Nekrolog

Mit tiefer Trauer hat die Leibniz-Sozietät die Nachricht vom Tode unseres Mitgliedes Rita Schober am 26.12.2012 aufgenommen. Unser Mitglied Hans-Otto Dill hat aus diesem Anlass zu Ihrem Gedenken nachfolgenden Aufsatz in der Zeitung „Junge Welt“ veröffentlicht:

Mit Zola gegen die LTI

Man sage nicht, daß dies eine leichte Sache war: Nachruf auf Rita Schober, die in der DDR zur Romanistin mit Weltgeltung wurde
Von Hans-Otto Dill

„Mich interessiert die Literatur als ein Seismograph der Gesellschaft“ – Rita Schober Ende 2007.

Foto: Heike Zappe/HU
Foto: Heike Zappe/HU

Der Werdegang der Romanistin Rita Schober war charakteristisch für das 20. Jahrhundert. Ihr Leben begann noch im Ersten Weltkrieg und währte bis weit über die Weltenwende 1989 hinaus. Am 26. Dezember ist sie im Alter von 95 Jahren gestorben. Die großen Peripetien prägten ihre Persönlichkeit in besonderer Konstellation. Geboren noch als Untertanin der österreichisch-ungarischen K.u.k.-Monarchie, wurde sie nach einem Studium der Altphilologie und Romanistik an der Prager Universität Studienrätin in ihrer Heimatstadt Rumburg (heute: Rumburk). Ihre Dissertation über ein Thema aus der altfranzösischen Literatur verteidigte Rita Schober im Bombenkeller. Der Hitlerkrieg brachte sie um die Heimat und den ersten Ehemann.

Nach den schrecklichen Erfahrungen mit Krieg, Faschismus und Vertreibung sah sie im Sozialismus die bessere Alternative und begann ihre akademische Laufbahn in der Sowjetischen Besatzungszone. Bald wurde sie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Schülerin Victor Klemperers. Später wirkte sie an der Berliner Humboldt-Universität u. a. als Direktorin des Romanischen Instituts und Dekanin der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät. Sie wurde 1969 zum Mitglied der Akademie der Wissenschaften gewählt, gehörte 1993 zu den Gründungsmitgliedern der Leibniz-Sozietät und wurde 2011 mit deren Jablonski-Medaille ausgezeichnet. Über ihre einzelwissenschaftlichen Leistungen hinaus muss sie als führende Geisteswissenschaftlerin der DDR mit internationaler Ausstrahlung bezeichnet werden, die sowohl die allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft als auch die marxistische Literaturtheorie gemeinsam mit Kollegen wie Werner Krauss, Manfred Naumann und Dieter Schlenstedt entscheidend prägte.

Doch in allererster Linie hat sie als Spezialistin für französische Literatur gewirkt, wofür sie von der Regierung Frankreichs mit dem Orden der Akademischen Palmen ausgezeichnet wurde. Auf dem von der offiziellen Kulturpolitik eher stiefmütterlich behandelten Sektor der Romanistik kämpfte sie erfolgreich gegen Widerstände, die man jedoch nicht allzu hochspielen sollte. Weithin bekannt wurde sie seit ihrer Habilitation über Emile Zola als Spezialistin für diesen Schriftsteller und allgemeiner den französischen Naturalismus. Man sage nicht, dass dies eine leichte Sache war nach den respektiven Verdikten von Friedrich Engels und Georg Lukács betreffs Naturalismus und speziell Zola auf der einen Seite und dem Triumph eines Modernismus, der jeden Realismus und Naturalismus für obsolet erklärte, auf der anderen.

Schober erfuhr von Kollegen weltweit Anerkennung dafür, Zola nicht nur als Gesellschaftskritiker, sondern auch als glänzenden Sprachkünstler wieder zu Ehren gebracht bzw. neu entdeckt zu haben. Eine in Ost und West erschienene deutsche Gesamtausgabe führte auch dank ihrer sachkundigen Nachworte und Kommentare zu einer Zola-Renaissance. Der Franzose gehörte eine Zeit lang zu den meistgelesenen Autoren im deutschen Buchhandel. Die theoretischen Arbeiten zu Naturalismus und Realismus, die Schober in diesem Zusammenhang publizierte, etwa: »Von der wirklichen Welt in der Dichtung«, rufen heute nach erneuter Auseinandersetzung. Als weiteren Autor, mit dessen Werk sich Schober intensiv befaßt hat, nenne ich hier nur den zu Unrecht in den Hintergrund gerückten Romancier Louis Aragon.

Von entscheidendem Einfluss auf die fällige Modernisierung der Literaturwissenschaft und Literaturkritik war 1962 ihre Arbeit über Roland Barthes und den französischen Strukturalismus. Sie öffnete das Tor zu einer undogmatischen, modernen Literaturauffassung. Hier war ihre Rolle in mancher Hinsicht mit der von Georg Klaus in der Philosophie vergleichbar. Ihre Arbeiten zu Houellebecq (»Elementarteilchen«), noch so einem zur gewohnten Produktion und Rezeption von Literatur querliegenden modernen Autor, zeigen, dass Schober bis zuletzt lebendiger Literatur auf der Spur blieb. Kritische und selbstkritische Überprüfung eigener Positionen ist »Auf dem Prüfstand«, erschienen 2003.

Einige wissenschaftliche Arbeiten und biographische Reminiszenzen hat Rita Schober ihrem Lehrer Victor Klemperer gewidmet. Ihr letzter wissenschaftlicher Auftritt anlässlich des Klemperer-Kolloqiums der Leibniz-Sozietät im Dezember 2011 war eindringlich. Unter Hinweis auf heutige Sprachverhunzung brachte sie die Kritik ihres Meisters an der Zerstörung der deutschen Sprache durch die LTI, die Sprache des Dritten Reiches, in Erinnerung. Die Leibniz-Sozietät darf es sich zum Ruhme anrechnen, dass diese wohl letzte Arbeit Rita Schobers dieser Tage in der jüngsten Nummer der Sitzungsberichte dieser Gelehrtengesellschaft zur Auslieferung gelangt, als eine Art letztes Vermächtnis.

(Junge Welt, 09.01.2013)