Raumfahrthistorisches Kolloquium 2016; Bericht

Am 26. November 2016 fand in der Archenhold-Sternwarte in Berlin-Treptow das diesjährige Raumfahrthistorische Kolloquium statt. Diese Veranstaltung wird von der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt – Lilienthal-Oberth e.V.  (DGLR), vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), von der Stiftung Berliner Planetarien und der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V. gemeinsam durchgeführt.

Herr Dr. Felix Lühning (Archenhold-Sternwarte) begrüßte die Teilnehmer des Kolloquiums und wünschte ihnen einen guten Verlauf der Veranstaltung. Für die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin und zugleich in Vertretung des Mitveranstalters Dr. Christian Gritzner (DLR), der leider nicht teilnehmen konnte, äußerte sich Prof. Dr. Dieter B. Herrmann erfreut darüber, dass das Kolloquium, das bereits seit 1980 abgehalten wird, über die Wende fortgeführt werden konnte und nach wie vor auf anhaltendes Interesse stößt, wie die große Zahl der Anwesenden beweist. Abweichend vom üblichen Verfahren sei die Veranstaltung diesmal monothematisch und ganz auf das Leben und Werk des Raumfahrtpioniers Johannes Winkler (1897-1947) ausgerichtet. Er bedankte sich bei Dr. Reinhard Sagner (Berlin) und Dr. Wolfgang Both (Berlin), ohne deren engagiertes Mitwirken bei der Vorbereitung das Kolloquium in dieser Form nicht hätte stattfinden können.

Als erstes sprach Dr. Klaus-Ulrich Guder (Lüneburg), ein Enkel von Johannes Winkler, in einer sehr persönlich gehaltenen Weise, verbunden mit Erinnerungen seiner Familienangehörigen, über das „Leben meines Großvaters Johannes Winkler“. In einem biographischen Abriss schritt er dessen wesentliche Lebensstationen ab und illustrierte sie mit Dokumenten aus dem Familienarchiv. Sie zeigten, dass Johannes Winkler in seinen politischen Überzeugungen ein Kind seiner Zeit war, aber auch eigene Standpunkte entwickelte, wie sie beispielsweise in seiner Ablehnung dogmatischen Denkens zum Ausdruck kamen. Auf Wunsch seiner Eltern studierte er Theologie. Durch den Roman „Der Stein vom Mond“ von Otto Willi Gail angeregt, wandte er sich der Raumfahrt zu, die für sein weiteres Leben prägend wurde. Der Referent skizzierte Winklers Arbeiten bei Junkers in Dessau über Rückstoßtriebwerke für Wasserflugzeuge oder später in der Luftfahrtforschungsanstalt in Braunschweig, deren Ergebnisse in Manuskripten ihren Niederschlag fanden, von denen einige erst sehr viel später, nach seinem Tode, veröffentlicht wurden. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hielt er Vorträge „Von der Atombombe zur Weltraumfahrt“, die auch ein Bekenntnis zur Nächstenliebe enthielten. So entstand vor den Zuhörern das Bild einer faszinierenden, aber auch widersprüchlichen Persönlichkeit. In der nachfolgenden regen Diskussion ging es vor allem um Winklers Verhältnis von Theologie und Technik.

Dr. Reinhard Sagner (Berlin) wandte sich in seinem Vortrag dem „Wissenschaftlich-technischen Erbe von Johannes Winkler aus historischer Sicht“ zu. Als erstes ist Winklers Konzept eines Raketenflugzeuges zu nennen, das den Flug auch im leeren Raum ermöglichen sollte. Anhand von Originaldokumenten und -photographien zeichnete er sodann Winklers theoretische Überlegungen und praktische Versuche nach, die zum erfolgreichen Start der ersten europäischen Flüssigkeitsrakete HW 1 im März 1933 führten. Zwar endete der Start der HW 2, einer Weiterentwicklung, in einem Fehlschlag, aber in dieser Zeit entstanden Winklers Arbeiten zur Frage, wie große Mengen Treibstoff schnell und leicht zu verbrennen sind (Stichwort Gasdissoziation), und zur sogenannten Schleierkühlung. Winkler beschäftigte sich auch früh mit der Bündelung von standardisierten Raketentriebwerken in jeweils einer Stufe, um auf diese Weise zu höheren Leistungen zu kommen. Auch in Peenemünde gab es Überlegungen, gebündelte Triebwerke einzusetzen (A10); inwieweit Winkler selbst in diese Arbeiten involviert war, muss offen bleiben, da es hierfür keine Belege gibt. Alle modernen Großraketen nutzen inzwischen das Prinzip der Bündelung, von der Wostok-Rakete über die Saturn V bis hin zur sowjetischen Mondrakete N-1, ein Prinzip, das zuerst umfassend von Winkler ausgearbeitet wurde, wenn auch die genannten Raketen unabhängig von ihm entwickelt wurden.

Unter dem Titel „Hugo Hückel – ein (fast) vergessener Berater und Förderer Winklers“ ging Dr. Wolfgang Both (Berlin) auf die zeitweise intensive Zusammenarbeit zwischen Johannes Winkler und dem tschechischen Hutfabrikaten Hugo Hückel ein. Anhand des kürzlich aufgefundenen Briefwechsels konnte er zeigen, dass Hugo Hückel Johannes Winkler (und  auch den Verein für Raumschiffahrt) nicht nur finanziell erheblich unterstützte, sondern aufgrund seiner Ingenieursausbildung ein kompetenter Gesprächspartner war, der sich für zahlreiche technische Einzelfragen interessierte und zu ihnen auch Vorschläge machte. Der Referent belegte dies mit Ausschnitten aus der Korrespondenz, die ein lebendiges Bild dieser Diskussion vermittelten. Wirtschaftliche Schwierigkeiten in Hückels Heimatland und die daraus folgende Devisenbewirtschaftung führten schließlich zu einem Ende dieser fruchtbaren Zusammenarbeit.

In einem mehr technisch orientierten Vortrag untersuchte Dr. Olaf Przybilski (Dresden) die Frage: „Nebel, Oberth, Sander und Heylandt – und wo steht Winkler?“ Er erläuterte das Problem, in welcher Weise der Treibstoff in eine Raketendüse eingebracht werden soll, um eine optimale Verbrennung zu erzielen, und die Lösungen, die die genannten Pioniere dafür gefunden hatten. Der Vortragende zeigte sich beeindruckt von Winklers originellem Vorschlag einer Schleierkühlung. Er vermittelte dabei den Eindruck, dass bisher noch nicht alle Konzepte Winklers experimentell umgesetzt worden sind.

Als letzter Redner berichtete Prof. Dr. Wolfgang Koschel (Lampoldshausen) detailliert über die aktuellen „Forschungs- und Entwicklungsarbeiten des DLR Lampoldshausen zur Entwicklung von Flüssigkeitstriebwerken mit Sauerstoff/Methan“.  Es ist nicht nur der günstige spezifische Impuls, der für die Kombination flüssiger Sauerstoff und Methan spricht, sondern auch andere Parameter zeigen, dass sich diese Treibstoffkombination für eine lange Lebensdauer (Wiederverwendbarkeit) eignet. Derzeit finden Entwicklungstests und Demonstratorprogramme statt, die schließlich zu einem Triebwerk von bis zu 100 t Schub führen sollen. Diese Treibstoffe zu verwenden, war ursprünglich Winklers Idee. Sie erfährt nun eine Renaissance.

Im Anschluss an die Vorträge kam es zu lebhaften Diskussionen und weiterführenden Fragen, die aufgrund der Zeit nicht alle zu Ende besprochen werden konnten.

Das Kolloquium bot den Teilnehmern ausgehend von biographischen und technischen Aspekten,  über historische bis zu aktuellen Entwicklungen ein umfassendes Bild der Persönlichkeit Johannes Winklers und seiner Ideen, die bis zum heutigen Tage nachwirken.

Michael Tilgner (Hamburg)