7. Sitzung des Arbeitskreises „Prinzip Einfachheit“ – Kurzbericht

Einfachheit in Rechtswissenschaft und Rechtspraxis:

Plurimae leges – corruptissima res publica?

Siebente Sitzung des Arbeitskreises „Prinzip Einfachheit“ mit einem Vortrag von Hermann Klenner

Am 24. Oktober 2013 fand die siebente Sitzung des Arbeitskreises „Prinzip Einfachheit“ statt.

Prof. Dr. Herbert Hörz (MLS) von der Leitung des Arbeitskreises eröffnete die Sitzung des Arbeitskreises und moderierte die Diskussion.

Prof. Dr. Hermann Klenner (MLS) beschreibt die Thematik seines Vortrages in der Kurzfassung wie folgt:

„Unter dem provozierenden, an einen Tacitus-Satz (Annalen III, 27, lat./dt., München 1992, S. 232) angelehnten Titel: „Plurimae leges – corruptissima res publica?“ werden Argumente aus dem Erfahrungsbereich von vergangener und gegenwärtiger Jurisprudenz, Gesetzgebung und Rechtsprechung über Sinn und Unsinn, über Illusion und Wirklichkeit des Einfachheitsprinzips beigebracht. Da das Recht als Ordnungsreglement herrschaftsförmig organisierter Gesellschaften deren innere Gegensätzlichkeiten, letztlich ihren Selbstwiderspruch, reflektiert und konstituiert, sind die in die jeweilige Macht/Ohnmacht-Struktur der Gesellschaft als Herrschende oder als Beherrschte, als Teilhaber wie als Mittäter, als Nutznießer wie als Opfer Integrierten an unterschiedlichen, auch gegensätzlichen Konfliktreglements durch die Gesetzgeber sowie an deren unterschiedlichen Auslegungen durch die Gerichte interessiert. Dabei spielt das Verhältnis von Wissen und Wollen, von Aussage und Norm, von individualisierter und generalisierter Entscheidung eine fundamentale Rolle. Jedes Gesetz wie jedes Gerichtsurteil reduziert Komplexität, vereinfacht also, wobei sich die Interessen der Autoren des Rechts und die Interessen der Adressaten des Rechts voneinander unterscheiden. Volksfremdheit des Rechts und Rechtsfremdheit des Volkes hängen nicht einfach von der Kürze der Gesetze, deren komplizierter Struktur oder dem Jargon der Juristen ab. Eine Rechtswissenschaft, die sich der Einfachheit halber darauf beschränkt, das jeweils geltende Recht als in sich geschlossene Normenordnung systemgerecht zu interpretieren, statt es wenigstens zur intellektuellen Disposition zu stellen, verfällt damit einem unverantwortlichen Reduktionismus. Vergleichbares gilt für diejenigen, die das Recht wesentlich als Mittel von (z.B. ökonomischer, politischer und/oder ideologischer) Macht und nicht auch als Maß von und für Macht begreifen.“  

Unter historischem Gesichtspunkt und anhand von Gesetzen aus unterschiedlichen Gesetzbüchern belegte Hermann Klenner die Grundaussagen seines Vortrags mit Beispielen. Dabei machte er zum einen weitverzweigte Zusammenhänge deutlich und zeigte zum anderen detailliert die Struktur bestimmter Gesetze auf. Das war für die Zuhörer (die mit einer Ausnahme nicht aus der Rechtswissenschaft kamen) sehr informativ – sowohl die Rechtswissenschaft und Rechtspraxis selbst betreffend als auch mit Bezug zur Frage nach der Gültigkeit eines Einfachheitsprinzip in Rechtswissenschaft und Rechtspraxis.

Schwerpunkte der anschließenden Diskussion waren:

  • Grundproblem: Interessengeleitete Gesetzgebung
  • philosophische Grundlagen der Rechtswissenschaft, insbesondere das     Verhältnis von Moral und Recht
  • historische Hintergründe von Gesetzen und Gesetzesformulierungen
  • das Problem der fehlenden Widerspruchsfreiheit in normativen Systemen
  • das Problem der sprachlichen Formulierung von Gesetzen
  • die soziale Funktion des Rechts
  • „Recht aus der Maschine“ (rechnergestützte Urteilsfindung: deduktiv, induktiv)

Der Vortrag hat gezeigt – und in der Diskussion wurde das unterstrichen, dass es in der Gesetzgebung im Allgemeinen nicht auf einfach(st)e Strukturierungen von Gesetzen hinausläuft. Das äußert sich besonders deutlich in folgenden Aspekten:

  • Fehlende Eindeutigkeit und fehlende Definitionen in Gesetzen. Die fehlende Widerspruchsfreiheit steht der Wirkung eines Einfachheitsprinzips entgegen.
  • Strukturelle und sprachliche Probleme. Sie stehen zielorientierten Vereinfachungen entgegen.
  • Interessengeleitete Vereinfachungen oder auch Komplizierungen. Sowohl das Recht als auch die Theorie über das Recht sind interessengeleitet. Vereinfachungen werden immer im Sinne von Interessengruppen durchgeführt, es wird auch absichtlich kompliziert formuliert, wenn es dem Ziel einer bestimmten Interessengruppe nützt. Eine durch Machtinteressen bedingte einseitige Formulierung von Gesetzesaussagen sowie Vereinfachungen auf Kosten der Wahrheit oder die Reduktion auf eine Untermenge entsprechender interessenkonformer Gesetze sind zwar Ausdruck von Vereinfachungsprinzipien, stehen jedoch der Gerechtigkeit und der Wahrheitsfindung entgegen und werden deshalb zu Recht als unverantwortlicher Reduktionismus bezeichnet.

Der achte Vortrag im Arbeitskreis findet am Donnerstag, dem 27. März 2014 statt. Es spricht Prof. Dr. Dietmar Linke (MLS) zum Thema „Einfachheit in der Chemie? – Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren! – Oder doch nicht ganz?“.

Erdmute Sommerfeld