wie ein produktiver Austausch wichtiger Ergebnisse in der Sozietät organisiert werden kann.

Michael Thomas