Arbeitskreis „Gesellschaftsanalyse“: Bericht zum Workshop „Reallabore als Orte urbaner Transformation und transformativer Wissenschaft“ am 17. November 2017

Der Tatsache „geschuldet“, dass der Referent eine studentische Forschungsgruppe seiner Universität Kassel zu Anreise und Teilnahme motivieren konnte, lag die Teilnehmerzahl am Workshop diesmal deutlich über 30 und war zudem der Altersdurchschnitt erheblich gesunken. Freilich – ein einmaliger Ausreißer. Die Studenten engagieren sich in einem praktischen Forschungsprojekt zu einem Reallabor in einer südbrandenburgischen Stadt, welches von Harald Kegler und Michael Thomas wissenschaftlich begleitet wird. Wegen nicht unerheblicher Umsetzungsprobleme vor Ort und einiger offener Fragen konnte zu diesem konkreten Fallbeispiel allerdings kaum ein Austausch erfolgen. Im Frühsommer, als die thematischen Absprachen zum Workshop erfolgten, waren die Erwartungen diesbezüglich hoch. Nunmehr hat sich eine fragile „Startphase“ erheblich verlängert.

Vielleicht zeigt sich darin schon etwas Generelles solcher Reallabore, denen für eine Gestaltung städtischer Entwicklungsprozesse große Bedeutung zugesprochen wird: In einem offenen Dialog von Wissenschaft und Bürgerschaft sollen sich umfassende Lernprozesse ergeben und soll sich ein besonderes „transformatives Wissen“ erzielen lassen. Dafür werden Förderungen bereit gestellt, und dafür dient beispielsweise ein solcher Bundes-Wettbewerb wie „Zukunftsstadt“, in welchem diese südbrandenburgische Stadt gut platziert ist. Ob aber ein solcher Wettbewerb Rahmenbedingungen bieten kann für so grundsätzliche Änderungen, und ob dafür Voraussetzungen vor Ort gegeben bzw. zu schaffen sind – also eine transformative Dynamik sich überhaupt entfalten kann – ist durchaus fraglich. Und auch Prof. Harald Kegler, der sein eigenes Forschungslabor an der Universität Kassel betreibt,  konnte/wollte in seinem instruktiven Vortrag über internationale Zusammenhänge und vielfache Aktivitäten diese Frage nicht beantworten. Oder er blieb eben, auch wegen der eingangs skizzierten Situation, im Vorfeld praktischer Reallabore und letztlich bei einer etwas überraschenden Skepsis hinsichtlich zu erwartender konzeptioneller Klarheit und praktischer Erträge dieser neuartigen sozialen Experimentierformen. So zeigt sich eine breite und durchaus attraktive Diskurslandschaft, deren praktischer Status sich aber kaum erschließt.

Angesichts vielfacher Erwartungen aus dem Arbeitskreis hinsichtlich möglicher, schlüssiger Ansätze praktischer Transformation war insofern eine erste größere Diskussionsrunde eher mit einer deutlichen und sich noch verstärkenden Skepsis hinsichtlich solcher Reallabore verbunden: Können diese sich wirklich im kommunalen Interessengeflecht durchsetzen? Vor allem aber entzündete sich eine zweite Runde dann am bekanntlich heftig umstrittenen Resilienz-Konzept. Harald Kegler begründete in seinen Ausführungen die besondere Relevanz dieses Konzeptes hinsichtlich des erforderlichen und möglichen „Umgangs mit Störungen“, also den Herausforderungen von Städten, mit vielfältigen kritischen Ereignissen umzugehen. Gefragt sind Robustheit, Widerstandsfähigkeit. Und in der Konsequenz wären dann Transformationen vor allem die Prozesse, die zu Resilienz, zu Robustheit bzw. Widerstandsfähigkeit führen könnten. Damit aber, so ein übergreifender Einwand aus der Diskussion, würden Transformationen auf Anpassung reduziert (der Resilienz-Begriff würde den der Nachhaltigkeit unterlaufen) und würden kritische Perspektiven (Transformation als grundlegende Pfadänderung) und entsprechend kritische Fragen nach Interessen, Konflikten etc. fallen gelassen.

Im Grunde verblieb die Diskussion in so betont unterschiedlichen Interpretationen bzw. Herangehensweisen. Einiges davon wurde in der Debatte noch deutlicher. Das muss nicht von Nachteil sein. Festzuhalten ist ein sehr breiter internationaler Diskurs zu dieser Thematik, der von Harald Kegler aufgezeigt wurde. Hier wurde die Karriere des Konzeptes deutlich, die bei aller Widersprüchlichkeit überwiegend der vom Referenten dargelegten Perspektive folgt. Das ist für das Transformationskonzept durchaus ähnlich. Insofern sollten in weiteren Auseinandersetzungen eine mögliche Deutungsvielfalt oder auch Ambivalenz sichtbarer gemacht werden, ohne in reiner Gegensätzlichkeit zu verbleiben. Es ist nicht ausgemacht, dass kritische Transformation nicht auch in bestimmten Kontexten nach Prozessen von Resilienz suchen sollte und ebenso sollte sie nicht die mögliche Dynamik von Reallaboren unterschätzen. Denn es geht auch darum, ob und wie Gesellschaften, Städte die Fähigkeit zur Transformation erlangen oder ausprägen. Dafür kann eine hinreichende (gerade soziale) Robustheit durchaus wichtig sein. Es ist auch eine Frage wissenschaftlicher Praxis in solchen sozialen Kontexten, ob und inwieweit sich damit Lern- und Veränderungsprozesse verbinden.

Michael Thomas

Für weitere Informationen: thomas@biss-online.de