Wissenschaftliche Sitzungen der Klassen der Leibniz-Sozietät im Jahre 2008

Nachfolgend werden die im Jahr 208 stattgefundenen wissenschaftlichen Sitzungen der beiden Klassen der Leibniz-Sozietät zusammen mit den Kurzreferaten und Angaben zu den C.V. der Vortragenden aufgelistet.
Die Namen der Autoren sind mit dem Autorenverzeichnis verlinkt, weiterhin sind Links zu den Publikationen der Leibniz-Sozietät angegeben, falls die Vorträge bereits publiziert wurden.

 

10. Januar 2008

Karl Lanius
Erforschung des Mikrokosmos – eine Zäsur

Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 39; 25.04.08

Klaus Steinitz (Berlin)
Erfahrungen des gescheiterten Realsozialismus, Schlussfolgerungen für einen demokratischen Sozialismus im 21. Jahrhundert

Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften,
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Publikation

Prof. Steinitz (75) ist Ökonom. Er wurde 1989 zum Korrespondierenden Mitglied der 1700 von Leibniz in Berlin begründeten Gelehrtengesellschaft gewählt, der heutigen Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V. Von 1980 bis 1990 war er im Zentralinstitut für Wirtschaftswissenschaften der AdW der DDR tätig. Ab 1990 war er als Mitglied des Parteivorstands der PDS und ihres Präsidiums verantwortlich für Wirtschaftspolitik und hat die AG Wirtschaftspolitik der PDS von 1990 bis 2004 geleitet. Seit 1996 im Ruhestand, arbeitet er ehrenamtlich als Vorsitzender des Vereins “Helle Panke” zur Förderung von Politik, Bildung und Kultur e.V. (Landesorganisation Berlin der Rosa-Luxemburg-Stiftung).

In dem Vortrag wird davon ausgegangen, dass eine offene, kritische Analyse der widersprüchlichen Entwicklung des Realsozialismus, insbesondere die Auswertung ihrer differenzierten Erfahrungen auf den verschiedenen Gebieten unverzichtbar für eine konstruktive Debatte um sozialistische Neuansätze im 21. Jahrhundert ist. Ohne eine gründliche Auswertung der Erfahrungen des gescheiterten Realsozialismus in Europa, der widersprüchlichen Entwicklungsprozesse im heutigen China und ganz anderer Art in Kuba, würde auf eine entscheidende Erkenntnisquelle für sozialistische Visionen und neue Überlegungen zu sozialistischen Perspektiven im 21. Jahrhundert verzichtet werden. Es sollen Erfahrungen unterschiedlicher Qualität analysiert werden, die grob nach drei Gruppen strukturiert werden können, zu bewahrende und weiterzuentwickelnde Ergebnisse, grundlegende Defizite und Fehlentwicklungen, in sich widersprüchliche Ergebnisse und Entwicklungsprozesse.
Ausgehend von einer differenzierten Analyse des Realsozialismus sollen Schlussfolgerungen u.a. für die Art der Herausbildung und Entwicklung eines Sozialismus im 21. Jahrhundert, seine innere Struktur und Verfasstheit, seine Offenheit für unterschiedliche Bedingungen und neue Erkenntnisse sowie für die Entstehung einer neuen Qualität der internationalen Beziehungen begründet werden, die zugleich seine grundlegenden Unterschiede zum gescheiterten Realsozialismus des vergangenen Jahrhunderts kennzeichnen.

 

14. Februar 2008

Martin Bülow (Dierhagen):
Neue Anwendungen von Festkörperadsorbentien zur Trennung und Reinigung fluider Gemische

Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 39; 25.04.08

Prof. Bülow (68) ist Physikochemiker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1996. Er studierte Chemie als Hauptfach an der Lomonossow-Universität Moskau. Anschließend arbeitete er als Forschungschemiker in den Leuna-Werken sowie am Zentralinstitut für Physikalische Chemie der Akademie der Wissenschaften der DDR. Er erwarb Doktorgrade an der Humboldt-Universität Berlin und der Universität Leipzig und wurde 1984 Professor für Physikalische Chemie. Von 1992 bis 2005 war er als Schuftan Fellow am Technical Center der BOC Group in Murray Hill, NJ, USA, tätig. Seine Fachgebiete sind die Grundlagen von Adsorption und Molekülbeweglichkeit in porösen Festkörpern und die Entwicklung relevanter Materialien sowie deren Nutzung in Prozessen von Reinigung und Trennung fluider Gemische sowie Gas-Speicherung. Prof. Bülow hat etwa 300 wissenschaftliche Arbeiten in internationalen Fachzeitschriften veröffentlicht, er ist Autor von mehr als 30 US-Patenten und Miterfinder eines halben Dutzends industriell genutzter Verfahren. Seit vielen Jahren ist er in einer Reihe internationaler Gremien tätig.

Es werden im wesentlichen nanoporöse Adsorbentien behandelt, wobei der Schwerpunkt auf den seit längerem bekannten mikroporösen Materialien der Zeolithe liegt. Nach einer kurzen Exkursion in ihre Geschichte werden die für Trennprozesse grundlegenden sorptions-thermodynamischen und -kinetischen Prinzipien und Parameter besprochen sowie spezifische Verhaltensweisen der Adsorbentien, die für Stofftrennungen und -reinigungen verantwortlich sind, charakterisiert. Es werden Basis-Eigenschaften der Materialien behandelt, und es wird gezeigt, wie auf dieser Grundlage Stofftrennungen möglich werden.
Praktisch realisierte Problemstellungen aus der Stoffwirtschaft werden beschrieben, um die infrage kommenden Trenn- und Reinigungsprinzipien und deren Anwendungen zu illustrieren. Dabei werden sowohl Grundlagenforschungs- Ergebnisse als auch technologische Schemata gezeigt. Das erfolgreiche Zusammenwirken zwischen akademischer Forschung der Disziplinen physikalische Chemie und Materialwissenschaft einerseits und chemischer Verfahrenstechnik andererseits wird unterstrichen.
In einem Ausblick wird eine Übersicht über in naher Zukunft zu erwartende Anwendungen gegeben.

 

Armin Jähne
Mitläufer wider Willen oder Parteigänger Hitlers. Wilhelm Webers Berliner Jahre (1932 – 1945)

Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät 2008 Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 39; 25.04.08
Publikation

Prof. Jähne (67) ist Spezialist für Alte Geschichte und Osteuropäische Geschichte sowie Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2001. Nach Promotion (1970) und Habilitation (1980) wurde er 1988 zum Professor an der Humboldt-Universität Berlin berufen, wo er bis 1996 wirkte. Seitdem leistet er Projektarbeit. Seine Forschungsgebiete sind die Geschichte Griechenlands und des Hellenismus sowie die Wissenschaftsgeschichte, hier vor allem Arbeiten zu Person und Werk Heinrich Schliemanns.

Wilhelm Weber, geboren 1882 in Heidelberg, wurde 1932 in der Nachfolge des Althistorikers und Papyrologen Ulrich Wilcken (1862 – 1944) an die Berliner Universität berufen. 1945 erfolgte im Zuge der Entnazifizierung seine Entlassung. 1948 starb Weber. Seine Berliner Jahre, die – ausgenommen das Jahr 1933 – mit der Herrschaft des Nationalsozialismus in Deutschland zusammenfallen, lassen sich im angekündigten Vortrag von sechs Gesichtspunkten her eingehender betrachten:
1. unter dem Blickwinkel seiner rein wissenschaftlichen Arbeit in jenen Jahren;
2. weil damit eng verbunden, über die Analyse seiner Lehrveranstaltungen;
3. hinsichtlich seiner Einflussnahme auf Sachentscheidungen innerhalb der Berliner Wilhelms-Universität;
4. geht es um seine deutschlandweite Mitwirkung bei der Besetzung althistorischer Lehrstühle und seine Positionen, die er als ehren- bzw. nebenamtlicher Gutachter für das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung oder als parteiamtlicher Fachberater des „Amtes Wissenschaftsbeobachtung und -bewertung“ („Amt Rosenberg“) einnahm;
5. sind seine außeruniversitären publizistischen Aktivitäten zu beleuchten und
6. seine Kontakte zu Parteiinstanzen, zur SS und Wehrmacht sowie der Grad seiner Verstrickung in das nationalsozialistische Gesellschaftssystem zu untersuchen und zu beurteilen.
Der Vortrag ist zugleich ein Beitrag zur Erforschung der Geschichte der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität im Nationalsozialismus.

 

13.März 2008

Mathias Ulbricht
Neue Technologien für die Wasseraufbereitung: Wege zur nachhaltigen und globalen Sicherung einer essentiellen Ressource

Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 39; 25.04.08

Prof. Ulbricht (49), Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2007, ist Professor für Technische Chemie an der Universität Duisburg-Essen in Essen. Er hat an der Humboldt-Universität zu Berlin Chemie studiert und wurde dort 1987 promoviert. 1998 habilitierte er sich in Organischer Chemie, ebenfalls an der Humboldt-Universität. Seine wissenschaftlichen Arbeiten befassen sich mit verschiedenen Aspekten von Polymermaterialien. Ein Schwerpunkt ist die Entwicklung von neuen, effektiven Methoden und Verfahren für die Funktionalisierungen von Oberflächen mit definierten makromolekularen Strukturen. Er hat wichtige, international beachtete Beiträge zur Entwicklung neuer synthetischer Membranen mit hoher Trennleistung für unterschiedliche technische Anwendungen geleistet. Seine Publikationsliste umfasst mehr als 100 Veröffentlichungen in internationalen Zeitschriften, 7 Kapitel in Büchern oder Monographien sowie 24 Patente bzw. Patentanmeldungen.

Den Ausgangspunkt des Vortrags bildet eine Analyse der aktuellen Situation bei der Versorgung mit Wasser. Mehr als eine Milliarde Menschen leiden bereits heute unter akutem Mangel an sauberem Trinkwasser. Diese Situation wird sich in den nächsten Jahren noch dramatisch verschärfen, auch durch den weiter steigenden Wasserbedarf in Landwirtschaft und Industrie. Daraus ergibt sich die dringende Notwendigkeit, neue Wasserressourcen zu erschließen und vorhandene Ressourcen effektiver zu nutzen. Die Entsalzung von Meer- oder Brackwasser wird bereits extensiv betrieben, und eine intensivere Nutzung wird beispielsweise durch geschlossene Wasserkreisläufe in industriellen Prozessen angestrebt.
Der Vortragende wird demonstrieren, dass Membrantechnologien in nahezu idealer Weise geeignet sind, den verschiedenen technischen Herausforderungen bei der Wasserreinigung und Abwasserbehandlung gerecht zu werden. Die Prinzipien wichtiger Trennverfahren mit Membranen (Ultrafiltration, Umkehrosmose, Elektrodialyse, Membrandestillation) sowie die Struktur und Funktion aktuell verwendeter Materialien und Module werden vorgestellt. Es wird exemplarisch illustriert, warum inzwischen neue Anlagen für die Entsalzung von Meerwasser (mit Kapazitäten von mehr als 300.000 m3/Tag) anstatt der traditionellen Verdampfung (Destillation) nahezu ausschließlich die Umkehrosmose nutzen. Andererseits können mit Membranen auch kostengünstige und robuste, an die lokalen Gegebenheiten in weniger entwickelten Ländern angepasste, dezentrale und autarke Systeme zur Versorgung mit Trinkwasser etabliert werden. Abschließend werden Beispiele für die Entwicklung neuer Membranen und Membranverfahren vorgestellt, mit denen zukünftig noch wesentlich effektivere und nachhaltigere Prozesse realisiert werden können.

 

Herbert Meißner
Verhältnis von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen bei Marx und heute

Vortrag in der Klasse Sozial – und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 39; 25.04.08

Prof. Meißner (80) ist Wirtschaftswissenschaftler. Er wurde 1975 zum Korrespondierenden, 1981 zum Ordentlichen Mitglied der 1700 von Leibniz in Berlin begründeten Gelehrtengesellschaft gewählt, der heutigen Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V.
Nach dem Studium in Leipzig absolvierte er 1952 – 1956 eine Aspirantur an der Universität Leningrad und promovierte dort. An der Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst erhielt er eine Dozentur und habilitierte sich 1963. Zwei Jahre später wurde er als Professor an die Akademie der Wissenschaften der DDR berufen. 1979 erhielt er den Nationalpreis der DDR.
Sein Spezialgebiet ist die Geschichte der politischen Ökonomie. Er gab mehrere Gemeinschaftswerke und Lehrbücher heraus, veröffentlichte einige Bücher, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden sowie 228 Artikel in in- und ausländischen sowie internationalen Fachzeitschriften, veranstaltete internationale wissenschaftliche Konferenzen als Leiter internationaler Fachkommissionen.

In der Gesellschaftstheorie von Marx und Engels führt die Entwicklung der Produktivkräfte auf eine Stufe, auf der sie in Widerspruch zu den herrschenden Eigentumsverhältnissen geraten. Der Konflikt zwischen beiden löst revolutionäre Bewegungen zur Überwindung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse aus. Diese Gesellschaftsveränderung sei also nur und erst bei hochentwickelter Wissenschaft, Technik und Wirtschaft möglich.
Die im Vortrag vorgenommene Analyse der Lage in den hochentwickelten kapitalistischen Ländern zeigt: In diesen Ländern geht die Produktivkraftentwicklung nicht nur ungebremst weiter und es gibt keine Hemmung dessen durch die Eigentumsverhältnisse, sondern genau umgekehrt tragen Wissenschaft und Technik zur Festigung der kapitalistischen Verhältnisse bei. Die Produktivkräfte geraten nicht in Konflikt mit den Produktionsverhältnissen, sondern tragen entscheidend und auf vielerlei Weise zur Systemerhaltung bei.
Weshalb angesichts dieser Lage kein wirksamer Widerstand dagegen zustande kommt, wird detailliert dargestellt.
Im Gegensatz zu Marx und Engels hat die Geschichte inzwischen gezeigt, dass gerade in schwach entwickelten Ländern starke soziale Bewegungen und revolutionäre Situationen entstehen und zu antikapitalistischer Gesellschaftsveränderung führen. Es wird konkret dargelegt, wie und weshalb sich das vollzieht. Damit hat sich das von Marx und Engels konstatierte Verhältnis von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen ins Gegenteil verkehrt, und die Bedingungen für die weitere Gesellschaftsentwicklung haben sich grundlegend verändert. Diese historischen Veränderungen und die darin enthaltenen sozialökonomischen Möglichkeiten sind gesellschaftstheoretisch neu zu durchdenken.

 

10. April 2008

Hendrik Emons
Chemische Metrologie und internationale Maßsysteme – Quo vadis?

Vortrag in der Klassen Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 40; 25.07.08 

Prof. Emons ist Leiter der Referenzmaterial-Forschung der Europäischen Kommission, Institut für Referenzmaterialien und –messungen (IRMM, Geel, Belgien) des Gemeinsamen Forschungszentrums (JRC) der Europäischen Kommission.
Nach Chemiestudium und Promotion in Physikalischer Chemie an der Martin-Luther-Universität Halle sowie Habilitation in Analytischer Chemie an der Universität Leipzig war er Hochschuldozent in Leipzig, 1991/92 als Humboldt-Stipendiat an der Universität Cincinnati (USA) und leitete ab 1993 die Umweltprobenbank am Forschungszentrum Jülich. Seit 2003 ist er am IRMM für die Entwicklung und Zertifizierung einer breiten Palette an Referenzmaterialien verantwortlich. Diese werden weltweit als Standards für Messungen eingesetzt, um zuverlässig eine Vielzahl von physikalischen, chemischen und biologischen Parametern, von der Bruchfestigkeit von Stahl bis zu Proteinen in Humanserum, von Spurenelementen in Lebensmitteln bis zu Mikroorganismen in Wässern, von Nanopartikeln bis zu genetisch modifizierten Organismen, bestimmen zu können.
Seine Forschungsergebnisse auf den Gebieten Elektrochemie (von molekularen Grenzflächenstrukturen bis zu Biosensoren), Umweltforschung (vom Umweltmonitoring bis zu Umweltprobenbanken), Analytischer Chemie und Bioanalytik (von Methoden für die Umweltanalytik, klinische Diagnostik und Molekularbiologie bis zur Qualitätssicherung) stellte er u.a. in ca. 180 wissenschaftlichen Publikationen und mehr als 200 Konferenz- und eingeladenen Vorträgen vor.
Er ist apl. Professor an der Universität Duisburg-Essen und Mitglied zahlreicher internationaler Kommissionen und Beiräte, z.B. in der Internationalen Organisation für Standardisierung (ISO) und dem Internationalen Komitee für Maβe und Gewichte (CIPM), aber auch im Beirat der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM, Berlin).

Täglich werden viele Tausende von Messungen durchgeführt, sowohl um neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen, aber vorwiegend um Wirtschaftsprozesse und den Handel zu ermöglichen sowie Gesundheit und Umwelt zu überwachen. Die Messergebnisse dienen dabei oft als Grundlage weitreichender Entscheidungen und müssen zunehmend weltweit vergleichbar sein, z.B. um den Verbraucherschutz zu gewährleisten. Im Vortrag werden die modernen Grundlagen der Metrologie, d.h. der Wissenschaft für zuverlässige Messungen, und deren Anwendung in der chemischen Analytik erläutert. Am Beispiel der Quantifizierung gentechnisch modifizierter Anteile in Lebensmitteln werden aktuelle Entwicklungen von Referenzmaterialien für molekularbiologische Messungen zur Umsetzung europäischer Gesetze vorgestellt. Auβerdem wird über zukünftige Veränderungen von Bezugssystemen für Basismessgröβen wie das Kilogramm durch das Internationale Komitee für Maβe und Gewichte informiert.

 

Christa Luft
Ricardos Theorem der komparativen Vorteile – Wohlstandsgewinn für alle
durch Freihandel ?

Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 40; 25.07.08
Publikation

Frau Prof. Luft ist Außenwirtschaftsökonomin. Sie wurde 1987 zum Korrespondierenden Mitglied der 1700 von Leibniz in Berlin begründeten Gelehrtengesellschaft gewählt, der heutigen Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V.
Sie war langjährig an der Berliner Hochschule für Ökonomie (HfÖ), der größten wirtschaftswissenschaftlichen Lehr- und Forschungseinrichtung der DDR, tätig, zuletzt als Rektorin. Von 1978 bis 1981 arbeitete sie als Stellvertretende Direktorin des Internationalen Ökonomischen Forschungsinstituts beim Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe in Moskau. Im Wendeherbst 1989 wurde sie in die Regierung Modrow berufen und mit dem Amt einer Stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrates für den Bereich Wirtschaft betraut. Nach Abwicklung der HfÖ im Jahre 1991 war sie Dozentin an dem von ihr mitbegründeten Institut für Internationale Bildung e. V. Von 1994 bis 2002 gehörte Christa Luft als direkt gewählte Abgeordnete dem Deutschen Bundestag an und war haushaltspolitische Sprecherin der PDS-Fraktion. Seit Ende 2002 ist sie ehrenamtlich Vorsitzende des Kuratoriums der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie arbeitet als freischaffende Publizistin.

Der Vortrag widmet sich dem von David Ricardo 1817 entwickelten Theorem der komparativen Vorteile, das die Grundlage der Freihandelslehre bildet. Danach wird sich unter freien Austauschverhältnissen jedes Land auf die Produktion jener Güter und Dienstleistungen spezialisieren, in der es vergleichsweise über Wettbewerbsvorteile gegenüber ausländischen Konkurrenten verfügt. Die daraus resultierende Arbeitsteilung komme allen Beteiligten in Form einer allgemeinen Hebung des Volkswohlstandes zugute. Die Vortragende greift die Kritik auf, die nicht nur von in marxistischer Tradition stehenden Wissenschaftlern an dem Theorem eines Klassikers der bürgerlichen Politischen Ökonomie geübt wird und analysiert aktuelle Tendenzen der internationalen Arbeitsteilung, die auffällig damit kollidieren. Sie setzt sich mit Protagonisten der Freihandelslehre in den Industrieländern und in internationalen Organisationen auseinander und sieht als deren Motiv, ungehinderten Zugang zu den expandierenden Märkten Chinas, Indiens, südamerikanischer und anderer Schwellenländer zu erlangen. Der Vortrag nimmt auf Nobelpreisträger Paul Samuelson Bezug, der am Beispiel der USA aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive vor ungehemmtem Freihandel warnt. Diskutiert wird die Frage, ob eine exportzentrierte Wirtschaftspolitik und boomende Gewinne von Unternehmen aus dem internationalen Austausch sich auch sozial und ökologisch wohlstandssteigernd für die Gesellschaft als Ganzes auswirken und ob der statistisch ausgewiesene „Außenbeitrag“ zum Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts dafür ein brauchbarer Indikator ist.

 

8. Mai 2008

Werner Ebeling, Dieter Hoffmann
Max Planck und die Thermodynamik

Sitzung der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 40; 25.07.08
Publikation

Prof. Ebeling (71) ist Physiker. Er wurde 1977 zum Korrespondierenden, 1989 zum Ordentlichen Mitglied der 1700 von Leibniz in Berlin begründeten Gelehrtengesellschaft gewählt, der heutigen Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V.
Nach dem Studium in Rostock und Moskau wirkte er 20 Jahre lang an der Universität Rostock – erst als Mitarbeiter, dann als Dozent und schließlich als Professor für Theoretische Physik. Er arbeitete über statistische Physik, Plasmatheorie und Theorie der Selbstorganisation und erhielt 1978 den Nationalpreis der DDR. 1979 wurde er an die Humboldt-Universität nach Berlin berufen, wo er bis 2001 Theoretische Physik lehrte. Außerdem ist er Prof. h.c. der Universitäten Saratov und Moskau und weilte zu Gastprofessuren an den Universitäten Krakow und Madrid. Ihm wurden die Onsager-Medaille der Universität Trondheim und der spanische Humboldt-Mutis-Preis verliehen. Prof. Hoffmann (59) ist Wissenschaftshistoriker. Nach dem Physikstudium war er von 1975 bis 1991 Mitarbeiter der Abt. Wissenschaftsgeschichte am Institut für Theorie, Geschichte und Organisation der Wissenschaft der Akademie der Wissenschaften der DDR. In diese Zeit fallen auch Promotion (1976) und Habilitation (1989) auf dem Gebiet der Wissenschaftsgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. 1991 erhielt er ein Stipendium der Humboldt-Stiftung und wurde Mitarbeiter der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, 1992/95 des Forschungsschwerpunkts Wissenschaftsgeschichte in Berlin (1994/95 dessen Koordinator), ab 1996 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Lehrtätigkeit übt er aus als außerplanmäßiger Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Umfangreiche Nebentätigkeit leistet er als Vorsitzender des Fachverbandes Geschichte der Physik der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, als Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Georg-Agricola-Gesellschaft und im Fachbeirat der Robert-Havemann-Gesellschaft, als Sekretär der Commission on the History of Modern Physics der IUHPS/DHS, als Wissenschaftshistorischer Berater der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, als Mitglied im Editorial Board der Zeitschrift “Physics in Perspective” sowie als Mitglied der International Academy of the History of Science.
Zum Planck-Jubiläum 2008 wird von ihm bei C.H Beck eine Biographie erscheinen und bei Wiley-VCH eine kommentierte Edition der Planckschen Aufsätze in den Annalen der Physik.

Aus Anlass des 150. Jubiläums der Geburt des „Vaters der Quantentheorie“ werden die thermodynamischen Arbeiten von Max Planck gewürdigt. Bereits Plancks Dissertation und die Habilitationsschrift (München 1880) über thermodynamische Gleichgewichte bei verschiedenen Temperaturen war eine schöpferische Entwicklung des von Clausius und Thomson aufgestellten zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik. Noch als unbezahlter Privatdozent in München und nach seiner Berufung an die Kieler Universität 1885 arbeitete Planck seine Ergebnisse aus und publizierte sie in einer Serie von Arbeiten, die einen Durchbruch für die Thermodynamik darstellten. Er entwickelte eine Theorie der Sättigungserscheinungen, des Verdampfens, Schmelzens und Sublimierens, sowie eine allgemeine thermodynamische Theorie von Gasmischungen. Als weitere bedeutende Leistung ist die Entwicklung einer thermodynamischen Theorie der verdünnten Lösungen zu betrachten (1988). Mit einer weiteren Arbeit über die Theorie der Thermoelektrizität in Leitern (1888) wandte er sich irreversiblen elektrischen Prozessen zu. Diese Arbeiten begründeten Plancks Ruf 1889 an die Berliner Universität, wo er sich an Helmholtz’ Seite zu einem der führenden Theoretiker seines Landes entwickelte. Auf der Grundlage seiner thermodynamischen Arbeiten fand Planck 1900 seine berühmte Strahlungsformel.

 

Günter Benser
Umkämpfte Akten und Bücher. Was wurde aus den Archiven und Bibliotheken der Parteien und Organisationen der DDR?

Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 40; 25.07.08
Publikation

Prof. Benser (77) ist Historiker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2007. Er war der letzte Direktor des aus dem Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED hervorgegangenen Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung. Er arbeitet als Vorsitzender des Förderkreises „Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung e.V.“ sowie als stellvertretendes Mitglied des Kuratoriums der Stiftung „Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR“ im Bundesarchiv. Bei den Linzer Tagungen der International Conference of Labour and Social History ist er Ständiger Teilnehmer. Seine Spezialgebiete sind die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung sowie die Geschichte der DDR.

Als unmittelbar Beteiligter, zugleich aus Dokumenten und Berichten schöpfend, zeichnet der Referent die Auseinandersetzungen nach, die in den Jahren 1990 bis 1993 um den Umgang mit den ungedruckten und gedruckten Überlieferungen der Parteien und Organisationen der DDR geführt wurden. Behandelt werden die gegensätzlichen Interessenlagen und Initiativen, die Abwehr unsachgemäßer, rein politisch motivierter Optionen, das Projekt eines paritätischen Vereins von PDS und Friedrich-Ebert-Stiftung, die Aktivitäten des Förderkreises „Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung“, die Positionen des Bundesarchivs und die schließliche Lösung durch die Schaffung der Stiftung „Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR“ im Bundesarchiv. Die zu erörternden Vorgänge verkörpern ein Stück jüngster deutscher Wissenschaftsgeschichte und gestatten einen aufschlussreichen Einblick in politische Umstände und Fehden der Endzeit der DDR und in die Transformation ostdeutscher Strukturen.

 

12. Juni 2008

Jürgen Conrady
Kernkraftwerke als mögliche Leukämieursache und niedrige Radonexpositionen als Risikofaktor für Lungenkrebs

Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 40; 25.07.08 

Nach dem Studium der Molekularbiologie/Pflanzenphysiologie 1976 an der Humboldt- Universität zu Berlin begann Jürgen Conrady eine Tätigkeit als Strahlenbiologe in der Abteilung Strahlenschutzmedizin des ehemaligen Amtes für Atomsicherheit und Strahlenschutz (SAAS) der DDR. Schwerpunkt der Forschungstätigkeit waren die Entwicklung und Erprobung von Verfahren zur Diagnostik und Therapie somatischer Strahlenschäden sowie die Bewertung des stochastischen Strahlenrisikos der Bevölkerung infolge der natürlichen und zivilisatorischen Strahlenbelastung. Im Ergebnis dieser Tätigkeit erfolgte 1986 die Promotion A (Biophysik) und Aufnahme einer Tätigkeit im Sekretariat für Kontrolle des SAAS. In diese Zeit fallen Arbeiten zur Bewertung der umweltbedingten Radonexposition, Analyse der Strahlenwirkungen auf das Immunsystem, zur Anwendbarkeit multivariater statistischer Verfahren zur Diagnostik und Prognose des Verlaufs der akuten Strahlenkrankheit beim Menschen sowie Analyse und Bewältigung der Strahlenfolgen nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl.
Nach 1989 war der Autor als Arbeitsgruppenleiter „Kliniksystem der DDR“ im Institut für Strahlenschutzmedizin und nach Liquidation des SAAS ab 1991 im Zentrum für Epidemiologie und Gesundheitsforschung Berlin GmbH als Projektleiter tätig. Den Schritt in die Selbstständigkeit vollzog er 1994 mit Gründung des PreCura-Institutes für Präventive Medizin e.V. als geschäftsführender Vorstand und schloss ihn im Jahr 1999 als Geschäftsführer mit der Gründung der PlasmaPhotonics GmbH ab.
In dieser Zeit hat er mehrere durch die Europäische Union geförderte Studien zum Lungenkrebsrisiko durch die häusliche Radonexposition und u.a. auch die Rossendorf-Studie zu kindlichen Leukämien in der Umgebung von kerntechnischen Anlagen durchgeführt. Parallel dazu hat er die Grundlagen für eine neuartige Lichttherapie von autoimmun- und endzündlichen Hauterkrankungen entwickelt, die zur Erteilung mehrerer nationaler und internationaler Patente führten und heute die Grundlage für neuartige Therapien dieser Erkrankungen bilden.

Obwohl wiederholt in der Umgebung kerntechnischer Anlagen erhöhte Leukämie- und Lymphomrisiken nachgewiesen wurden und dazu eine Vielzahl epidemiologischer Studien existieren, sind die Ursachen dafür nicht bekannt. Daher halten die Spekulationen darüber an, ob radioaktive Emissionen aus diesen Anlagen bei Normalbetrieb oder kerntechnische Unfälle dafür verantwortlich seien. So wurden auch die in der Umgebung des ehemaligen Zentralinstitutes für Kernforschung Rossendorf (ZfK) gehäuft aufgetretenen Leukämiefälle bei Kindern mit dem Betrieb des dort befindlichen Forschungsreaktors in einen Zusammenhang gebracht.
In eigenen Untersuchungen wurde die zeitliche und räumliche Verteilung von Krebserkrankungen nach Geschlecht und Altersgruppen im Zeitraum von 1961-1990 in der Umgebung des ZfK und flächendeckend für Sachsen analysiert. Die Erkrankungssituation in der Umgebung des ZfK wurde mit Territorien verglichen, wo die Bevölkerung deutlich höheren natürlichen Strahlenbelastungen durch externe γ- und interne α- Strahlenbelastungen (Rn-222) ausgesetzt ist. Grundlage der Analyse bildeten die Daten des Krebsregisters der DDR. Neben der Strahlungskomponente wurde eine Vielzahl anderer Expositionsparameter, z.B. Umweltfaktoren , Deponiestandorte, sozioökonomische Faktoren, Pestizidanwendungen in der Landwirtschaft und Standorte der Tierproduktion in die Analyse einbezogen.
Das Ergebnis lautet: Das Leukämie- und Lymphomrisiko der Bevölkerung steht in keinem Zusammenhang mit radioaktiven Emissionen aus dem ZfK Rossendorf und der Höhe der natürlichen Strahlenbelastung. Eine auffällige Korrelation wurde allerdings zu Deponiestandorten und bestimmten Anlagen der Tierproduktion gefunden. Dieser Zusammenhang wurde auch in der Umgebung des Zfk Rossendorf nachgewiesen.
Im Gegensatz dazu wurde aber ein Zusammenhang zwischen der Radonexposition und dem Lungenkrebsrisiko der Bevölkerung aufgedeckt, der besonders deutlich bei Nichtraucherinnen in Erscheinung tritt. Die Ergebnisse weisen allerdings auf die Existenz eines Schwellenwertes hin. Sie unterscheiden sich damit deutlich von einigen – aber nicht allen – Studien aus Europa, den USA und China und deren Metaanalyse. Sie stehen allerdings nicht im Widerspruch zu neueren tierexperimentellen und molekularbiologischen Studien zum Mechanismus der Wirkung kleiner Strahlendosen.
Die Ergebnisse werden in diesem Kontext und mit Bezug zu methodischen Anforderungen an epidemiologische Studien diskutiert.

Hans-Otto Dill
Europa und die Dritte Welt. Von Herder bis Lévi-Strauss

Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 40; 25.07.08

Prof. Dill (72) ist Romanist – Spezialist für lateinamerikanische Sprachen und Literatur – sowie Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1995. 1982-1991 hatte er eine entsprechende Professur an der Humboldt-Universität inne, 1989-90 eine Gastprofessur an der Georg-August-Universität Göttingen und anschließend eine ebensolche an der Universität von Sao Paulo, Brasilien. Zu Gastvorlesungsreihen und Kurzdozenturen weilte er an Universitäten in Mexiko, Peru und Argentinien. Als emeritus nahm er von 2002 bis 2005 Lehraufträge an der Universität Hamburg wahr. Monographien: Wissenschaftliche Biographien der lateinamerikanischen Schriftsteller García Márquez und Alejo Márquez (beide 1993), Geschichte der lateinamerikanischen Literatur im Überblick (1999), Zwischen Humboldt und Carpentier. Essays zur kubanischen Literatur (2005), Dante criollo. Ensayos euro-latinoamericanos (Dante auf kreolisch. Euro-lateinamerikanische Essays, (2006) sowie ca. 200 Artikel; Herausgabe bzw. Mitherausgabe mehrerer Sammelbände zur französischen und lateinamerikanischen Literatur.

Angesichts der heutigen Europa-Euphorie und vor dem Hintergrund der akzelerierenden Globalisierung hinterfragt der Referent den europäischen Herrschaftsdiskurs betreffs der Beziehungen zwischen dem sogenannten christlichen Abendland, insonderheit Europas, und den restlichen Völkern der Welt in Antike, Spätmittelalter, Renaissance und Aufklärung, im kolonialistischen 19. und neokolonialistischen 20. Jahrhundert. Es werden die politische, juristische, moralische und literarische Rechtfertigung des klassischen Kolonialismus durch Vitoria, Suárez und Shakespeare sowie die philantropischen, rassistischen, ethnopolitischen und eurozentristischen Ideologien des 18. bis 20. Jahrhunderts von Defoes Robinson über Gobineau und Chamberlain bis zu Winston Churchill und Samuel P. Huntington in ihren historischen und ideologischen Dimensionen analysiert. Daneben kommt der sowohl von katholischen wie protestantischen Priestern und Laien artikulierte Gegendiskurs beginnend mit Las Casas über die teils extrem antikolonialistischen und europakritischen Schriften von Johann Gottfried Herder, Immanuel Kant und Alexander von Humboldt bis hin zu dem nikaraguanischen Poeten Ernesto Cardenal und den französischen Strukturalisten Lévi-Strauss und Todorov in den Blick.

 

11. September 2008

Gemeinsame Sitzung der Klassen und des Plenums der Leibniz-Sozietät:
Wie viel Geschichte braucht die Zukunft?

Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 40; 25.07.08

Prof. Dr. Karl Lanius:
Wieviel Geschichte braucht die Zukunft?

Publikation

Daran anschließend und am Nachmittag Diskussionen und weitere Kurzvorträge zum Thema:
„Wieviel Geschichte braucht der Mensch? Wer macht, was macht Geschichte?“

Referenten und Diskussionsredner:

Prof. Dr. Wolfgang Küttler:
Wieviel Zukunft braucht die Geschichte? Methodologische Rückfragen

Prof. Dr. Peter Betthausen:
Wieviel Kunstgeschichte braucht der Mensch? 

Prof. Dr. Peter Arlt:
Die Kunst-Verhältnisse, die sind nicht so. Schwierigkeiten mit der Kunst am Anfang der DDR und nach ihrem Ende 

Prof. Dr. Siegfried Wollgast:
Sinn- und Sachwissenschaft 

Prof. Dr. Gerhard Banse:
Wissenschaft und Humanismus 

Prof. Dr. Wolfgang Eichhorn:
Die Verschachtelung unterschiedlicher Formationsreihen 

Prof. Dr. Karl-Heinz Bernhardt:
Dialektik des Klimas 

Prof. Dr. Joachim Herrmann:
Geschichte – Naturgeschichte – Klimatischer Wandel. Regionale und interkontinentale Auswirkungen auf die frühe Menschheitsgeschichte

9. Oktober 2008

Dieter Falkenhagen
Die Sepsis – eine medizinische und ökonomische Herausforderung

Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 40; 25.07.08

Die Sepsis – im Volksmund auch Blutvergiftung genannt – ist die häufigste Todesursache in nicht kardiologischen Intensivstationen.
An Hand einiger statistischer Daten wird die sozio-ökonomische Bedeutung der Sepsis sehr deutlich. So erkranken in den OECD-Ländern mindestens 1,5 Mill. Menschen pro Jahr an einer schweren Sepsis. In Deutschland sind es 52 000 bis 75 000 pro Jahr – das entspricht 70 bis 110 Sepsisfällen pro 100 000 Einwohner. Diese Zahl scheint eher zu niedrig, da laut sehr genauer Untersuchungen in den USA die Häufigkeit der Sepsis von 82,7 pro 100 000 in den Jahren 1979 bis 1984 auf 240 pro 100 000 Einwohner in den Jahren 1995 bis 2000 angestiegen ist. Im Jahre 2002 hat eine im New England Journal of Medicine veröffentlichte Analyse in den USA insgesamt 900 000 Sepsisfälle ergeben, von denen 500 000 als schwere bzw. sehr schwere Fälle einzustufen waren. Das Problem ist, dass zwar die Mortalität in den vergangenen 20 bis 30 Jahren von ca. 28 auf 18 % gesenkt werden konnte, die schwere bzw. sehr schwere Sepsis aber noch mit einer Mortalität von 20 bzw. 25 % behaftet ist. Finanziell verursacht die Sepsis ernorme Kosten von ca. 30 000 bis 35 000 € pro Sepsispatient. In Deutschland bedeutet das Kosten in Höhe von ca. 2 Mrd. € pro Jahr.
Laut Definition ist die Sepis eine systemische inflammatorische Reaktion auf einen Infektionsherd, dessen pathogene Keime bzw. toxischen Produkte in den Blutstrom eindringen und eine Aktivierung biologischer Kaskadensysteme (Gerinnungssystem, Komplementsystem) bzw. von Zellsystemen mit konsekutiver Freisetzung humoraler und zellulärer Mediatoren auslösen.
Das Hauptproblem der Sepsis ist ihre Komplexität, die insbesondere in dem Wechsel von inflammatorischen und antiinflammatorischen Prozessen liegt. Alle bislang eingebrachten Therapiemaßnahmen haben daher keinen Durchbruch in der Bewältigung grundlegender Probleme erbracht.
In Krems wird gegenwärtig ein sehr komplexes Therapiesystem entwickelt, das auf der Grundlage eines hocheffizienten und vor allem spezifischen Blutreinigungssystems flexibel und individuell auf die komplexen Vorgänge der Sepsis reagieren kann. Je nach Phase der Sepsis können dank des Einsatzes von Mikroadsorberpartikeln (Durchmesser unter 5 µm) in Suspension kombiniert mit einem Membransystem inflammatorische bzw. antiinflammatorische Zytokine bzw. Mediatoren aus dem Blut entfernt werden. In aufwendigen „Target Finding“-Untersuchungen werden die Parameter analysiert, die mit der neu entwickelten MDS- (Microsphere Based Detoxification System)-Technologie entfernt werden sollen. Diskutiert werden die potentiellen Chancen dieses weltweit patentrechtlich geschützten Systems unter Einbeziehung verschiedener Sicherheitsaspekte für den Einsatz als intelligentes Blutreinigungssystem in der Klinik.

Uwe-Jens Heuer
Wird der „böse“ Staat absterben?

Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 40; 25.07.08

Prof. Heuer (81) ist Jurist und Rechtswissenschaftler. Er wurde 1979 zum Korrespondierenden Mitglied der 1700 von Leibniz in Berlin begründeten Gelehrtengesellschaft gewählt, der heutigen Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V.
Nach Promotion (1956) und Habilitation (1964) wurde er Professor an der Humboldt-Universität in Berlin. 1959/1960 hatte er praktische juristische Erfahrung am Staatlichen Vertragsgericht der DDR erworben. 1967 bis 1982 arbeitete er am Zentralinstitut für sozialistische Wirtschaftsführung beim ZK der SED als Jurist, dann wechselte er zur Akademie der Wissenschaften der DDR, Institut für Staats- und Rechtstheorie. Sein wissenschaftliches Hauptanliegen in der DDR war die Verteidigung der Spezifik des Rechts, der Kampf gegen den verbreiteten Rechtsnihilismus und die Auseinandersetzung mit autoritären und undemokratischen Vorstellungen. 1990 in die letzte Volkskammer der DDR gewählt, gehörte er bis 1998 dem Deutschen Bundestag an.

Das Verhältnis von Staat und Recht ist ein uraltes Thema, das immer wieder neu aufgeworfen und diskutiert wird. Prof. Heuer geht im Einklang mit Karl Marx von Thomas Hobbes aus, der die Grundlage der modernen Gewalttheorie legte. Hobbes lehrte, dass nur der Staat als Leviathan in der Lage sei, dem Kampf aller gegen alle ein Ende zu machen. Für das Recht gelte demnach, dass seine Grundlage nicht Wahrheit, sondern Macht ist. Marx und Engels nahmen an, dass mit dem Privateigentum auch der Staat verschwinde, absterbe. Die über 100 Jahre, die seitdem vergangen sind, in denen der Sozialismus begann und wieder unterging, aber die Gewalt immer fortbestand, reichen nach Auffassung von Prof. Heuer aus, um die Schlussfolgerung zu ziehen, dass der Staat nicht minder zählebig ist als die Gesetze des Marktes – jedenfalls solange es Knappheit gibt -, dass er in aller absehbaren Zukunft fortbestehen wird.
Diese Einsicht bedeutet nicht, dass es auf dem Gebiet der Politik, der staatlichen Gewalt, keinen Fortschritt gibt. Eine wichtige Rolle spielen dabei Prozesse der Demokratisierung und die rechtliche Eingrenzung der Gewalt. Dabei wechselten Perioden einer Stärkung der rechtlichen Einschränkung und der Entfesselung des Staates einander ab. Das war besonders eklatant im 20. Jh., als der deutsche Faschismus, aber auch die stalinsche Sowjetunion zu einer fast völligen Entfesselung des Staates gelangten.
Einen wesentlichen Fortschritt bildete die Ächtung der Gewalt, die Aufhebung des „jus ad bellum“ der Staaten in der UN-Charta. Der Schutz der territorialen Unversehrtheit und der politischen Unabhängigkeit erfordert von den früheren Kolonien oder Halbkolonien eine kluge Politik. Wenn aber die Bereitschaft zur Gewaltanwendung wächst, in Hoffnung auf internationale, vor allem US-amerikanische Unterstützung, ist die Bereitschaft zur Gegengewalt unvermeidlich. Bei unterschiedlichen Grundinteressen kann man letztlich nicht juristisch argumentieren, sondern muss die Gefahren aufdecken, die von bestimmten Interessen ausgehen, und gegen sie kämpfen.

 

13. November 2008

Zu Ehren des vielseitigen Gelehrten von Weltgeltung in der theoretischen Physik; Hans-Jürgen Treder zu seinem 80. Geburtstag
Gemeinsame Sitzung der Klasse Naturwissenschaften und des Plenums der Leibniz-Sozietät mit Beiträgen von Horst-Heino v. Borzeszkowski; Fritz Gackstatter; Werner Ebeling, Rainer Schimming, Thomas Kuczynski,

Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 40; 25.07.08

Horst-Heino v. Borzeszkowski (Berlin):
Relativität und Quanten – H.-J. Treders Ideen über die Einheit der Physik 
Publikation

Prof. v. Borzeszkowski war Schüler und jahrzehntelanger Mitarbeiter Professor Treders. Nach dem Physikstudium an der Humboldt-Universität zu Berlin war er seit 1963 wissenschaftlicher Mitarbeiter an Instituten der Akademie der Wissenschaften zu Berlin (bzw. der AdW der DDR). 1967 erfolgte die Promotion und 1973 die Habilitation mit Arbeiten zur Allgemeinen Relativitätstheorie. Seit 1986 ist er Professor für theoretische Physik. Von 1994 bis 2005 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität Berlin. In Forschung und Lehre beschäftigte er sich mit Problemen der Allgemeinen Relativitätstheorie und deren Beziehung zur Quantentheorie sowie mit Fragen der Geschichte und der erkenntnistheoretischen Problematik der Physik.

Der Vortrag behandelt Hans-Jürgen Treders Arbeiten zur Vereinigung von Quanten- und Relativitätstheorie, in denen Einsteinsche geometrodynamische Einsichten mit den Anforderungen der modernen Quantenfeldtheorie verbunden werden.

Fritz Gackstatter (Berlin):
Hans-Jürgen Treders Studien über Relativität und Kosmos 

Prof. Gackstatter ist Mathematiker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2006. Promoviert wurde er 1969 in Würzburg. 1972 wurde er an die TU Berlin als Ass. Prof. berufen, wo er sich 1975 habilitierte. Nach kurzem Wirken (1979) an der RWTH Aachen lehrte und forschte er 1979 – 2007 als Professor an der FU Berlin, unterbrochen 1980 durch einen Aufenthalt an der Universität Sao Paulo, Brasilien. Seine Spezialgebiete sind – neben der mathematischen Analysis – die Relativitätstheorie und die Himmelsmechanik.

Im Mittelpunkt des Vortrags steht Hans-Jürgen Treders Buch „Relativität und Kosmos. Raum und Zeit in Physik, Astronomie und Kosmologie“, Berlin: Akademie-Verlag, 1968.

 

Siegfried Prokop
Die Diskussion um die DDR und ihre Einordnung in die Geschichte

Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 40; 25.07.08 

Prof. Prokop (68) ist Historiker. 1983 bis 1996 war er Professor für Zeitgeschichte an der Berliner Humboldt-Universität. 1987 hatte er eine Gastprofessur in Paris, 1988 eine in Moskau und 1991 eine in Montreal inne. 1998 war er Projektleiter an der Forschungsstelle des Vereins für angewandte Konfliktforschung, 1994 -1996 Vorsitzender der Alternativen Enquete-Kommission Deutsche Zeitgeschichte. Seit 2006 ist er Vorsitzender des Vorstands der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg.
Seine bislang letzten Buch-Publikationen sind: „Ich bin zu früh geboren. Auf den Spuren Wolfgang Harichs“, Berlin 1997; „Intellektuelle im Krisenjahr 1953“, Schkeuditz 2003; „1956 – DDR am Scheideweg. Opposition und neue Konzepte der Intelligenz“, Berlin 2006; (als Hrsg.): „Der versäumte Paradigmenwechsel. ‚Spiegel-Manifest’ und ‚Erster Deutscher im All’ – die DDR im Jahr 1978“, Schkeuditz 2008.

Die politische Polarisierung der DDR-Vergangenheit verhindert auch 18 Jahre nach dem Ende des autoritären Sozialismus noch immer eine „Historisierung“ der DDR. Der im Jahre 2005 von Christina Weiss, der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien der rot-grünen Regierung, konstituierten Expertenkommission schwebte ein Wechsel von der politischen Delegitimierung zur kritischen Historisierung der DDR vor; in Entwurfsfassungen des Expertenvotums war von „Paradigmenwechsel“ gesprochen worden. Der andauernde Versuch einer „Trivialisierung der DDR“ sollte beendet und in die Bahn seriöser historischer Forschung gelenkt werden.
Dieses an sich vernünftige Vorhaben stieß nach Bildung der Regierung der Großen Koalition auf energischen Widerstand. Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) witterte „Tendenzen der Verklärung der ehemaligen DDR“.
Gerade heute wird angesichts der unübersehbaren Krisenerscheinungen die DDR als Instrument massiver politischer Auseinandersetzung benötigt. Der Antrag des CDU-Bundesvorstandes „Geteilt. Vereint. Gemeinsam. Perspektiven für den Osten Deutschlands“ an den 22. Parteitag am 1./2. Dezember in Stuttgart setzt auf eine neue Welle der politischen Delegitimierung der DDR.

 

11. Dezember 2008

Uwe Kämpf
Spielen statt Schielen: Von der Theorie der visuellen Informationsverarbeitung zur Praxis Computergestützten Sehtrainings

Vortragsreihe “Menschliche Informationsverarbeitung – interdisziplinäre Elementaranalyse und diagnostische Anwendung”; Zweiter Vortrag dieser Reihe, Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 42; 20.03.09 

Aus Anlass des 80. Geburtstages von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Friedhart Klix (1927-2004) hat die Klasse für Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin im vergangenen Jahr mit dieser Vortragsreihe begonnen. Dazu ist jährlich ein Vortrag vorgesehen.
Das wissenschaftliche Werk des Psychologen Friedhart Klix spannt einen Bogen von der Analyse elementarer Prozesse der menschlichen Informationsverarbeitung bis hin zur Untersuchung komplexer Prozesse des Sprachverstehens. Mit seinen Forschungen schuf er bleibende Brücken zwischen der Psychologie und anderen Disziplinen, insbesondere der Mathematik, Physik, Biologie und Philosophie.
Friedhart Klix war langjähriger Direktor des Instituts für Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin und gehörte bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1992 der Universität an. Er war Mitglied der Schwedischen Akademie der Wissenschaften, der Akademia Europaea in London, der Finnischen Akademie der Wissenschaften, der Amerikanischen Akademie in New York, der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, der Deutschen Akademie der Wissenschaften, der Akademie der Wissenschaften der DDR und der Leibniz-Sozietät.
Von 1980 bis 1984 war er Präsident der Internationalen Gesellschaft für Psychologie.

Dr. Kämpf (54) ist Psychologe. Nach dem Studium an der Moskauer Staatlichen Lomonossow-Universität arbeitete er 1978-1983 als Wissenschaftlicher Assistent an der Technischen Universität Dresden, Sektion Arbeitswissenschaften, Bereich Psychologie, unterbrochen durch eine Teilaspirantur in Moskau. 1983-1991 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Kybernetik und Informationsprozesse, Bereich Psychologie, der Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin. Hier verteidigte er 1985 seine Promotion, betreute Diplom- und studentische Qualifikationsarbeiten und hielt Vorlesungen an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-Babelsberg. 1992-1993 bearbeitete er im Rahmen des Wissenschaftlerintegrationsprogramms (WIP) und des Hochschulerneuerungsprogramms (HEP) eigenständige Projekte, bis er 1994 eine Drittmittelstelle am Institut für Allgemeine Psychologie der TU Dresden erhielt. Hier wurde er zum Mitinitiator und Koordinator des interdisziplinären Projektes „Amblyopiebehandlung durch Visusstimulation mit Gittern korrespondierender räumlicher und zeitlicher Frequenz“ zwischen der Augenklinik, dem Institut für Allgemeine Psychologie und dem Lehrstuhl für Computergraphik. Seit 1998 arbeitet er am Institut für Klinische, Diagnostische und Differentielle Psychologie der TU Dresden als Koordinator des interdisziplinären Projektes „Computerunterstützte Sehschulung“, das 2007 zur Entwicklung eines industriellen Prototypen geführt hat. 2008 wurde er als Heilpraktiker für Psychotherapie amtsärztlich zugelassen.
Der Vortragende stellt praktische Ergebnisse und theoretische Überlegungen zur Anwendungserprobung eines softwarebasierten Trainingsverfahrens durch driftende Sinusoidalgitter unter spielerischer Aufmerksamkeitsbindung in der unterstützenden Amblyopiebehandlung vor. Die Stimulation intendiert, gemäß einer früher begründeten Arbeitshypothese, optomotorische Effekte zu erzielen, sowie durch reizinduzierte Phasenankopplungen zur Stärkung von Synchronisations- und Koordinationsprozessen in den visuellen Kanälen beizutragen.
Patienten einer Reihe von deutschlandweit kooperierenden Einrichtungen (strabologische Abteilungen in Augenkliniken und Privatpraxen mit Sehschule) erhielten, nach in der Regel 14-tägiger Anschubbehandlung durch Orthoptistinnen, eine Therapiediskette mit nach Hause unter der Auflage, damit täglich beaufsichtigt durch die Eltern nach einem vorgegebenem Zeitschema zu trainieren. Zur Stimulation wurde ein driftendes Sinusoidalgitter niedriger Ortsfrequenz und höherer Zeitfrequenz eingesetzt, welches als Hintergrundreiz in diverse einfache Computerspiele zur Aufmerksamkeitsbindung implementiert war.
Es wurde gezeigt, dass die unterstützende Stimulationsmethode eine Verbesserung um durchschnittlich 2 Visusstufen aus einer Stagnation in der konventionellen Behandlung heraus erzielen kann.
Effekte der Sehtests durch Einzeloptotypen vs. Reihenoptotypen (Landolt-Ringe) wurden als additiv zu denen der Fern- vs. Nahvisusmessung ausgewiesen. Relative Trainingserfolge unterschieden sich nicht zwischen Patienten, deren Amblyopie strabismisch vs. refraktionsbedingt war.
Eine Arbeitshypothese unter Annahme eines „trade-offs“ zwischen den in reziproker Abstimmung räumlich vs. zeitlich selektiven Phasenauflösungscharakteristika visueller Kanäle wird vorgestellt und diskutiert. Um eine vorläufige Erklärung des Reizeffektes zu geben, wird angenommen, dass die zum Einsatz gebrachte Stimulation dazu beiträgt, die in den vom amblyopen Auge gespeisten Gehirnarealen verlorengegangene Kohärenz der neuronalen Entladungsmuster wiederherzustellen.

 

Wolfgang Küttler
Die Neuzeit als Formationsgeschichte des Kapitalismus. Historisch-Kritisches zur Marxschen Kapitalismus-Analyse

Vortrag und Diskussion in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät am 11. Dezember 2008, fortgesetzt am 8. Januar 2009
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 42; 20.03.09 

Prof. Küttler (72) ist Historiker. Er wurde 1990 zum Korrespondierenden Mitglied der 1700 von Leibniz in Berlin begründeten Gelehrtengesellschaft gewählt, der heutigen Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V.
Von 1974 bis 1991 leitete er den Wissenschaftsbereich „Theorie und Methodologie der Geschichtswissenschaft“ am Zentralinstitut für Geschichte der AdW der DDR; bis zur Emeritierung 2001 war er Mitarbeiter am Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte. Mehrere Bücher und zahlreiche andere Publikationen repräsentieren seine Arbeitsergebnisse auf den Gebieten Geschichtsmethodologie, Historiographiegeschichte und Wissenschaftsgeschichte.

Die sich Ende 2008 zur allgemeinen Wirtschaftskrise ausweitende Finanzkrise hat Kapitalismus-Kritik und damit auch die Theorie von Marx weit über das Spektrum der Linken hinaus wieder aktualisiert. Die Diskussion betrifft sowohl systemkonforme Regulierung als auch die Systemfrage im Zusammenhang mit existenzbedrohenden Destruktionstendenzen des “globalisierten” Kapitalismus.
Im Vortrag soll gezeigt werden, dass eingreifende Regulierung und transformatorische Systemveränderungen keine sich ausschließenden Gegensätze sein müssen. Im Mittelpunkt steht der Begriff des Kapitalismus als Gesellschaftsordnung, d.h. die Frage, wie Kapitalismus-Analyse und -kritik unter den veränderten Bedingungen Anfang des 21. Jh. kritisch an Marx anknüpfen können.
Der erste Teil behandelt einige Aspekte der Entwicklung und Veränderung der Marxschen Kapitalismus-Analyse 1. in der Kritik der bürgerlichen Gesellschaft nach Hegel, 2. in der ökonomischen Analyse der kapitalistischen Produktionsweise (so ab den 1850er Jahren genannt) und 3. in der geschichtlichen Standortbestimmung des Kapitalismus als Übergangsformation.
Im zweiten Teil geht es um Konsequenzen aus dem geschichtlichen Verlauf seit Mitte des 19. Jh. im Verhältnis zur Marxschen Untergangsprognose und deren Rezeption im Marxismus des 20. Jh. Schwerpunkte sind 1. die innere Wandlungsfähigkeit des Kapitalismus sowohl als Produktionsweise als auch in den gesellschaftlichen Strukturen; 2. die Unterscheidung der Stadien und strukturellen Typen des Kapitalismus als unterschiedliche Formationen einer großen, auf Warenwirtschaft, Marktbeziehungen, Kapitalinvestition und Lohnarbeit beruhenden Entwicklungsreihe, und 3. das Problem gesellschaftlichen Fortschritts und seiner Träger innerhalb dieses Gesamtprozesses unter den Bedingungen einer neuen, vom Kapitalismus ausgelösten und in seinem Rahmen verlaufenden Produktivkraftrevolution und kulturellen Umwälzung, die zugleich mit den produktiven Chancen auch die destruktiven Möglichkeiten immens steigert.