Wissenschaftliche Sitzungen der Klassen der Leibniz-Sozietät im Jahre 2014

Nachfolgend werden die im Jahr 2013 stattgefundenen wissenschaftlichen Sitzungen der beiden Klassen der Leibniz-Sozietät zusammen mit den Kurzreferaten und Angaben zu den C.V. der Vortragenden aufgelistet.

Die Namen der Autoren sind mit dem Autorenverzeichnis verlinkt, weiterhin sind Links zu den Publikationen der Leibniz-Sozietät angegeben, falls die Vorträge bereits publiziert wurden.

13.Februar 2014:

Frank Spahn (Potsdam):
Planetare Ringe – natürliche dynamische “Laboratorien” im All
Sitzung der Klasse Naturwissenschaften und Technikwissenschaften 

Prof. Spahn ist theoretischer Physiker. Nach dem Studium in Halle wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kosmosforschung der AdW der DDR in Berlin, wo er 1988 promoviert wurde. Von 1989 bis 1991 arbeitete er am Zentralinstitut für Astrophysik der AdW in Potsdam, danach weiter in der Max-Planck-Arbeitsgruppe „Nichtlineare Dynamik“ an der Universität Potsdam. Hier habilitierte er sich 1995, wurde 1997 zum Privatdozenten berufen und erhielt 2006 eine außerplanmäßige Professur.
In dieser Zeit hat er zahlreiche Raumfahrt-Forschungsprojekte geleitet – teil gemeinsam mit Kollegen. Die Liste seiner Fachpublikationen umfasst z.Z. 73 Positionen, mit drei weiteren hat er sich an der Popularisierung seines Forschungsgebiets beteiligt. Er gehört der American Astronomial Society und der American Association for the Advancement of Science an und erhielt als Mitglied des Cassini-CDA-Teams den NASA Group Achievement Award.

Abstract:
Seit ihrer Entdeckung durch Galileo Galilei im Jahr 1610 sind wir von Saturn mit seinen majestätischen Ringen fasziniert. Jedoch ist diese kosmische Zierde nicht das Alleinstellungsmerkmal dieses Planeten – nein, alle vier Riesenplaneten unseres Sonnensystems sind von Ringen aus Eis und Staub umgeben. Aber nicht nur die Schönheit dieser kleinsten kosmischen Scheiben erweckte das Interesse der Wissenschaftler, sondern sie sind exemplarisch für ihre großen kosmischen Geschwister: Akkretionsscheiben um kompakte Sterne, präplanetare Gas-Staubscheiben um junge Sterne (die Kinderstuben von Planeten) oder gar die gigantischen Galaxienscheiben. Viele Prozesse, die die Physik planetarer Ringe bestimmen, laufen – wenngleich auf viel größeren Zeit- und Längenskalen – auch in diesen zeitlich und räumlich weit entfernten kosmischen Scheiben ab. Von unschätzbarem Vorteil für uns ist aber, dass wir planetare Ringe mit Raumsonden in situ über dynamisch relevante Zeitskalen (Orbitperioden um die 10 h) studieren und so mehr über die Physik aller kosmischen Scheiben lernen können. Dichte planetare Ringe sind granulare Gase im All – hauptsächlich bestehend aus Eisklumpen von Faust- bis hin zu Villagröße, die häufig (ca. 10 – 20 mal) pro Orbit inelastisch miteinander kollidieren. Sie sind die flachsten uns bekannten Strukturen im Universum mit einem Aspektverhältnis von 10−7; d.h., bei einer vertikalen Ausdehnung (Dicke) von <10 m erstrecken sie sich ungefähr 105 km senkrecht dazu in lateraler Richtung – hervorgerufen durch eben jene dissipativen Stöße. Des Weiteren zeichnen sie sich durch eine komplexe Dynamik aus, die u. a. zur Ausbildung von (dissipativen) Strukturen führt. „Rillen“, Wellen verschiedenen Typs und z.B. auch sog. „Propeller“ bilden sich in diesen von gravitativen Störungen getriebenen Nichtgleichgewichtssystemen. Moderne Raummissionen, wie gegenwärtig die Cassini-Raumsonde am Saturn, entlocken den Ringsystemen ihre Geheimnisse und stellen somit theoretische Vorhersagen auf den Prüfstand. Am Beispiel der von Wolkenkratzer-großen Moonlets verursachten Propeller-Strukturen und deren Bedeutung sowohl für die Entstehung planetarer Ringe als auch der von Planeten allgemein wollen wir das aktuelle Spannungsfeld zwischen theoretischen Vorhersagen und Beobachtungen der Cassini-Raumsonde etwas näher vorstellen. 

Elmar Altvater (MLS):
Die politische Regulierung von Erdsystemen im Anthropozän
Sitzung der Sozial- und Geisteswissenschaften

Prof. Altvater ist Wirtschafts- und Politikwissenschaftler sowie Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1998. Bis 2004 arbeitete er am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin auf den Gebieten der Internationalen Politischen Ökonomie. Er ist Associated Fellow des Institute for International Political Economy an der Hochschule für Recht und Wirtschaft, Berlin, und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats von ATTAC. Gemeinsam mit Birgit Mahnkopf hat er das Buch “Grenzen der Globalisierung. Politik, Ökonomie und Ökologie in der Weltgesellschaft” verfasst (2007 in 7. Auflage), das Buch “Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen” (2011 in 7. Aufl.); auch viele Aufsätze zu unterschiedlichen Fragen der Globalisierung, der Finanz- und Eurokrise und der ökologischen Krise entstammen seiner Feder.

Abstract:
Seit wenigen Jahren haben Naturwissenschaftler herausgefunden, dass das biblische Wort “Macht Euch die Erde untertan” Wirklichkeit geworden ist. Die Spuren menschlicher Aktivitäten lassen sich in den Sedimenten der Erdkruste, in den Ozeanen und vor allem in der Atmosphäre als konzentrierte CO2-Moleküle nachweisen. Die Folgen sind dramatisch, insbesondere der Klimawandel. Sozialwissenschaftler müssen die Frage stellen, erstens welche sozialen Prozesse es sind, die diese Veränderungen an der Natur des Planeten Erde bewirken. Sind es “die Menschen”, wie es die Bezeichnung des neuen Erdzeitalters als Anthropozän nahelegt, oder sind es die Menschen in bestimmten gesellschaftlichen Zusammenhängen, die sozial gestaltet und politisch gesteuert sind? Wäre es vielleicht nicht angemessener, das Anthropozän daher als kapitalistisch geformtes Erdzeitalter, als “Kapitalozän” zu interpretieren? Zweitens ist die Frage aufzuwerfen, wie die negativen Folgen der Veränderungen von Erdsystemen politisch abgefangen werden können. Einige Naturwissenschaftler neigen zu “geo-engineering”, dessen Gefahren abergewaltig sind und häufig in einem tradierten Technik-Optimismus unterschätzt werden. Die Ansätze von global governance sind im Rahmen der Klimapolitik bislang gescheitert. Sind möglicherweise die kleinen Lösungen von unten in “solidarischer Ökonomie”, in genossenschaftlichen Formen eine Lösung?

13.März.2014:

Heinz Kautzleben (MLS):
D
er Arbeitskreis Geo-, Montan-, Umwelt-, Weltraum- und Astrowissenschaften der Leibniz-Sozietät – ein Bericht über sein Anliegen und seine Tätigkeit
Sitzung der Klasse Naturwissenschaften

Prof. Kautzleben ist Sprecher des Arbeitskreises mit der Kurzbezeichnung GeoMUWA seit dessen Konstituierung als Arbeitsgremium der Leibniz-Sozietät im „Jahr der Geowissenschaften“ 2002. Ab 1952 hat er an der Universität Leipzig Geophysik studiert, wo er auch promoviert wurde und sich habilitiert hat. Von 1957 bis 1991 war er in wissenschaftlichen Instituten der AdW der DDR forschend und forschungsleitend tätig. Er hat auf den Gebieten Geomagnetismus, mathematische Geophysik, geophysikalische Aspekte der Geodäsie, Geowissenschaften und aerokosmische Fernerkundung gearbeitet. Direktor des Zentralinstitutes für Physik der Erde war er von 1973 bis 1988, von 1989 bis 1990 Direktor des Institutes für Kosmosforschung, zudem von 1983 bis 1990 Leiter des Forschungsbereiches Geo- und Kosmoswissenschaften der AdW. 1969 zum Professor für Geophysik an der Akademie ernannt, wurde er 1979 zum Korrespondierenden, 1987 zum Ordentlichen Mitglied der Akademie der Wissenschaften gewählt. Von Mitte der 1960er Jahre an hat er sich in der internationalen wissenschaftlichen Zusammenarbeit engagiert. Von 1983 bis 1991 war er Mitglied im Exekutivkomitee der International Assoziation of Geodesy, von 1975 bis 1990 Vizepräsident der Kommission der Akademien der Wissenschaften sozialistischer Länder für die multilaterale Zusammenarbeit zum komplexen Problem „Planetare geophysikalische Forschungen“. 1978 erhielt er den Nationalpreis der DDR für Wissenschaft und Technik. 1985 wählte ihn die Ungarische Akademie der Wissenschaften zu ihrem Ehrenmitglied. Seit der Abwicklung der AdW der DDR beteiligt er sich aktiv daran, dass die akademische Gelehrtengesellschaft in Berlin, die 1700 als „Brandenburgische Societät der Wissenschaften“ gegründet wurde, fortgeführt wird: 1993 als Gründungsmitglied des Vereins „Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin“, fortan durch zahlreiche Beiträge zur wissenschaftlichen und organisatorischen Tätigkeit der Leibniz-Sozietät, die ihm für sein vielseitiges Engagement 2008 die Daniel-Ernst-Jablonski-Medaille verlieh. Sein besonderes Interesse gilt der Methodik und der Geschichte der Wissenschaften, speziell der Geschichte der Gelehrtengesellschaft.

Abstract:
Der Arbeitskreis GeoMUWA basiert auf dem informellen Netzwerk, an dem gegenwärtig (März 2014) rund 30 Mitglieder der Leibniz-Sozietät, zwei Träger der Leibniz-Medaille der Leibniz-Sozietät und fünf Kandidaten für die Zuwahl zum Mitglied der Leibniz-Sozietät teilhaben. Sie alle sind renommierte Wissenschaftler und vertreten Fachgebiete, die im ausführlichen Namen des Arbeitskreises aufgezählt werden und sämtlich dem großen Wissenschaftsgebiet „Geo- und Kosmoswissenschaften“ zugerechnet werden können. Das Anliegen des Arbeitskreises ist es, in akademietypischer Weise dieses große Wissenschaftsgebiet zu fördern. Der Arbeitskreis konnte unmittelbar auf Erfahrungen zurückgreifen, die zu Zeiten der AdW der DDR in der Klasse Geo- und Kosmoswissenschaften der Gelehrtengesellschaft gesammelt wurden. Die Förderung des Wissenschaftsgebietes in der Gelehrtengesellschaft mit dem Sitz in Berlin begann jedoch schon weit früher, faktisch bereits bei deren Gründung in Persona durch Gottfried Wilhelm Leibniz. Sie lag von Anfang an im Interesse der Landesherren. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Im Vortrag wird daran erinnert, warum das so ist, und es werden die großen Mitglieder der Gelehrtengesellschaft genannt, die mit Leben und Werk als „Leuchttürme“ für die Förderung der relevanten Wissenschaften wirkten und weiter wirken. Sie begründeten die Traditionen und setzten die Maßstäbe, denen der Arbeitskreis GeoMUWA in seiner Tätigkeit zu folgen sich bemüht. Der Vortrag bietet eine detaillierte Übersicht dieser Tätigkeit. Der Arbeitskreis hat seit seiner Konstituierung vor 12 Jahren rund 25 wissenschaftliche (ganztägige) Veranstaltungen durchgeführt. In ihnen wurden insgesamt über 350 Beiträge zu den verschiedenen Themen und Themenkomplexen vorgestellt. Beteiligt haben sich die fachlich zuständigen Mitglieder der Leibniz-Sozietät und stets zahlreiche sachkundige Gäste. Alle diese Veranstaltungen wirkten in der breiten Öffentlichkeit als „Wortmeldungen“ der Leibniz-Sozietät zu wissenschaftlich und gesellschaftlich höchst aktuellen Themen. Sie förderten die Beziehungen der Leibniz-Sozietät zur Science Community.  

Wolfgang Fritz Haug (MLS):
Sein und Zeit der Dialektik in der marxschen Kapitalismustheorie
Sitzung der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften

Prof. Haug ist Philosoph und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1996. Von 1979 bis zum Ende des Wintersemesters 2000/01 hat er an der Freien Universität Berlin gelehrt. 1996 gründete er das Berliner Institut für kritische Theorie, dessen wissenschaftlicher Leiter er bis heute ist. Er ist Gründungsherausgeber der Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaft „Das Argument“ (1959), Initiator und Mitherausgeber der mit dem Wolfgang-Abendroth-Preis ausgezeichneten kritischen Ausgabe der „Gefängnishefte“ Antonio Gramscis in 10 Bänden, und gibt in Zusammenarbeit mit mehr als 800 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus aller Welt das auf 15 Bände angelegte Historisch-kritische Wörterbuch des Marxismus heraus. Bislang sind 8 Bände erschienen, die international große Beachtung gefunden haben. 2013 wurde ihm von der dänischen Universität Roskilde in Würdigung seines Lebenswerks der Ehrendoktortitel verliehen.

Abstract:
Wie in Haugs jüngstem Buch „Das Kapital lesen – aber wie?“, dem Schlussband seiner Trilogie über das marxsche Hauptwerk, geht es in dem Vortrag darum, dem Wissenschaftler Marx bei der Arbeit „über die Schulter zu schauen“, um ein nüchternes, ebenso realitäts- wie praxistaugliches Verständnis der dialektischen Methode von Marx zu entwickeln. Motive von Antonio Gramscis Philosophie der Praxis aufgreifend, wirft er einen neuen Blick auf den marxschen Gesetzesbegriff, der überraschende Berührungspunkte mit dem Emergenzdenken heutiger Physiker aufweist.

 

10. April 2014:

Werner Kriesel (MLS):
Automation und Kommunikation – Rückblick und Vorschau
Sitzung der Klasse Naturwissenschaften und Technikwissenschaften

Prof. Kriesel ist Automatisierungstechniker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2013. Nach dem Studium der Regelungstechnik an der TH Magdeburg war er von 1965-1971 in der Automatisierungs-Großindustrie in Berlin mit Entwicklung und Projektierung von Automatisierungssystemen befasst; als Externer wurde er 1968 an der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert. 1971-1979 war er Hochschuldozent für Regelungstechnik an der TH Magdeburg und dort von 1976–1979 Stellvertretender Direktor für Forschung der Sektion Technische Kybernetik und Elektrotechnik. Die Habilitation erfolgte 1978 an der HUB; danach war er 1979-1995 ordentlicher Professor für Automatisierungstechnik an der TH Leipzig, wo er 1981–1990 als Stellvertretender Direktor für Forschung der Sektion Automatisierungsanlagen wirkte. Es folgte 1995–2006 eine Professur für Automatisierungstechnik in Merseburg. Seit 1994 leitet er das Steinbeis-Transferzentrum “Automatisierungs-, Informations- und Elektrosysteme” Stuttgart/Leipzig (wo es u.a. um die Zertifizierung des Kommunikationssystems „AS-Interface“ geht). Seine mehr als 200 Publikationen konzentrieren sich auf Automatisierungsgeräte und -anlagen sowie auf industrielle Kommunikationstechnik. Aus seinem akademischen Umfeld sind 6 Professoren hervorgegangen.

Abstract:
Die Kybernetik ist seit den 1940er Jahren (Norbert Wiener, MIT; Hermann Schmidt, TH Berlin) und den 1960er Jahren (Georg Klaus, Berlin) in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung deutlich gewachsen, und sie ist keineswegs eine vorübergegangene Modeerscheinung. Die Technische Kybernetik hat als Automation und Kommunikation eine Breitenwirkung erlangt. Deren mehrfacher Generationswechsel sowie zukünftige Fortschritte werden als technikwissenschaftlicher Prozess gezeigt. Der Praxis liegt eine integrierende Wissenschafts­disziplin zugrunde (Leibniz, Laplace, Maxwell). Die Automation bis in die 1960er Jahre war durch Dominanz der Regelungstechnik gekennzeichnet. Die Unterscheidung von Regelung als geschlossener Kreis (feedback) und Steuerung als offene Kette ist über Jahrzehnte einem fundamentalen Irrtum unterlegen, der zu korrigieren ist. Die Digitalisierung bewirkte ab 1975 eine neuartige Generation von Automatisierungssystemen mit dezentral verteilter Intelligenz, deren Vernetzung durch digitale Bussysteme sowie eine Revolution der Mensch-Maschine-Kommunikation. Diese veränderten Systemstrukturen wurden vom Autor zusammen mit H. Töpfer (KM der AdW) und K. Fuchs-Kittowski (MLS) zu einem neuen Denkansatz für Automatisierungs-Strukturebenen verallgemeinert.
Der Autor hat bereits 1979 ein Langzeit-Zukunftsmodell mit wiederum neuartigen Systemstrukturen vorgeschlagen: Einchip-Mikrorechner bewirken dezentrale Intelligenz innerhalb von direkt vernetzbaren Mess- und Stelleinrichtungen (embedded systems). Diese bis heute gültige Prognose zeigt allgemein, dass nicht nur in den Naturwissenschaften, sondern auch in den Technikwissenschaften Modelle mit hoher Extrapolationsfähigkeit möglich und nützlich sind. Weiterhin sind im Verhältnis zwischen Naturwissenschaften, Technikwissenschaften und Philosophie Verschiebungen zu konstatieren.
Das Lokale Netz (Local Area Network LAN) hat seit 1983 die Automation herausgefordert, und im Resultat wurde die „industrielle Kommunikation“ zu einem eigenständigen Feldbusnetz mit Mehrebenenstruktur entwickelt: Field Area Network FAN. Das bisherige LAN wurde zur interdisziplinären Brücke zwischen Automatik und Informatik. Realisierungsschritte zum FAN werden am Beispiel des Kommunikations­systems „AS-Interface“ gezeigt (Europa- und Weltnorm). Bisher wurden mehr als 100 Millionen Sensoren und Aktuatoren über dieses System vernetzt. Die weltweite Zertifizierung erfolgt in Leipzig unter Verantwortung des Autors. Leipzig als System-Erfahrungsträger verfolgt Vorlaufarbeiten, die nur noch interdisziplinär und transdisziplinär zu erbringen sind (Uni Stuttgart, Uni Rostock). Ein zu erwartender Innovationssprung dürfte zu einem erneuten Generations­wechsel in der industriellen Kommunikation führen (Paradigmenwechsel; Wechselwirkung zwischen Innovation und Nachhaltigkeit)
Die weitere Zukunft der Automatisierung ist durch bereits bekannte Einflüsse getrieben: Vernetzung, Internet der Dinge, industrielle Echtzeit-Bildverarbeitung, Cloud Computing, Cyber-Physical Production Systems (CPPS) im Zukunftsmodell Industrie 4.0. Die Automation wird aber auch unkonventionelle Zukunftspotenziale aus der Biokybernetik nutzen, z. B. für die Mensch-Maschine-Kommunikation auf Basis von Gedankensteuerung, die zugleich eine industrielle Vorfeldforschung für Avatare der ersten Generation darstellt. Die 2045-Initiative als Zukunftsmodell umfasst vier Generationen von Avataren, die als Orientierung für weitere Zukunftsschritte sehr interessant erscheinen (hierzu diskutieren H. E. und H. Hörz auch Aspekte des Transhumanismus). Die moderne Automation und Kommunikation führt auch zu zahlreichen sozialen Wirkungen, worauf der Autor in seinem Vortrag im Juni-Plenum der Leibniz-Sozietät spezieller eingeht. 

Hartmut Hecht (MLS):
300 Jahre Monadologie – die Zeit, Leibniz zu verstehen, ist gekommen
Sitzung der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften

Dr. Hecht ist Philosoph und hat an der Humboldt-Universität zu Berlin auch Physik studiert. Er lehrte Naturphilosophie und Wissenschaftstheorie an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, der Viadrina Frankfurt/Oder und der Humboldt-Universität. In der Leibniz-Edition und -Forschung ist er seit 1984 tätig; institutionell verankert zunächst an der Akademie der Wissenschaften der DDR und später bei der Potsdamer Arbeitsstelle der Leibniz-Edition der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. An dieser Akademie wurde im Jahre 2001 eine neue Arbeitsstelle zur Edition der naturwissenschaftlichen, medizinischen und technischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz im Rahmen der Akademie-Ausgabe geschaffen. Hartmut Hecht war von 2001 bis zu seinem Ausscheiden aus der Akademie 2013 der Leiter dieses internationalen und interdisziplinären Projektes. Er hat sich in dieser Zeit insbesondere für die Nutzung der elektronischen Medien in der editorischen Praxis eingesetzt und ein Editionskonzept auf den Weg gebracht, bei dem sich Druck und Internetedition als komplementäre Seiten der Quellenerschließung und -präsentation wechselseitig ergänzen. Die Internetedition ist unter der Adresse http://leibnizviii.bbaw.de online erreichbar.

Abstract:
Das Thema des Vortrags wurde durch neu erschlossene Quellen aus dem Leibniz-Nachlass angeregt, die es erstmals möglich machen, den Stellenwert der naturwissenschaftlichen Schriften für das Leibnizsche System zu bestimmen. Leibniz präsentiert sich darin als eigenständiger Kopf im Feld der Wissenschaften, der nicht nur ein zum Newton’schen alternatives Physikkonzept entwickelt hat, sondern – und nicht zuletzt – den Auswirkungen der modernen Erfahrungswissenschaften in der Metaphysik und gesellschaftlichen Praxis entscheidende Bedeutung beimaß. Es wird gezeigt, dass Leibniz als einer der Stammväter des modernen wissenschaftlichen und philosophischen Denkens seine Problemstellungen so formulierte, dass sie nicht nur von historischer Bedeutung sind. Dies wird anhand von aktuellen Diskussionen in der Quantenphysik (Stichwort Quanten-Teleportation) und der Neurowissenschaften diskutiert. Darüber hinaus wird auf Konsequenzen für die praktische Philosophie eingegangen. Leibniz verstehen bedeutet im Sinne des Vortrags, ihn angeregt durch die Bedürfnisse der aktuellen Forschungslage neu zu entdecken, d.h. schöpferisch mit einem Erbe umzugehen, das unsere durch Wissenschaft und Technik gestützten Kulturen entschieden mitgeprägt hat.

08. Mai 2014:

Hans-Joachim Lunk (Towanda, USA) & Joseph-Peter Guggenbichler (Kössen, Österreich):
Antimikrobielle Wirkung von Übergangs-Metalloxiden und ihr Einsatz in Medizin, Industrie und Haushalt
Sitzung der Klasse Naturwissenschaften und Technikwissenschaften

Abstract:
Infektionen mit Mikroben (Bakterien, Pilze, Schimmel, Algen) sind der Killer Nummer 1 in der Welt. Nahezu alle unbelebten Oberflächen sind von Keimen besiedelt. Dabei stellen Kunststoffe ein besonders günstiges Milieu für Keime dar, weil sie sich von den Polymeren und/oder den darin enthaltenen Additiven ernähren können und so rasch zu einem voll ausgebildeten Biofilm führen.
Es wird eine neue Technologie zur antimikrobiellen Ausrüstung von Polymeroberflächen vorgestellt, die dem Modell des natürlichen Säureschutzmantels der menschlichen Haut nachempfunden ist. Durch Erniedrigung des pH-Wertes auf unterschiedlichen Oberflächen werden keimarme Bedingungen mit lang anhaltender Wirksamkeit erzeugt. Die schwer löslichen Übergangsmetalloxide Molybdäntrioxid und Wolframtrioxid sowie deren feste Lösungen MoxW1-xO3 werden mit bis zu 2 Masseprozent in Träger wie Kunststoffe, Farben und Lacke eingebracht. Durch Reaktion der Oxide mit der Luftfeuchtigkeit bilden sich an der Oberfläche saure Gruppen, die Keime rasch abtöten. Das Oxonium-Ion H3O+ wirkt als neuartiges Breitbandbiozid. Ein zusätzlicher Mechanismus mittels paramagnetischer Mo5+-Ionen wird diskutiert. Die neue Technologie hat ein großes Anwendungspotential im Gesundheitswesen (z.B. für Hygienemaßnahmen im Krankenhaus), der Industrie (z.B. zum Verhindern von Biofilmen oder Legionellenvermehrung in Kühltürmen, Wärmeaustauschern und anderen Apparaten) sowie im öffentlichen Sektor (Halteschlaufen und Türgriffe in öffentlichen Verkehrsmitteln, Sitze in Sportstadien, Kabinenteile von Flugzeugen, Griffe an Einkaufswagen, Handläufe von Rolltreppen u.v.a.m.).
Im Haushalt hingegen sind Biozide normalerweise nicht erforderlich. Nur bei immungeschwächten oder ansteckenden Personen sind derartige Maßnahmen sinnvoll.

Horst Schützler (Berlin):
J. W. Stalin im Meinungsstreit in Rußland
Sitzung der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften

Prof. Schützler studierte von 1954 bis 1958 Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er spezialisierte sich im Fachgebiet Geschichte der UdSSR. Von 1958 bis 1992 war er an der Fachrichtung bzw. Sektion Geschichte bzw. am Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität in Lehre, Forschung und Wissenschaftsorganisation als Assistent/Oberassistent, ab 1971 als Dozent (1963 Promotion A, 1978 Promotion B) und ab 1981 als ordentlicher Professor sowie 1979 bis 1990 als Leiter des Bereichs Geschichte der UdSSR und des sozialistischen Weltsystems tätig. Er lehrte, forschte und publizierte zur Geschichte Russlands, der Sowjetunion und der deutsch-russischen/sowjetischen Beziehungen. Studienaufenthalte in der Sowjetunion waren dazu hilfreich.
Thematische Schwerpunkte der letzten zwei Jahrzehnte waren die russische Historiographie zur Geschichte der Sowjetunion und speziell die Darstellung des Großen Vaterländischen Krieges in der Geschichtsschreibung und Publizistik Russlands. Schützler arbeitete in verschiedenen wissenschaftlichen Gremien sowie ehrenamtlich in gesellschaftlichen Funktionen, so von 1980 bis 1990 als Vorsitzender der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft der Humboldt-Universität und zuletzt als Stellvertretender Vorsitzender der „Berliner Freunde der Völker Russlands e. V.“. Im April 2011 ehrte ihn der Präsident der Russischen Föderation, Dmitri Medwedjew, mit der Puschkin-Medaille.

Abstract:
Der Meinungsstreit um J. W. Stalin ist ein gesellschaftliches Phänomen in Russland. Wechselnde Auf- und Abwertungen seiner Person und seiner Handlungen sind mit wechselnden Machtverhältnissen verbunden. Der Streit war und ist zugleich immer eine offene oder verdeckte Auseinandersetzung um die Sowjetunion, ihre Gesellschaftsordnung und ihr Erbe und damit von großer Vehemenz. Tausende von Publikationen, darunter viel Trivialliteratur, und Meinungsäußerungen an anderer Stelle sind – unübersehbar für den Einzelnen – erschienen. Der Streit um die Entschlüsselung seiner Persönlichkeit, seine Stellung in der Gesellschaft, seine Verdienste als auch seine Verbrechen wird unter den Bedingungen einer nationalen Identitätsfindung und marktwirtschaftlicher Meinungsbildung ausgetragen. Trotz aller Beteuerungen von Objektivität und Entpolitisierung schwingen dabei die jeweiligen politischen und ideologischen Positionen und manche Alterswünsche mit. Nicht zuletzt wirkt auch das existenzielle Interesse, am „heißen“ Thema Geld zu verdienen. Auch das ehrliche Ringen um Wahrheitsfindung ist vorhanden. Der Diskurs um Stalin ist mit der Auseinandersetzung um den Stalinismus eng verbunden. Beides wird die Gesellschaft in Russland weiterhin beschäftigen.

12. Juni 2014:

Karl-Heinz Bernhardt (MLS):
Das Klimasystem der Erde im Licht des fünften IPCC-Sachstandsberichtes
Sitzung der Klasse Naturwissenschaften

Prof. Bernhardt studierte von 1953 bis 1957 Meteorologie an der Karl-Marx-Universität Leipzig, an der er auch mit Arbeiten auf dem Gebiet der theoretischen Meteorologie promoviert wurde und sich habilitierte, bevor er 1970 zum Dozenten und 1971 zum ordentlichen Professor für Meteorologie an die Humboldt-Universität berufen wurde, wo er bis 1990 den Bereich Meteorologie und Geophysik leitete. Schwerpunkte seiner Forschungsarbeit und Publikationstätigkeit sind die Physik der Atmosphäre, insbesondere der planetarischen Grenzschicht einschließlich Turbulenztheorie, die Physik des Klimasystems sowie Geschichte der Meteorologie und Philosophie der Naturwissenschaften.

Prof. Bernhardt war von 1982 bis 1990 Präsident der Meteorologischen Gesellschaft der DDR und 1972 bis 1991 Mitherausgeber der Zeitschrift für Meteorologie. Er wurde 1990 zum korrespondierenden Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR gewählt und ist Gründungsmitglied der Leibniz-Sozietät (1993), in der er von 1996 bis 2012 als Sekretar der Klasse Naturwissenschaften tätig war.

Prof. Bernhardt arbeitete in einer Arbeitsgruppe Boundary Layer Meteorology der Meteorologischen Weltorganisation mit und leitete im Rahmen der KAPG, der Kommission der Akademien sozialistischer Länder für planetare geophysikalische Forschungen, Arbeitsgruppen und Projekte zur Grenzschichtphysik. Zuletzt wirkte er als Expert Reviewer in mehreren Begutachtungsrunden für den fünften IPCC-Sachstandsbericht mit.

Abstract:
Das Klimasystem der Erde, bestehend aus Atmo-, Hydro-, Kryo- und Pedo- bzw. Lithosphäre sowie Techno/Noosphäre, ist ein hochkomplexes nichtlineares System, das sowohl infolge interner Wechselwirkungen als auch unter dem Einfluss externer Antriebe ständigen Schwankungen in den unterschiedlichsten Raum- und Zeitbereichen unterliegt und somit einen ständigen Klimawandel hervorbringt.
Im Vortrag werden im Anschluss an eine kurze Übersicht über Struktur und Arbeitsweise des zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaschwankungen („Weltklimarat“) an Hand seines fünften Sachstandsberichtes einige neue Erkenntnisse zum Klimasystem erörtert. Das betrifft u. a. den gegenwärtigen Stand des Klimawandels mit fortgesetztem, wenn auch seit kurzem verlangsamtem Anstieg der globalen Mitteltemperatur an der Erdoberfläche und die derzeitige globale Strahlungsimbalance an der Atmosphärenobergrenze, wobei der Energieüberschuss hauptsächlich die Erwärmung der Ozeane, aber auch die fortschreitende Schmelze kontinentaler Eismassen bewirkt, beides gemeinsame Ursache für den andauernden bzw. sogar beschleunigten weltweiten Anstieg des Meeresspiegels.
Des weiteren werden neue Daten zum Anteil verschiedener Komponenten des Strahlungsantriebs – darunter der anthropogenen CO2-Emissionen sowie der Landnutzung – für den derzeitigen Klimawandel, aber auch zur Rolle systeminterner Schwankungen diskutiert. Vorgestellt werden schließlich regional aufgeschlüsselte Szenarien künftigen Klimawandels unter natürlichem und anthropogenem Einfluss.

Michael Thomas (MLS):
Transformation heute: neues Spiel oder alter Wein?
Sitzung der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften

Dr. Thomas ist Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2009. Als promovierter Philosoph ist er seit Anfang der 1980er Jahre in der soziologischen Forschung tätig. Michael Thomas arbeitet am Berlin-Brandenburger Institut für Sozialwissenschaftliche Studien (BISS e.V.). Themenfelder in den vergangenen Jahren waren insbesondere Entwicklungs- und Transformationsprozesse in Ostdeutschland, zum Teil in international vergleichender Perspektive: Das betraf Herausbildung neuer wirtschaftlicher Existenzformen, regionale Entwicklungsprozesse, Prozesse eines sozialökologischen Wandels. Zu diesen Themen war er verantwortlich an zahlreichen Forschungsprojekten beteiligt, als Gastwissenschaftler an Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtungen im In- und Ausland tätig und hat entsprechende Publikationen vorgelegt. In jüngster Zeit war er Projektleiter im Rahmen eines Verbundprojektes von Sozialwissenschaftlern und Künstlern zu den Umbrüchen in Wittenberge und anderen europäischen Städten. Neben theoretischen Untersuchungen koordiniert und begleitet Dr. Thomas eine Reihe von Gestaltungsprojekten im Süden Brandenburgs und in Sachsen-Anhalt. Er ist Mitglied der Humboldt-Stiftung und des wissenschaftlichen Beirates der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Abstract:
Die hohe Zeit der Transformationsdebatten schienen die Jahre nach 1989 und der zeithistorische Kontext der postsozialistischen Veränderungen zu sein. Nach dem eher raschen Abebben dieser Debatten zeigt sich nunmehr, also ca. zwei Jahrzehnte später, wiederum ein neuer Anwendungszusammenhang für den Transformationsbegriff. Werden also Fragen und Perspektiven wieder aufgegriffen, oder wird unter dem begrifflichen Dach Neues verhandelt? Größere Klarheit ist zweifellos angebracht. Im Vortrag werden zunächst Zusammenhänge wie Unterschiede der genannten Debatten diskutiert und so die Frage beantwortet, warum und in welcher Absicht von Transformation gesprochen wird. In einem zweiten Schritt wird dann eine eigenständige soziologische Perspektive skizziert, mit der sich ein angemessenes Transformationskonzept als Einstieg in eine sozial-ökologische Transformation entwickeln lässt. Eine solche Transformation lässt sich begründen. Zugleich wird schließlich deutlich gemacht, dass und inwieweit eine solche Perspektive auf Transformation notwendigerweise transdisziplinäres Herangehen verlangt. Dafür kann die Soziologie ihren spezifischen Beitrag leisten.

 11. September 2014:

Larisa Schippel (MLS):
Jenseits der Kulturen: Plädoyer für eine entgrenzte „Geschichte des Übersetzens“.
Gemeinsame Sitzung der Klassen Naturwissenschaften und Technikwissenschaften und Sozial- und Geisteswissenschaften

Frau Prof. Schippel hat an der Humboldt-Universität zu Berlin und an der Universität Bukarest studiert und wurde 1983 promoviert. An der Humboldt-Universität arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Romanistik. Lehraufträge und Vertretungen nahm sie wahr an den Universitäten Leipzig, Jena, Graz und an der Hochschule Magdeburg/Stendal sowie in Moskau, Voronež und Chişinău; ebenso eine Gastprofessur für Übersetzungswissenschaft bzw. Kultur- und Translationswissenschaft am Institut für Slawistik der Humboldt-Universität. Gegenwärtig hat sie eine Professur für Transkulturelle Kommunikation an der Universität Wien, am Zentrum für Translationswissenschaft, inne. Sie ist an der Herausgabe mehrerer Reihen zu Rumänien sowie zur Theorie und Praxis des Übersetzens und Dolmetschens beteiligt.

Abstract:
Zu den Betrachtungsweisen des Übersetzens gehört als eine zentrale Dichotomie jene, mit der nicht nur hier in Berlin gern auf Schleiermacher verwiesen wird, nämlich den Leser zum Autor oder den Autor zum Leser zu bringen. Mit anderen Worten findet man sie wieder als „treues“ oder „freies“, adaptierendes oder verfremdendes Übersetzen. Diese Gegenüberstellung findet ihren Rahmen in der Opposition vom Eigenen und dem Fremden, sie folgt ihr, und sie zementiert sie zugleich. Was aber ist das „Fremde“ im Zeitalter der Globalität? Und wie „eigen“ ist das „Eigene“ in diesem Zeitalter? Gefangen in der nationalen Logik vom Eigenen und Fremden bewegte sich die Übersetzungsgeschichte lange Zeit im bilingualen Transfer und war eine Hilfsdisziplin von Sprach- und Literaturgeschichte. Folgt man Walter Benjamins Logik und versucht, Übersetzungsprozesse sprachen- und kulturenübergreifend zu verfolgen, lassen sich Funktionen des Übersetzens, die Qualität von Übersetzungen und auch die Akteure dieser Prozesse – Übersetzerinnen und Übersetzer – angemessen(er) beschreiben.

08. Oktober 2014:

Gerhard Banse (MLS) & L.-G. Fleischer (MLS):
Theoria cum praxi et bonum commune: Technik und Technologie Gemeinsame

Sitzung der Klassen Naturwissenschaften und Technikwissenschaften und Sozial- und Geisteswissenschaften

Prof. Banse ist Technikphilosoph und gehört der Leibniz-Sozietät seit 2000 an; seit 2012 ist er deren Präsident. Nach Pädagogik-Studium und Doktorat arbeitete er 1974 – 1999 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW), am Lehrstuhl Technikphilosophie der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus und am Institut für Philosophie der Universität Potsdam. 1999 – 2011 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am KIT – Karlsruher Institut für Technologie, Campus Nord (ehemals Forschungszentrum Karlsruhe GmbH), am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse. Nach der Habilitation (1981) wurde er 1988 zum Professor für Philosophie an der AdW ernannt. 2000 erfolgten die Bestellung zum Honorarprofessor für Allgemeine Technikwissenschaft an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus sowie die Berufung zum Gastprofessor an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Matej-Bel-Universität Banská Bystrica (Slowakische Republik), 2011 die Ernennung zum Professor e.h. der Schlesischen Universität Katowice. Darüber hinaus lehrte er an der Humboldt-Universität zu Berlin, der TH Wismar und der Technischen Hochschule (Polytechnikum) Rzeszów.
Er ist als Herausgeber, Mitherausgeber, Autor oder Mitautor an etwa 400 Buch- und Zeitschriftenpublikationen beteiligt.
Prof. Fleischer ist Verfahrenstechniker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2004, deren Klasse Naturwissenschaften und Technikwissenschaften er als Sekretar vorsteht. Bis zur Emeritierung leitete er das Fachgebiet Lebensmittelverfahrenstechnik an der Technischen Universität Berlin sowie das traditionsreiche Berliner Zuckerinstitut und war Dekan der Fakultät für Prozesswissenschaften der Technischen Universität.

Abstract:
Die Referenten teilen die Interpretation, dass die aus guten Gründen beharrlich betonte Leibniz’sche Devise „theoria cum praxi“ nicht bloß bedeutet, „man müste gleich Anfangs das Werck samt der Wissenschaft auf den Nuzen richten“(1), sondern ein – zumindest hinsichtlich seiner Universalität bisher leider gescheitertes – umfassendes Konzept meint, wie Hermann Klenner in einem Plenarvortag(2) in der Sozietät begründete. Nämlich, die Wissenschaft zu vergesellschaften, die Gesellschaft mit ihr zu imprägnieren, dabei Theorie und Praxis zur Einheit zu verbinden und gerade so wahrzunehmen, das gesamte gesellschaftliche Leben zu durchdringen und vor allem in diesem Sinn zu verändern(3)– mit alledem letztendlich dem Gemeinwohl zu dienen. In Einem: Theoria cum praxi et bonum commune zu verflechten und adäquat zu realisieren. Diese leitmotivische Verknüpfung verdanken wir unserem Mitglied Hans Sünkel, der die Sentenz für ein geowissenschaftliches Themenfeld im Jahr 2015 explizieren will. Unter diesem Signum können sich in loser Folge weitere Beiträge anschließen.
Die beiden Vorträge des Kolloquiums am 9. Oktober 2014 sowie die anschließende – hoffentlich rege und weiterführende interdisziplinäre – Diskussion beider Klassen der Leibniz-Sozietät, wollen die exemplarisch herausragenden wissenschaftlichen und gesellschaftspraktischen Felder der Technik und Technologie erörtern, die faktisch kaum trennbar, allerdings in ihrer wechselseitigen Bedingtheit unter verschiedenen Aspekten sachdienlich und zielorientiert akzentuierbar sind.
Der Träger der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Medaille Günter Spur resümiert seine diesbezüglich reichen Erfahrungen in dem Satz: „Technik, Technologie und Technikwissenschaften bilden eine Begriffsgemenge unklarer Abgrenzung“. Andererseits verzeichnet und belegt die Literatur zahllose Bemühungen, um Technik und Technologie eingehender zu erkennen. Wissen wir aber tatsächlich, was Technik, was Technologie ist, wenn wir Hegels Bewertungen aus der Vorrede der Phänomenologie des Geistes folgen?
„Das Bekannte überhaupt ist darum, weil es bekannt ist, nicht erkannt. Es ist die gewöhnlichste Selbsttäuschung wie Täuschung anderer, beim Erkennen etwas als bekannt vorauszusetzen, und es sich ebenso gefallen zu lassen.“(4)
Die eigentliche Analyse der zitierten komplexen Begriffsmenge und der ihnen zugrundeliegenden Gegebenheiten bedürfte systematischer wissenschaftshistorischer, wissenschaftspragmatischer und wissenschaftssystematischen Gesichtspunkte und Strategien. Das kann mit dem Kolloquium insbesondere seinen einführenden Kurzbeiträgen, natürlich nicht geleistet werden. Dennoch sollen sie unterstützende Anregungen vermitteln, die der inter- und transdisziplinären Diskussion und praktischen Folgerungen für Arbeit der Sozietät dienen können.
Im Teil 1 folgt Gerhard Banse dem Thema: Technikverständnis – eine unendliche Geschichte
und im Teil 2 Lutz-Günther Fleischer dem Thema: Technologie: techné und epistémé.

Technik ist so alt wie die Menschheit selbst, sie ist alltäglich, selbstverständlich, allgegenwärtig! [„tacit presence“], eine wirkmächtige (geschichtsträchtige/-gesellschaftsverändernde) Kraft. Unsere Welt, unsere Kultur, unser Leben sind weitgehend technikbasiert! [„Technische Zivilisation, Technische Kultur“]. Jeder hat eine bestimmte Vorstellung von Technik, die (auch) auf den beruflichen und privaten Erfahrungen im Umgang mit ihr, auf Hoffnungen und Wünschen, auf Ängsten und Befürchtungen, auf Prognosen und Visionen, auf Akzeptanz bzw. Nichtakzeptanz usw. beruht.
Im ersten Beitrag wird es um die Technik als Teil unserer Lebenswelt in einer mehr „statischen Weise gehen, d.h. weniger um die „Dynamik“ des Technischen im Sinne von „Werden und Vergehen“, „technischer Entwicklung“, „Technikgenese“, „technischer Evolution“, „technischer Fortschritt/technischer Revolution“, „technischer Onto-/Phylogenese“. Berücksichtigt wird die aktuelle (wie historische!) Vielgestaltigkeit von Technik: Nanopartikel, mikromechanische Objekte, einfache Maschinenelemente, Geräte, Bauwerke, technische Anlagen, komplizierte chemische Synthesen, weltumspannende Informations- und Kommunikationsnetze; Konsumtions- und Produktions-Technik.
Technologien sind multiskalige, offene, funktionsbestimmte, ganzheitlich operierende, hoch komplexe, emergente dynamische Gesamtheiten/Ganzheiten mit typischen (schon gegebenen oder geschaffenen) Kooperations- und Organisationsformen zwischen ihren konstituierenden, integrierten Subsystemen und charakteristischen Relationen/Interaktionen. Im zweiten Beitrag wird die Technologie in ihrer dialektischen Einheit von techné und epistémé (Aristoteles: Nikomachische Ethik), von Ontischem und Kognitivem als Dualität praxisorientierter, objektiv-realer Prozess-Systeme (Sachsysteme) und erkenntnisorientierter, akkumulierender und systematisierender Wissens-Systeme (Theoriensysteme). diskutiert.
Technologien generieren und manifestieren generell Strukturen (Ordnungen) und schaffen Gebrauchswerte; sie bedürfen für ihre Entwicklung, das Betreiben und Analysieren zwingend der Inter- und Transdisziplinarität und prägen sie zudem praktisch sowie theoretisch aus. Ihre elementare Basis bilden MINT-Kompetenzen, Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, sowie Einstellungen und Wertvorstellungen.
In der Sachebene subsumiert der Oberbegriff Technologie das effiziente Gestalten, Verrichten und Beherrschen zielgerichteter menschlicher Handlungen in kooperativen (Arbeits)Prozessen auf individuellem, handwerklichem, manufakturellem oder industriellem Niveau mit originären oder hinzugezogenen (eigens dafür geschaffenen) Assistiven. Er umfasst das organisierte und optimierte, unmittelbare oder mittelbare, finale, Zusammenwirken des Menschen mit relativ souveränen Subsystemen: Artefakten und/oder operationellen Agentia (Stoffen, Energien, Informationen aller Art): der artefaktischen und ‚maschinenlosen’ TechnikArbeitsmitteln zur effektiv gestalteten und effizient zu vollziehenden, systematischen Veränderung von Stoffen, Energien, Informationen oder anderen komplexen Entitäten aus der Tatsachen- und/oder Vorstellungswelt (Arbeitsgegenständen) in ihren räumlichen Positionen, in den Zeitkoordinaten, ihrer (äußeren) Form und Gestalt und/oder ihrer (inneren) Qualität (Konversion/Transformationen).
Zur hervorstechenden Gruppe der emerging technologies, die gegenwärtig und mindestens in diesem Dezennium anhaltend, mit ihren außerordentlichen Entwicklungspotentialen in überragender Weise das gesellschaftliche Erkenntnis- Kreativitäts- und Produktivitätsniveau, die materiell technische Basis sowie die soziale Umwelt stimulieren und verändern gehören neben den Biotechnologien, einigen Informationstechnologien, wie der Mensch-Maschine-Kommunikation, der drahtlosen Datenübertragung, dem digitalen ‚Abrufdruck‘ (print-on-demand), der fortgeschrittenen Robotik sowie den Nanotechnologien, die zu exponierenden Kognitionstechnologien. Seit Beginn dieses Jahrtausends ist darüber hinausgehend im Kontext mit den anwendungsoffenen und rasch evolvierenden converging sciences and technologies die Konvergenz von vier Schlüsseltechnologien zu beobachten: Die Nano-, Bio-, Informations- und Kognitions- bzw. Neurotechnologien gehören zu den herausragenden Versionen der converging technologies,. die zugleich von der fortschreitenden Transdisziplinarität zeugen. Für sie hat sich die – aus dem Englischen abgeleitete- Abkürzung NBIC etabliert.

Anmerkungen:
(1) Leibnizens Denkschrift in Bezug auf die Einrichtung einer Societas Scientiarum et Artium in Berlin vom 24./6. März 1700. In: Werner Hartkopf, Gert Wangermann: Dokumente zur Geschichte der Berliner Akademie der Wissenschaften von 1700 bis 1990. Berlin / Heidelberg / New York 1991. Dokument Nr. 19, S. 216-218, hier S. 217. (2) Hermann Klenner: Leibnizens Denkschriften vom 26. März 1700 „eine societatem scientiarum et artium zu fundiren“ und das Reglement der königlich-preußischen „Societät der Wissenschaften allhier“ vom 3. Juni 1710. In: Sitz. Ber. d. Leibniz-Sozietät 110 (2011), S. 41-106, hier S. 89-91.
(3) Leibnizens Denkschrift in Bezug auf die Einrichtung einer Societas Scientiarum et Artium in Berlin vom 24./6. März 1700. In: Werner Hartkopf, Gert Wangermann: Dokumente zur Geschichte der Berliner Akademie der Wissenschaften von 1700 bis 1990. Berlin / Heidelberg / New York 1991. Dokument Nr. 19, S. 216-218, hier S. 217. (4) , Gottfried Wilhelm Friedrich Hegel: Phänomenologie des Geistes. Vorrede. Leipzig 1949, S. 28; (H.d.V. – G.B.)

13. November 2014:

Gemeinsame Wissenschaftliche Konferenz des Plenums und der Klassen Naturwissenschaften und Technikwissenschaften und Sozial- und Geisteswissenschaften anlässlich des 200. Todestages des Philosophen J. G. Fichte zum Thema  

Natur und Nation, Bewusstsein und Selbstbewusstsein bei Johann Gottlieb Fichte

s. Plenarsitzungen 2014 zum gleichen Datum

11. Dezember 2014:

Marlies Knipper (Tübingen):
Über Hörstörungen, Stress und Emotionen. Wie unser Ohr Gehirnfunktionen beeinflusst.
Gemeinsame Sitzung der Klassen Naturwissenschaften und Technikwissenschaften und Sozial- und Geisteswissenschaften

Nach dem Studium der Biologie, mehrjähriger Arbeit als Physiologin und entsprechendem Auslandsaufenthalt ging Marlies Knipper 1993 als Leiterin der AG “Molekulare Hörphysiologie” an die Hals-Nasen-Ohren-Klinik der Universität Tübingen. Hier habilitierte sie sich 1997 im Bereich “Molekulare Neurobiologie”, besetzte 1999 eine C2-Position, wurde 2000 Sprecherin des Vorstandes des Tübinger Hörforschungszentrums und 2004 außerplanmäßige Professorin ebendort. Nach einem Zwischenspiel ab 2005 – der Professur für Experimentelle Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde – am Klinikum der Universität Erlangen-Nürnberg erhielt sie 2008 die Professur für “Molekulare Hörphysiologie” an der Universität Tübingen.
Sie ist Vize-Sprecherin des Zentrums für Neurosensorik (ZfN) der Universität Tübingen sowie Mitglied des AcademiaNet, der Arbeitsgemeinschaft Deutschsprachiger Audiologen, Neurootologen und Otologen (ADANO) und der Nationalen Akademie der Wissenschaften – Leopoldina.

Abstract:
Wechselseitige Verbindungen zwischen dem schallverarbeitenden, stress-aktivierenden und emotionalen/Aufmerksamkeitsnetzwerk beeinflussen unsere tägliche Wahrnehmung von Sprache bis Musik. Wir nehmen diese komplexen Verbindungen des emotionalen mit dem Hör-System oft erst wahr, wenn sie gestört sind. Wir fragen
1. nach dem derzeitigen Wissen um die Grundlagen des wechselseitigen Einflusses von Hören, Emotionen und Stimmungen;
2. nach den Folgen frühkindlicher oder neonataler Störungen (z.B. verzögerten Hörbeginns) für gesunde Hirnentwicklung;
3. nach dem Einfluss auf das Risiko, stimmungsabhängige (Tinnitus) oder altersbedingte Hörstörungen zu entwickeln.
Die zukünftige Perspektive einer Aufklärung dieses faszinierenden neuronalen Schaltkreises für ein besseres Verständnis von gesunder und kranker Hirnfunktion wird beleuchtet.