Arbeitskreis „Gesellschaftsanalyse“, Berichte

Berichte zum Arbeitskreis „Gesellschaftsanalyse“ – Workshop September und Nachtrag Juni

Am 22. September 2017 hat der Arbeitskreis „Gesellschaftsanalyse“ an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin einen Workshop zu „Transformation – Digitalisierung – Arbeit“ durchgeführt. Der Workshop war ursprünglich vorgesehen für eine Präsentation und Diskussion der neuen Buchpublikation des Arbeitskreises (Digitalisierung und Transformation. Industrie 4.0 und digitalisierte Gesellschaft. 2017, Abhandlungen der Leibniz-Sozietät, Bd. 49, hrsg. von Gerhard Banse, Ulrich Busch und Michael Thomas), mit der ein interdisziplinär breites und anregendes Diskussionsmaterial zur kontrovers behandelten Digitalisierungsproblematik vorliegt.

Der für den Arbeitskreis ungewöhnliche Ort, nämlich die Hochschule für Wirtschaft und Technik, wie auch die ungewöhnliche Zeit von 9:45 Uhr bis 14:00 Uhr sind Anregungen in einer Beirats-Sitzung der Leibniz-Sozietät zu verdanken, wo sich die Option für einen gemeinsamen Workshop mit dem Arbeitskreis „Emergente Systeme“ ergab. Dieser hatte nämlich genau zu dem Termin ein thematisch ähnlich gelagertes Kolloquium an diesem Ort geplant. Nichts lag näher, als hier nach Synergien und also einer gemeinsamen Veranstaltung zu suchen. In der Folgezeit zeigten sich jedoch in Inhalt und Herangehen Unterschiede, die letztlich zu der sinnvollen Entscheidung führten, beide Workshops unter einem gemeinsamen Dach als separate und zeitlich gestaffelte Veranstaltungen durchzuführen. Einige unserer Arbeitskreismitglieder nutzten die Chance, am Vortag auch die Veranstaltung „Rationale und irrationale Diskurse im Zeitalter der Digitalisierung“ zu besuchen. Für Kooperation und die gute logistische Unterstützung unseres Workshops am 22. September ist Prof. Frank Fuchs-Kittowski von der HTW ausdrücklich zu danken.

Zwar bedeuteten Ort und Zeit für einige der Mitglieder unseres Arbeitskreises eine Schwierigkeit, die dennoch anwesenden zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops wurden ausgleichend mit sehr interessanten Beiträgen und durch eine aktive Diskussion „entschädigt“. So ließ sich einerseits noch einmal auf die genannte Publikation zurück kommen, andererseits wurden weitergehende und neue Fragestellungen in einem thematisch konzentrierten Feld von „Digitalisierung und Transformation“, nämlich dem sich abzeichnender neuer Arbeitswelten und Veränderungen in der Struktur der Arbeitskräfte,  behandelt.

Zunächst ging Dr. Michael Thomas (MLS) auf die Dimensionen der Fragestellung und die stringente Verschränkung von Digitalisierung und Transformation ein, wie sie sowohl die Publikation charakterisierte und gleichfalls den im Workshop praktizierten thematischen Zugang. Es gehe darum, so die Einsteuerung, dass die „Arbeits-, Organisations- und Gesellschaftsstrukturen zugleich (und stärker als bisher) technische Form angenommen haben“, und ebenso gehe es auch darum, dass „kulturell-alltägliche Infrastrukturen“ sich neu „formatieren“. Dies verändert erheblich Handlungskontexte und Akteurkonstellationen jeglicher Transformation. Dafür wurden verschiedene Beispiele angeführt. Wie stellen sich diese Konstellationen nunmehr dar, welche Ambivalenzen zeigen sich, welche neuen, möglichen Ausgestaltungs- und Aushandlungsräume? Welche neuen Eingrenzungen sind aber vielleicht ebenso gegeben?

Max Reinhardt (Springe/Hochschule Hannover) ging diesen Problemen insbesondere auf der makrostrukturellen Ebene des sozialen Raums und in historisch längerfristigen Betrachtungen von Verlaufsformen nach. Eine solche Längerfristigkeit der Betrachtung (1991 bis 2011) ist erhellend, stellt sie doch Differenzierungen und „Wellenbewegungen“ in den Strukturen heraus, welche fortwirken. Herausgestellt wurden so auch für die aktuellen Prozesse zum Teil eher graduell unterschiedliche Veränderungen in den Erwerbsklassen, die sich im Muster eines „polarisierten upgradings“ zusammenfassen lassen, etwa einer Polarisierung von staatlichen und unternehmerischen Managementberufen und soziokulturellen Berufen. Interessant für mögliche Gestaltungsperspektiven sind insbesondere sich differenziert vollziehende Habitusveränderungen oder auch zu typisierende Wertewelten. Ergebnisse erscheinen demnächst in einer separaten Studie des Autors.

Mit diesen subjektiven und kulturellen Faktoren wird zugleich die Brücke geschlagen zu einem zweiten Beitrag, dem von Dr. Ingo Matuschek (Universität Duisburg-Essen). Matuschek, der in der Publikation vor allem einen systematischen Überblick über „Arbeit 4.0“ gegeben hatte, ging nunmehr eher in die Binnenwelt von Digitalisierung geprägter moderner Arbeit, auf Veränderungen von Arbeitsinhalten wie von Dispositionen der Beschäftigten. Mit Untersuchungen und auf der Basis von Fallbeispielen zeigte der Referent Möglichkeiten und Grenzen betrieblicher Regulierung auf als umkämpfte, machtpolitisch unterschiedlich verteilte Prozesse. Besonders kompliziert werde die Position der Betriebsräte (Verteidigung von Arbeitsplätzen, erforderliche Modernisierung). In ihren Dispositionen zeigen die Beschäftigten ein Anknüpfen an bisherige Rationalisierungserfahrungen, letztlich überwiegen die Skepsis bezüglich allgemeiner Entwicklungen und die Hoffnung auf die Sicherung der eigenen Beschäftigung.

Schon daraus drückt sich eine herausfordernde Ambivalenz bezüglich transformatorischer Strategien aus. Einen Schritt weiter (oder tiefer) in die Ambivalenzen moderner Arbeitswelten gingen Prof. Anna Schwarz und Dr. Daniel Schönefeld (Universität Frankfurt/Oder), die ergänzend zu ihrer Präsentation in der genannten Publikation sowie auf der Basis neuer Erhebungen sehr differenziert in Interpretationen wie subjektive Theorien von Crowdworkern, von Platformarbeiter_innen einstiegen. Diese konnten sie auf der Basis von Deutungsmusteranalysen rekonstruieren. Den Ausgangspunkt bildete ein verbreitetes Muster „Crowdworker sind arm, aber autonom“. In der Rekonstruktion der Muster auf Basis durchgeführter qualitativer Interviews zeigten sich allerdings Grenzen solcher Autonomiegewinne. Denn einerseits könne man zwar „autonom“ Aufgaben ablehnen, andererseits bildeten verfügbare Angebote der Plattformen die Voraussetzung und müsste man um diese Angebote konkurrieren. Das sind klare Eingrenzungen.

Auch dies war ein eher offener Forschungsbefund, der aber bereits – wie auch die skizzierten weiteren aus den zwei anderen Beiträgen – deutlich auf Konsequenzen der Digitalisierungsprozesse hinweist. Alle Beiträge fanden sichtbar Resonanz und regten eine Diskussion an, die selbst in dem kleinen Kreis zeitlich kaum zu bändigen war. Insofern ist zu überlegen, wie das so weiter beackerte Arbeitsfeld im Blick gehalten werden kann. Die schon einmal vorgetragene Idee, hier ein so breites Feld für die Sozietät insgesamt zu haben, ist nochmals zu unterstreichen. Materialien des Workshops stehen zunächst einmal Interessierten zur Verfügung.

Nachzutragen ist noch die Information zu einem am 23. Juni 2017, also unmittelbar vor der Sommerpause, durchgeführten Workshop des Arbeitskreises „Transformation und postfaktische Geldkritik“. Auch für diesen spezifischen Workshop, für welchen Dr. Ulrich Busch eine ausführliche Textgrundlage zur Verfügung gestellt hatte (Aspekte der Geldkritik von Aristoteles bis heute. Helle Panke e.V., Philosophische Gespräche 45) und in den er zudem einführte, war die thematische Klammer zur Transformationsthematik gesetzt: Bei der Frage nach den treibenden Basisinstitutionen kapitalistischer Entwicklung und den Erfordernissen wie auch Chancen für einen anderen Entwicklungsmodus spielen Aspekte wie Geld oder/und Kredit eine herausragende Rolle. Hier die scheinbar zügellos-treibende Rolle des Geldes, dort die angestrebte Abschaffung einer solchen Geldwirtschaft.

Ulrich Busch versuchte eine systematische Differenzierung zwischen möglichen sachlichen Aspekten einer berechtigten Kritik auf der einen Seite, und vereinseitigten Positionen einer reduzierten Geldkritik, die er insofern als „postfaktische“ bezeichnete und welche letztlich in einem „antimonetären Affekt“ enden würde, auf der anderen Seite. Um diese Tendenz möglichst zu vermeiden, seien ein Verständnis von Geld und den Möglichkeiten wie Grenzen von Geldkritik eben zugleich Voraussetzung jeder ernst zu nehmenden Transformationsdebatte. Gerade aus Sicht dieser Debatte sei die häufig aufzuzeigende Vermengung von Geldkritik mit Moderne- oder Kapitalismus-Kritik zu vermeiden.

Diesen Prämissen wie vielen der theoretischen Bestimmungen zu Geld, Kredit oder Finanzwirtschaft konnten die Anwesenden weitgehend zustimmen. Dennoch entzündete sich im Anschluss an die thematische Einführung eine zum Teil sehr heftige Diskussion, die (nicht nur) auf  disziplinär unterschiedliche Zugänge zur Thematik zurückzuführen war, sondern auch grundlegende  Differenzen aufzeigte. Trotz ausführlicher und detaillierter Interpretation war vor allem die als deutlich überzogen wahrgenommene Subsummierung von wissenschaftlichen, politischen und auch öffentlichen Positionen unter das Label „postfaktischer Geldkritik“ inhaltlicher Kritikpunkt. Der ließ sich dann auch nicht mehr vermitteln. So bleibt eine differenzierte Diskussion durchaus noch zu führen, gerade auch mit Blick auf die weitere Transformationsdebatte.

Für näher Informationen: thomas@biss-online.de

(Michael Thomas, Leiter Arbeitskreis)